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torial Blog | "Da gibt es junge Leute mit einer viel größeren Community als etablierte Medienmarken"

Andreas Rickmann, Redakteur für Social Media und Digitales bei "Bild", spricht im torial-Interview über die Frage, warum Journalisten beim Ansprechen des Nachwuchses aus ihrer Filterblase kommen müssen.

torial: Herr Rickmann, Sie haben kürzlich ein vielbeachtetes Posting in Ihrem Blog veröffentlicht, in dem Sie sich mit dem Phänomen der YouTube-Stars beschäftigen: Zumeist junge Menschen, die Hunderttausende bis Millionen "Fans" erreichen, aber in Mainstream-Medien so gut wie nicht auftauchen. Warum beschäftigt Sie dieses Thema? Bild.de Social Media Redakteur Andreas Rickmann

Andreas Rickmann: In der Woche vor dem Beitrag sind mir in den Twitter-Trends Hashtags aufgefallen, bei denen ich mir eingestehen musste: Damit kannst du gar nichts anfangen. Es hat mir gezeigt: Obwohl man täglich viel Zeit in sozialen Netzwerken verbringt, gibt es dort Phänomene, von denen man selber kaum etwas mitbekommt - die aber viele junge Leute in Deutschland interessieren. Natürlich nimmt man solche Themen teilweise beiläufig wahr, so richtig genau hatte ich zuvor aber nie hingeschaut.

torial: Sie haben unter anderem herausgefunden, dass manche dieser YouTuber in Sozialen Netzwerken besser ankommen als große Medien? Wie ist das zu erklären?

Rickmann: Genau dieser Gegensatz hat mich am meisten beschäftigt: Da gibt es junge Leute bei Facebook, Twitter und Co., die eine viel größere Community als etablierte Medienmarken haben. Ich glaube, diese Leute machen die richtigen Inhalte für den richtigen Kanal. Sie probieren viel aus, sind authentisch, mutig und mit sozialen Netzwerken aufgewachsen.

Eigentlich machen sie klassischen Medien vor, wie man mit sozialen Netzwerken umgeht. Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich kann man Schminktipps von Youtube-Stars nicht mit Nachrichten vergleichen. Ich glaube aber, dass man sich sehr genau anschauen muss: Was machen die eigentlich da? Wie machen sie es? Warum sind sie erfolgreich?

torial: Wie kommt es, dass diese YouTube-Stars, die ja fast so etwas wie ihr eigenes Medium im Medium Internet sind, im (scheinbaren) Mainstream nicht vorkommen?

Rickmann: Einerseits sind die Youtube-Stars nicht sonderlich auf die Reichweite klassischer Medien angewiesen, weil sie ihr Publikum über ihre eigenen Kanäle erreichen. Andererseits haben auch klassische Medien dieses Phänomen fast gar nicht auf dem Schirm. Das mag daran liegen, dass man sich zu wenig dafür interessiert, welche Bedürfnisse und Informationswege es bei bestimmten Zielgruppen, wie etwa jungen Leuten, gibt.

torial: Sie selbst sind Social-Media-Fachmann und Redakteur für dieses Themengebiet bei der "Bild" - und wirklich alt sind Sie auch noch nicht. Wenn Sie diese YouTube-Stars nicht kennen, was sagt das über die Wahrnehmungsschwelle aus, die heute zu bestehen scheint?

Rickmann: Es zeigt, in welchen ausdifferenzierten Welten wir mittlerweile leben, wie unterschiedlich die Lebenswirklichkeit eines 15-Jährigen und eines 30-Jährigen ist. Dieses Thema spielt meiner Meinung nach in viele gesellschaftliche Bereiche.

Wenn Lehrer etwa keine Idee davon haben, was ihre Schüler in "diesem Internet" machen, ist es möglicherweise auch schwieriger, sie zu verstehen und ihnen Dinge zu vermitteln. Es zeigt gleichzeitig, vor welchen Herausforderungen auch klassische Medien beim Thema soziale Netzwerke stehen. Es reicht etwa nicht aus, seine vorhandenen Inhalte 1:1 in Facebook zu kippen.

torial: Zerfällt der Markt immer stärker in Nischen, die durch Filterblasen unterteilt werden? Und wer nicht in der spezifischen Zielgruppe steckt, bekommt nichts von anderen Themen mit?

Rickmann: Die Nischen nehmen zu, die Filterblasen auch, keine Frage. Versuchen Sie einmal den eigenen Eltern den speziellen Humor der eigenen Twitter-Timeline zu erklären oder spezielle Ausdrucksweisen, die auf Twitter geläufig sind. Da merkt man schnell, wie groß die Unterschiede sind, was überhaupt kein Vorwurf an die ältere Generation sein soll. Vielmehr sind da die jüngeren Leute in der Pflicht.

Gerade für Journalisten ist es unübersichtlicher geworden, gleichzeitig aber auch eine Herausforderung. Ich muss mich mit meinen Lesern beschäftigen, denn ich muss meine Inhalte zu ihnen bringen. Ich muss ihnen zuhören und ansprechbar sein.

torial: Welche Konsequenzen hat das für die journalistische Arbeit?

Rickmann: Ich glaube, Journalisten müssen besser verstehen, in welchen Welten junge Leute leben. Sie müssen die Mechanik von sozialen Netzwerken verstehen, vor allem auch das Potenzial. Ich kann nicht die Welten junger Leute ignorieren und mich gleichzeitig darüber beschweren, dass ich in einer bestimmten Altersgruppe nicht mehr relevant bin.

torial: Ist es denkbar, dass durch die immer billiger werdenden Produktionsmittel die ‚Do-it-yourself-Medien' den Mainstream-Medien künftig den Rang ablaufen könnten?

Rickmann: Es gibt auf jeden Fall eine andere Konkurrenzsituation, was aber eigentlich total positiv ist. Schon jetzt sieht man, dass auch im Nachrichtenbereich alternative Angebote entstehen, die erfolgreich sind. Etablierte Marken müssen sich bewegen, wenn sie relevant bleiben wollen. Ich empfinde das als Bereicherung.

torial: Wird es in einigen Jahren noch so etwas wie eine allgemeine Öffentlichkeit geben, die Mainstream-Medien erreichen kann?

Rickmann: Der Trend geht weiter in Richtung Individualisierung, ich glaube aber, dass es auch in Zukunft starke Medienmarken und Sender geben wird, die eine große Öffentlichkeit erreichen. Wer sich allerdings nicht verändern will, wird schon bald Probleme bekommen.

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