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torial Blog | Newsgames: Ein Format mit Potential - zwischen Journalismus und Spiel

Die Kombination aus Journalismus und Online-Spielen, im englischsprachigen Raum schon weit verbreitet, gewinnt auch hierzulande an Bedeutung. Achim Fehrenbach über aktuelle Beispiele und mögliche Anwendungsfelder.


In " Shame Gas " ist der Auftrag klar: Sorge dafür, dass Fracking vom Parlament bewilligt wird. Als Lobbyist der Schiefergas-Industrie kann man Gegner verklagen, bestechen oder mit pseudowissenschaftlichen Studien hinters Licht führen. Das nötige Kleingeld holt man sich aus den Lobbying-Töpfen der großen Energiekonzerne. Ist das Fracking-Gesetz erstmal durchgewunken, geht's weiter ins nächste europäische Land, wo noch weitaus hartnäckigere Gegner warten.


"Shame Gas" ist ein Newsgame: Es verbindet Journalismus und Spiel. Das journalistische Anliegen der Informationsvermittlung wird dabei in Spielmechaniken verpackt, die politisch-wirtschaftliche Zusammenhänge erlebbar machen. Rein spielerisch erinnert "Shame Gas" an den Bestseller Plants_vs._Zombies : Die Fracking-Gegner rücken auf den Spielfeldbahnen bedrohlich näher, bis man ihnen die passenden Waffen entgegenstellt. Natürlich vereinfacht das Spiel die Lobbying-Tätigkeit stark. Doch es macht ihren Kern womöglich besser begreifbar als ein ellenlanger Hintergrundartikel.


"Shame Gas" ist eines von mehreren Spielen, die beim " Newsgames Hackathon" entstanden sind. Der fand Anfang Mai erstmals in Europa statt: Rund 50 Journalisten, Programmierer und Grafikdesigner trafen sich in Köln, um gemeinsam Prototypen von Newsgames zu erschaffen. In drei- bis siebenköpfigen Teams entstanden Spiele, die sich mit politischen und wirtschaftlichen Themen beschäftigen - etwa mit der Boko-Haram-Krise in Nigeria oder mit der Vergabe einer Fußball-WM. Hackathon-Organisator, Journalist und Dozent Marcus Bösch sieht in Newsgames ein Format für interaktiven, digitalen Journalismus im 21. Jahrhundert: "Newsgames sind nicht DIE Zukunft des Journalismus, sondern eine von vielen Möglichkeiten." Aus Sicht von Bösch lassen sich Newsgames gut mit anderen journalistischen Darstellungsformen kombinieren, sie können aber auch für sich stehen.


Ein gelungenes Beispiel für den komplementären Newsgame-Einsatz ist " Cutthroat Capitalism " : Das Spiel flankierte 2009 eine Reportage der Zeitschrift Wired über somalische Piraten. In "Cutthroat Capitalism" kapert man Tanker, nimmt Geiseln, feilscht um Lösegeld - und bekommt einen Eindruck davon, wie das Piraten-Business funktioniert.

Nun ist es nicht so, dass Newsgames ganz neu wären. Schon 2002 veröffentlichte Gonzalo Frasca das Browserspiel " September 12th" , das die politische Entwicklung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 thematisiert. Als Spieler ordert man per Fadenkreuz Luftschläge auf mutmaßliche Terroristen an - doch weil dabei stets Zivilisten sterben, werden die Terroristen nur noch mehr; gewinnen kann man das Spiel nicht. Neben Frasca ist auch das italienische Künstlerkollektiv Molleindustria ein Vorreiter des Genres: Seit 2003 veröffentlichen die Aktivisten Browsergames wie "Tamatipico", "Oiligarchy" oder das " McDonald's Videogame", um etwa auf Konzerngier und die Ausbeutung von Arbeitskräften hinzuweisen. In den letzten Jahren sind nicht nur immer mehr Newsgames erschienen, auch das Themenspektrum hat sich deutlich erweitert. Bekannte Newsgames beschäftigen sich mit Kriegsflüchtlingen (" Darfur is Dying"), mit dem US-Haushalt (" Budget Hero") oder auch mit der Situation in Katastrophengebieten (" Inside the Haiti Earthquake"). Genauso vielfältig wie die Themen sind die Spielmechanismen: Das Spektrum reicht von Simulationen (" Sweatshop" , " HeartSaver") über Strategiespiele (" NarcoGuerra"," Jogo da Máfia") bis hin zu Hypertext-Literatur (" 1000 Days of Syria ").


2010 veröffentlichte der Forscher und Spieledesigner Ian Bogost das Buch "Newsgames: Journalism at Play" - die bisher umfangreichste Abhandlung zum Thema. Bogost definiert Newsgames als Spiele, die - im weitesten Sinne - dem Journalismus dienen. Sie sind damit ein Teilbereich der "Serious Games", bei denen ganz allgemein die Wissensvermittlung im Vordergrund steht. Der journalistische Anspruch von Newsgames bezieht sich vor allem auf die Herangehensweise, erläutert Marcus Bösch: "Bei der Produktion sollten journalistische Grundregeln eingehalten werden, zum Beispiel das Zwei-Quellen-Prinzip und der Quellenschutz." Was Bösch nicht dazuzählt, ist der von Hanns Joachim Friedrichs übermittelte Satz "Ein Journalist soll sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten." Bösch: "Mit diesem Objektivitätsanspruch kann ich persönlich nichts anfangen. Die Debatte um Objektivität wird im Journalismus auch gerade wieder neu geführt. Newsgames müssen und können nicht objektiv sein. Transparenz ist die neue Objektivität. Das sollte auch für Newsgames gelten." Ein Spiel wie "Sweatshop" wäre womöglich nur halb so wirkungsvoll, würde es die Ausbeutungsmechanismen nicht mit einer knallbunten Comic-Grafik kontrastieren.

2012 hat Marcus Bösch sein eigenes Spielestudio gegründet: Zusammen mit seiner Partnerin Linda Kruse betreibt er in Köln die Firma " The Good Evil", die neben Lernspielen auch Newsgames produziert. Im Sommer 2013 stellten Bösch und Kruse " Prism - The Game " vor: In dem Spiel geht es darum, als US-Geheimdienstler möglichst viele private Fotos auszuspionieren. "Prism war ein Prototyp, ein Versuch", so Bösch. "Es soll sehr einfach begreifbar machen, dass Überwachung - wie sie die NSA praktiziert - unverhältnismäßig ist." Natürlich könne man nicht aus allem ein Newsgame machen, so Bösch - manchmal sei der klassische Journalismus einfach besser geeignet, um ein Thema abzubilden. "Zum Vergleich: Am U-Bahn-Automaten möchte ich einfach nur ein Ticket kaufen und dafür nicht erst ein Labyrinth-Spiel absolvieren. Das gilt auch für den Journalismus mit Newsgames: Man sollte ganz genau prüfen, wann deren Einsatz sinnvoll ist."


Geeignet sind zum Beispiel Themen, bei denen viele Daten anfallen. "Diese Daten lassen sich miteinander vergleichen - ein zutiefst spielerisches Prinzip, wie es etwa 'Budget Hero' gut umsetzt", sagt Bösch. Wichtig sei auch, dass sich das Thema interaktiv gestalten lasse: "Man sollte es auf mögliche Spielmechaniken abklopfen: Suche ich etwas, mache ich etwas kaputt, muss ich etwas kombinieren?" Prädestiniert sind laut Bösch komplexe Systeme wie der Klimawandel oder die Europäische Union: "Spiele eignen sich sehr gut dazu, Systeme zu erklären, weil man die Zusammenhänge selbst erfährt. Ein Beispiel ist die Simulation 'SimCity', die Stadtplanung besser veranschaulicht als manches Lehrbuch." Mit am eindrucksvollsten sind Spiele, die Einblick in fremde Lebenswelten gewähren - sei es nun als Straßenverkäufer in " Cart Life", oder als Grenzbeamter in " Papers, Please ". Beide Spiele wurden beim Independent Games Festival mit Preisen ausgezeichnet.


Trotz wachsender Bedeutung haben Newsgames weiter mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen. Im Januar 2013 verbannte Apple das kostenlose Spiel " Endgame: Syria " aus seinem App Store - mit der Begründung, es verstoße gegen die Nutzungsbedingungen. In "Endgame: Syria" kämpft man für einen Sieg der Rebellen, indem man virtuelle Karten mit unterschiedlichen Eigenschaften (Angriffsstärke, Widerstandskraft, Zahl ziviler Opfer) einsetzt. Apple begründete die Sperrung damit, ein Spiel dürfe keine "bestimmte Herkunft, Kultur, Regierung, Firma oder andere existierende Entität" als Gegner darstellen. Für Tom Rawlings, den Schöpfer von "Endgame: Syria", kam die Sperrung wenig überraschend: Computerspiele würden gemeinhin mit Spaß verbunden - ein Kontrast zu dem ernsten Thema Krieg. Nun kann man durchaus bezweifeln, ob "Endgame: Syria" einen Erkenntnisgewinn birgt. Rawlings verweist aber zurecht darauf, dass auch Comics ernsten Themen sehr wohl gerecht werden können. Am Ende gab Rawlings teilweise nach: Er löschte den Syrien-Bezug, das Spiel taucht jetzt als "Endgame: Eurasia" im App Store auf. Die Android-Fassung ist nach wie vor im Original verfügbar.


Halten wir also fest: Newsgames können Sachverhalte erklären und bei Bedarf auch zuspitzen. Qualitativ hochwertige Newsgames erfordern jedoch keinen geringen Aufwand, was Konzeption, Programmierung und Grafik betrifft. Vor allem deshalb tauchen Newsgames noch so selten im Online-Angebot von Verlagen und TV-Sendern auf: Die Verantwortlichen scheuen das Experiment und investieren lieber in bekannte Formate, besonders bei Themen mit geringer Halbwertszeit.


Der Sparkurs vieler Medienhäuser senkt also die Chance, dass sich Newsgames etablieren. Dabei lassen sich mit ihnen neue Zielgruppen erschließen: Zum Beispiel Menschen, die keine gedruckte Zeitung mehr lesen, sich ihre Infos aus dem Netz holen und zudem gerne Computer spielen. Sind Newsgames gut gemacht, können sie ein großes Publikum ansprechen: Gelungene Beispiele sind " Steuerflucht für Anfänger" (Arte) oder auch " Gauging Your Distraction" (NYT). Events wie der "Newsgame Hackathon" tragen zusätzlich dazu bei, dass Journalisten solche Formate entwickeln. Auch beim Festival "Play 14″ in Hamburg (16. bis 20.9.) können Interessenten an einem Newsgame-Workshop teilnehmen.

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