"Hobbs & Shaw", "Blade Runner 2049", "Midway": Bei vielen großen Hollywood-Produktionen entstehen die visuellen Effekte - kurz VFX - inzwischen in deutschen Studios. Wir haben uns in der Kreativschmiede Rise in Berlin umgesehen.
Blut. Überall Blut. Langsam quillt es aus dem Fahrstuhlschacht und überflutet die Gänge. Diese ikonische Sequenz aus Stanley Kubricks "Shining" (1980) hat sich tief in das kollektive Horrorfilmgedächtnis gebrannt. Für die Fortsetzung "Doctor Sleeps Erwachen",
die Ende 2019 in den Kinos erschienen ist und ab 9. April 2020 auch für
das Heimkino verfügbar ist (digital bereits ab 26. März), haben die
Effektdesigner des VFX-Studios Rise sie Tropfen für Tropfen am Computer neu aufgesetzt. Auch das Labyrinth, in dem Jack Nicholson als Jack Torrance den Tod fand, haben sie nachgebaut. Aktuell feilen sie an "The French Dispatch", dem neuen Werk von Regisseur Wes Anderson ("Grand Budapest Hotel"),
woran genau, darf Florian Gellinger nicht verraten. 2007 hat er das
Studio mit drei Partnern gegründet. Überhaupt herrscht strenge
Geheimhaltung in den Höfen am Berliner Osthafen. Im Kreuzberger
Kreativzentrum der Rise Studios sieht es aus wie bei einer LAN-Party –
sollte es diese noch geben: Menschen, die auf sehr viele Monitore
starren. Einer ist Niklas Rot, der einer Eisenbahn ein digitales Make-up
verpasst. Rot trägt eine leichte Patina auf, verblassende Farbe und ein
paar Kratzer lassen den Waggon älter aussehen. An welchem Film er
arbeitet? Geheim!
An "Doctor Sleeps Erwachen" haben rund 60 Designer gearbeitet, überwiegend im Stuttgarter Büro. Die Fahrstuhlszene war sehr aufwendig, vor allem die korrekte Simulation der Flüssigkeit. „Diese Aufgabe kann nicht unendlich aufgeteilt werden“, erklärt Gellinger. „Am Ende haben zwei FX Technical Directors daran gesessen, drei weitere Designer haben den Raum gebaut, das Licht gesetzt, die Kamera eingerichtet und die Wände tapeziert, damit alles wie im Original aussieht.“ Zwei Monate haben sich fünf Mitarbeiter mit der detailgenauen Rekonstruktion weniger Filmsekunden beschäftigt. Und dann gibt es Produktionen, die 120 Leute mehr als sechs Monate binden. So war es bei "Babylon Berlin", neben "Dark" und "Stranger Things" eine der großen Serien, an denen Rise beteiligt ist.
Von Arthouse zu Marvel
International wurde man auf die VFX-Spezialisten aufmerksam, nachdem sie für "This Is Love" (2009), ein Arthouse-Drama von Matthias Glasner, einen Autounfall inszeniert hatten. Wenig später begann die Zusammenarbeit mit Marvel: Seit "Iron Man 3" aus dem Jahr 2013 hat Rise elf von 17 MCU-Abenteuern mitgestaltet, zuletzt "Avengers: Endgame". „Ich freue mich, dass es Filmemacher wie Glasner gibt, die ein Interesse daran haben, visuelle Effekte auf intelligente Weise in ihr Werk einzubinden“, sagt Gellinger. Auf dem Bildschirm hinter ihm brettert Idris Elba auf einem Motorrad durch London. Eine Szene aus dem "Fast & Furious"-Ableger "Hobbs & Shaw". So gefährlich, wie das aussieht, war es aber nicht, denn einige Autos wurden nachträglich digital in die Szenerie eingefügt.
Natürlich ist Rise FX hierzulande nicht die einzige Effektschmiede, in der zumindest Teile von Hollywood-Blockbustern entstehen. Erst 2018 wurde Gerd Nefzer gemeinsam mit John Nelson, Paul Lambert und Richard R. Hoover für "Blade Runner 2049" mit dem Oscar ausgezeichnet. 2012 ehrte die Academy bereits Pixomondo, aus deren Computern fast die gesamten visuellen Effekte von Martin Scorseses "Hugo Cabret" stammen. Wobei Pixomondo schon vorher zu den großen Namen in der Branche gehörte, nicht zuletzt wegen der engen Verbindung zu Roland Emmerich. Gemeinsam mit Scanline VFX, ebenfalls international bekannt, ist man dann auch für die Effekte in Emmerichs aktuellem Film, dem Weltkriegsdrama "Midway", verantwortlich. „Ein Film wie Midway muss real aussehen“, erzählt der Filmemacher. „Wenn etwas nicht real aussieht, glauben die Leute es nicht.“ Ein Zuviel an Effekten gebe es jedoch nicht – es müsse bloß immer um die Qualität gehen.
Die Bürokratie steht im Weg
Das sieht Florian Gellinger, den Filme wie "Terminator 2 – Tag der Abrechnung" (1991) und "Jurassic Park" (1993) geprägt haben, genauso: „Ich finde es bemerkenswert, wenn ein Verantwortlicher bei Marvel den Mut hat, sich nach monatelanger Arbeit hinzustellen und zu sagen: ,Das sieht scheiße aus, das machen wir noch mal neu!‘“ Dass durch Serien wie "Game of Thrones" die Ansprüche an TV-Produktionen ebenfalls gestiegen sind, auch darin sind sich die beiden einig. Siehe "Babylon Berlin" und "Dark". Um zu verhindern, dass talentierte Effektdesigner abwandern, was den Filmstandort Deutschland nachhaltig schwächen würde, braucht es laut Gellinger aber ein einfacheres und einheitliches System zur Filmförderung. „In Ländern wie Großbritannien und Kanada zum Beispiel ist die Finanzierung von Projekten viel unkomplizierter und mit weniger Risiken für Dienstleister wie uns verbunden.“ Am Ende stelle sich die Frage nach der Henne und dem Ei: „Gibt es die VFX-Studios nur, wenn hier gedreht wird, oder ist es andersherum?“
Mehr Anerkennung für Effekte
Diese Entwicklung ist auch der Deutschen Filmakademie nicht verborgen geblieben. Im August 2019 verkündete sie, dass ab 2020 ein Deutscher Filmpreis für visuelle Effekte und Animation vergeben wird. Zur Begründung heißt es, dass visuelle Effekte heute zum Standardrepertoire erfolgreicher Filmproduktionen gehören und deutsche Firmen in diesen Technologien international sehr gefragt sind. Mit der neuen Preiskategorie will man die Leistung würdigen und dem VFX-Bereich eine größere öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen. Für Gellinger ein Prestigegewinn: „Das Tolle daran ist, dass die Politik und die Filmakademie, die hauptsächlich aus Arthouse-Filmemachern besteht, unsere Arbeit anerkennen. Das ist ein wahnsinniger Schritt vorwärts.“