Die Provence hat für jeden etwas zu bieten - theoretisch. Doch es ist schwierig, Kinder, Eltern und Großeltern gleichzeitig zufrieden zu stellen. Wie es trotzdem gelingt.
"Ich will auf den Spielplatz!" schreit Simon vom Rücksitz. Fünfzehn Minuten dauert die Fahrt nach Carpentras, doch mein dreijähriger Sohn zappelt, als wären wir seit vier Stunden unterwegs. "Wir sollten unbedingt die Synagoge besichtigen", sagt Oma. "Seid ihr denn gar nicht kulturell interessiert?" Auf dem Fahrersitz grummelt mein Mann vor sich hin. Er ist genervt. Ob angesichts der Stichelei oder weil auf den Straßen der ehemaligen provenzalischen Handelsstadt gerade nichts mehr geht, ist schwer zu sagen. Ich rede auf Simon ein, versuche, Ruhe auszustrahlen. Insgeheim aber frage ich mich, ob der Urlaub mit drei Generationen wirklich eine so gute Idee war.
Die Provence schien als Reiseziel ideal: Bergdörfer, Kunstschätze, bunte Märkte, Karussells in jeder Stadt, Landschaften, die zum Toben und Radfahren einladen. Hier würde jeder auf seine Kosten kommen, so die Vorstellung. Vor der Reise haben wir über unsere Erwartungen gesprochen: Wie viel Zeit verbringen wir gemeinsam? Was will jeder unternehmen? Oma sollte nicht nur Babysitter spielen, sondern viel vom Land sehen können, Simon genügend Zeit zum Spielen haben. Perfekt geplant also.
Doch vor Ort stellen wir fest: Der Graben zwischen den Generationen ist größer als gedacht. Zu unterschiedlich sind die Interessen: Kunstliebe hier, Bewegungsdrang dort, und wir als Eltern dazwischen, ständig bemüht, es jedem Recht zu machen. Gibt es denn keine Aktivitäten, die alle begeistern?
Der Besuch eines Bauernhofs am nächsten Tag stimmt zuversichtlich. Im Kräutergarten schließt sich Simon einer Gruppe von Kindern an. Dass er kein Französisch spricht, stört niemanden. Eifrig zupft er ein Blatt nach dem anderen von den Sträuchern und legt es in sein Körbchen. Dann geht es in die Küche, wo sich die Kinder um einen großen Topf drängen und zuschauen, wie Rose Combe die Minzeblätter mit einer dicken Schicht Zucker bedeckt. In vier Stunden sei der Sirup fertig, erklärt sie. So lange? Die Kinder machen große Augen. Bis sie eine Flasche fertigen Sirup hervorholt und jeder probieren darf.
Rose führt mit ihrem Mann Claude bei Sarrians die pädagogische Farm L'Oiselet. In biologischem Anbau ziehen sie viele fast vergessene Obst- und Gemüsesorten. Allein 200 verschiedene Melonenarten gibt es hier. Außerdem Ziegen, Schafe, Kaninchen, Hühner und Gänse. "Wir wollen unsere Liebe zur Natur teilen, auf ihre Vielfalt aufmerksam machen", erklärt Rose, "und Kindern das Leben auf dem Bauernhof näher bringen". Je nach Saison und Tageszeit können diese die Tiere füttern und pflegen, mit Pflanzenfarben malen, oder Obst und Gemüse ernten und damit in der Küche experimentieren.
Das Ergebnis sind Leckereien wie Kirschkuchen oder Pfirsich-Sorbet, die den hungrigen Tagesbesuchern heute serviert werden. Alles Bio, alles selbst gemacht. Oma und Kind sitzen Seite an Seite und löffeln genüsslich ihr Eis. Na also, geht doch. Die Natur erleben mit allen Sinnen - das ist etwas, das allen Spaß macht.
Nicht so eindeutig fällt das Urteil in Avignon aus. Der Papstpalast steht auf dem Programm: der größte gotische Palast in Europa, mit Kloster, Privatgemächern der Päpste und Gegenpäpste, Prunksälen und Kapellen - auf einer Fläche von 15.000 Quadratmetern. Das verlangt von Kindern einiges an Steh- und Durchhaltevermögen. Zu viel? Wir lassen es nicht auf einen Versuch ankommen und beherzigen einen der Tipps zum Großfamilienurlaub: Jeder soll genug Zeit zur eigenen Entfaltung haben. Also darf die Oma den Palast besichtigen, ganz ohne Kleinkind-Gequengel, und Simon auf dem Spielplatz toben. Der Jardin du Rocher, gleich oberhalb des Palastes, eignet sich dazu wunderbar. Wir genießen derweil den Blick auf die Rhône und die Brücke Saint Bénezet, der das Lied "Sur le pont d'Avignon" gewidmet ist.
Stadttouren stellen die Familienidylle auf eine harte Probe. Doch es gibt auch Dinge, die alle Generationen mögen. Karussells zum Beispiel. Oder Süßigkeiten. Hier wartet die Provence mit einigen Spezialitäten auf: Calissons aus Aix-en-Provence, ein Konfekt mit Mandeln, kandierten Melonen und Orangen. Kleine, bunte Bonbons, Berlingots genannt, aus Carpentras. Kandierte Früchte aus Apt. Nicht zu vergessen der weiße Nougat aus Mandeln, Pistazien und Lavendelhonig.
In St. Didier können große und kleine Naschkatzen zuschauen, wie
Nougat nach altem provenzalischem Rezept hergestellt wird. In der Küche
der Brüder Silvain duftet es nach gerösteten Mandeln und Honig. Philippe
Silvain steht vor einer Kupferschüssel, prüft noch einmal die
Temperatur der Honigmasse, fügt dann die Mandeln hinzu und rührt mit
einem großen Holzlöffel kräftig, bis alles von einer glänzenden Schicht
überzogen ist. Dann gibt er die Mischung in eine lange, flache Form und
rollt sie mit einem Nudelholz glatt. "Bei unserer Großmutter gab es zu
Weihnachten immer dunklen Nougat. Ich habe ihn geliebt!" schwärmt
Philippe.
So sehr, dass er und sein Bruder beschlossen, Nougatiers zu werden.
Die wichtigsten Zutaten, Mandeln und Honig, produzieren sie selbst.
Simon probiert alle weißen und dunklen, festen und weichen
Nougatvarianten durch und ist sich sicher: Der weiße ist der beste. Oma
stöbert indes im Laden, ihr Einkaufskorb gut gefüllt mit Leckereien.