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Zwischen Senden und Mitmachen - wie deutsche Medien online ihre Nutzer ansprechen | torial Blog

Viele Leser wollen heute mitreden und nicht länger hinnehmen, dass sie vom Journalismus nur das Endprodukt sehen. Andererseits hat das Netz so viele Möglichkeiten für die Partizipation, die Redaktionen gewinnbringend nutzen können. Drei Beispiele, wie so ein neuer, offener Journalismus funktionieren kann.

Social Media bedeutet für die meisten Medienmarken noch immer, einfach irgendwas auf den zahlreichen Kanälen des sogenannten Web 2.0 zu machen: „Zeit Magazin" und „Süddeutsche Zeitung Magazin" versuchen, einander auf Facebook mit lustigen Bildern zu übertrumpfen; „Spiegel Online" betreibt allmorgendlich Gedenkjournalismus; Interaktion sucht man bei Medien von „Hamburger Abendblatt" bis „Berliner Morgenpost" vergebens; Twitter-Kanäle sind selten mehr als Abladefläche für RSS-Feeds.

Sicher: Gefühlte Banalitäten wie das x-te Facebook-Bild einer Katze, die verrückte Sachen macht, amüsieren. Doch bringt das mehr als die Gelegenheitsklicker? Sind amüsierte Leser auch dauerhafte Leser, die sich einer Marke wirklich verbunden fühlen? Das vermag nicht einmal der im Netz hoch angesehene Cat Content zu bewerkstelligen, behaupte ich. Das klassische Sender-Empfänger-Modell, das - übrigens nicht nur - journalistische Unternehmen weiterzuführen versuchen, funktioniert im Social Web eben nur begrenzt. Wenn sie auch zukünftig Leser an sich binden wollen, müssen Medienmarken andere Wege in Erwägung ziehen und die Möglichkeiten des Internets für ihre Arbeit jenseits der Publikation von Endprodukten anerkennen.

Der britische „Guardian" geht bereits einen radikalen Weg der Transparenz und lässt seine Leser täglich an der Themenfindung und -recherche teilhaben. Bei der schwedischen Zeitung „Norran" chatten Redakteure mit ihren Lesern über Gott und die Welt - der Markenbildung zuliebe. Ob sich der Aufwand lohnt, ist stets eine Frage des Abwägens. Auf wirklich radikale Ansätze verzichten deutsche Redaktionen bislang, haben aber zum Teil für sich bereits eine Strategie gefunden, die zum Publikum und zur Marke passt. Drei Beispiele:

Zeit online"

Nichts liegt näher im „neuen" Journalismus, als den schnellen, unmittelbaren Draht zum Leser, den Kommentarfunktion, E-Mails oder Twitter bieten, in beide Richtungen zu nutzen. Die Redaktion von „Zeit Online"tut dies vorbildlich: Hier diskutieren Journalisten mit Klarnamen mit ihren Lesern, und selbst wenn sie sich in eine Debatte nicht einschalten, verfolgen sie sie stets sehr genau - erzählt zumindest Community-Redakteur Sebastian Horn. Ihm zufolge ist es geradezu eine Hausregel, dass Leser auf ihre Hinweise oder Fragen eine Antwort bekommen, ganz gleich über welchen Kanal.

Auch wenn das zusätzliche Arbeit bedeutet, weiß man bei „Zeit Online",den Nutzen dieser Kommunikation zu schätzen. Was der Mehraufwand bringt, zeigt sich etwa in einem Interview, dass Horn exemplarisch anführt: Ein Leser stellt in den Kommentaren eines aus Nachrichtenagentur-Informationen gespeisten Artikels einige Fragen, die Redakteurin greift die Rückmeldung auf - und eine neue Geschichte entsteht. Eine Geschichte, die mal nicht den Prioritäten der Redaktion entspringt, sondern sich direkt nach dem Leserinteresse richtet. Ein Weg, um die Zwei-Wege-Kommunikation zu nutzen, um besseren Journalismus zu machen, weil er anerkennt, für wen er überhaupt gemacht wird.

Wegen solcher und weiterer Beispiele werde „Zeit Online"als sehr offene Redaktion wahrgenommen, die für ihre Leser jederzeit erreichbar ist, meint Horn. „Journalistische Offenheit und ein direkter Draht zum Leser stärken die Marke." Nicht nur die Quantität - 15.000 Kommentare pro Woche, doppelt so viel wie vor drei Jahren - gibt „Zeit Online"recht, auch in Sachen Qualität setzen sich die hier geführten Debatten deutlich von dem ab, was man sonst im Netz gewohnt ist.

„Die Frage", on3/Bayerischer Rundfunk

Transparenz der eigenen Arbeit hat auch viel mit Ressourcen zu tun, und die werden heute in Medienhäusern am liebsten nur angezapft, wenn ihr Nutzen klar erkennbar ist. Dabei hat offenes Arbeiten noch ganz andere Vorteile als eine Optimierung der Leser-Blatt-Bindung (und damit zumindest potenziell der wirtschaftlichen Lage) - es kann helfen, Journalisten besser zu machen.

Das ist ein Gedanke, der die Macher der on3-Hörfunk-Sendung „ Die Frage" antreibt: während der Recherche hinterfragen, was man gerade tut und für wen überhaupt. Am Ende führe diese Herangehensweise zu einem besseren Ergebnis, ist Till Ottlitz überzeugt, betreuender Redakteur der Feature-Sendung. Von Anfang an sei deren Idee gewesen, „den Rechercheprozess offenzulegen und damit auch in neue Richtungen zu treiben". Das Konzept: Zwei Wochen lang widmet sich das Team einer Frage; auf der Website und via Facebook können die Hörer verfolgen, wie die Recherche läuft, Anregungen loswerden, Nachfragen stellen. Wie die Suche nach der Antwort versteht „Die Frage" die Recherche als Prozess. „Der kann immer noch in eine andere Richtung führen als gedacht, und zwischendurch gibt es immer wieder Punkte, an denen wir evaluieren, was die Nutzer eigentlich interessiert."

Das kann mal frustrierend sein, weil eben erfahrungsgemäß doch nur ein Bruchteil der Internetnutzer überhaupt ein Interesse daran hat, sich am öffentlichen Diskurs zu beteiligen. Doch Ottlitz ist zuversichtlich, denn er merkt: „Die offene Recherche bringt uns sehr viel." Und nicht nur in den seltenen, aber dann eben doch hilfreichen Fällen, in denen Kritik den Rechercheur auf neue Aspekte stößt und damit die konkrete Geschichte verbessert. Sondern auch in puncto Handwerk. Ottlitz erklärt: „Zu viele Radiojournalisten vernuscheln ihre Fragen, machen sich keine Gedanken über die Gesprächsdramaturgie. Ist ja egal - sie brauchen am Ende eh nur kurze O-Töne. Aber wenn man sein Rohmaterial online stellt" - und genau das passiert bei „Die Frage" -, „dann kann man sich nicht mehr so einfach hinter dem Schnitt und der Postproduction verstecken."

Westdeutsche Allgemeine Zeitung"

Lesermeinungen annehmen und diskutieren, Geschichten weiterdrehen und von der eigenen Nutzerschaft lernen - auf der nächsten Stufe: das Crowdsourcing. Was der eingangs erwähnte „Guardian"schon in einigen Fällen erfolgreich betrieben hat, wird auch in Deutschland ein immer beliebteres Modell, um das Wissen der Leser anzuzapfen und so mitunter Recherchen möglich zu machen, die andernfalls vielleicht nicht möglich wären. Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung" (WAZ)und ihre Recherche-Abteilung setzen unter anderem darauf, hin und wieder das Rohmaterial zur Verfügung zu stellen. Aktuelles Beispiel, in dem die Leserschaft bewusst zur Mithilfe aufgerufen ist: tausend geheime Dokumente zum Afghanistan-Krieg, teils in schlechter Qualität; das Prinzip Wikileaks trifft journalistische Expertise trifft Crowdsourcing.

Wenige Wochen nach Veröffentlichung der Dokumente gibt sich David Schraven, Leiter des Recherche-Ressorts der WAZ, sehr zufrieden. „Wir haben bis jetzt gut 2.000 Änderungen an den Transkripten von etlichen Leuten, die mitmachen." Das Crowdsourcing - in diesem Fall eine gute Methode, die Möglichkeiten des Netzes à la Guttenplag für einen journalistischen Zweck zu nutzen. Schraven zeigt sich als Freund offener Recherchen, sagt aber auch das Entscheidende über offenes Arbeiten von Journalisten: „Wir setzen um, was zu uns passt und praktikabel ist." In manchen Fällen sei es eben nicht gut, Recherchen offenzulegen, wenn es - logisch - um Quellen und Geheimnisse geht. Doch: „Solange es von Interesse ist und Informanten nicht gefährdet, bin ich dafür, Recherchen transparent und nachvollziehbar zu machen."

Carolin Neumann

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