1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Mord an Olof Palme: Einer der größten Kriminalfälle des Jahrhunderts

Stig Engström ist der mutmaßliche Mörder von Olof Palme. Das gab die schwedische Staatsanwaltschaft bekannt. Ist das der Schlussstrich unter Schwedens großes Trauma? Dies ist die Geschichte eines der größten Mordfälle des 20. Jahrhunderts.


Es ist der 28. Februar 1986. Zwei Schüsse in der Stockholmer Innenstadt beenden das Leben des damaligen Ministerpräsidenten Olof Palme. Und verändern ein ganzes Land für immer.

Palme war mit seiner Frau Lisbeth im Kino "Grand" - ohne Leibwächter. Der Politiker vermied stets besondere Sicherheitsvorkehrungen, wollte sich bewegen wie ein ganz normaler Bürger.

Kurz nach 23:00 Uhr macht sich das Paar zu Fuß auf den Heimweg. Aus einem Ladeneingang löst sich eine Gestalt. Der unbekannte Mann zieht einen Revolver, fasst Palme an der Schulter und gibt zwei Schüsse ab. Eine Kugel schlägt durch das Rückgrat und die Hauptschlagader Palmes, zerfetzt Speise- und Luftröhre. Die zweite Kugel streift Lisbeth Palme, ohne weiteren Schaden anzurichten.

Der Tatort liegt mitten in der Stockholmer City. Und doch nimmt sich der Mörder, laut Zeugenaussagen, viel Zeit. Er beugt sich über sein Opfer, betrachtet Palme einige Sekunden und entfernt sich dann in gemächlichem Tempo.

Pannenserie nach Palme-Mord

Dass die Tat über 34 Jahre lang ungeklärt blieb, liegt auch an einer unglaublichen Serie an Pannen. So gibt bereits Sekunden nach der Tat ein Taxifahrer einen Notruf ab. Doch niemand nimmt ab. Eine verpasste Chance. Denn ganz in der Nähe befindet sich eine Polizeistreife, die den Fluchtweg des Täters kreuzt.

Schlamperei auch bei der Untersuchung des Tatorts. Es dauert Stunden bis dieser abgesperrt ist, wichtige Indizien werden übersehen. Erst Tage später finden Passanten zufällig die Kugeln aus der Mordwaffe.

Spuren gibt es dennoch genug. Polizeichef Holmér will schnelle Ergebnisse und präsentiert den vermeintlichen Täter - einen gewissen Victor Gunnarsson. Der entstammt dem rechten Milieu und war mit Palme-feindlichen Aussagen aufgefallen.

Bei einer Hausdurchsuchung finden sich radikale Schriften - der Name "Palme" ist mehrfach unterstrichen. Außerdem entdecken die Ermittler Zündstoff-Partikel auf Gunnarssons Kleidung. Doch die Indizien reichen nicht aus.

Unzählige Theorien: Wer war der Palme-Mörder?

Gunnarssons Geschichte nimmt eine ebenso bittere wie ironische Wendung. Als vermeintlicher Palme-Mörder wird er in Schweden massiv angefeindet. Gunnarsson wandert aus und beginnt ein neues Leben in den USA. 1993 wird er dort selbst Opfer eines Verbrechens. Seine geschundene Leiche wird in einem Waldgebiet in North Carolina gefunden. Als Täter wird der Ex-Geliebte von Gunnarssons Partnerin festgenommen.

Hans Holmér hat sich längst auf eine neue Theorie eingeschossen: Die PKK soll es gewesen sein. Die schwedische Sicherheitspolizei hatte Telefongespräche abgehört, bei denen der Name Palme gefallen war.

Obwohl die kurdischen Dialekte für die Fahnder nur schwer zu verstehen sind, reichen die Anhaltspunkte für Holmér. Er startet die "Operation Alpha". Dabei lädt er - ohne rechtliche Grundlage - willkürlich Kurden vor. Doch auch diese Spur führt ins Nichts. Holmér muss seinen Hut nehmen.

Christer Pettersson: Tatverdächtiger wird Kultfigur

Dann identifiziert Lisbeth Palme den Kleinkriminellen Christer Pettersson als Täter. Pettersson wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch in zweiter Instanz spricht man ihn wieder frei. Es hatte Unstimmigkeiten bei der Identifizierung gegeben. Außerdem fehlen Mordwaffe und ein schlüssiges Motiv.

Petterson vermarktet seine Geschichte, tritt im Fernsehen auf und entwickelt sich bald zu einer Art Kultfigur. Sogar ein Mixgetränk wird nach dem Alkoholiker benannt - Wodka Explorer mit Bailey's.

Auch Christer Pettersson stirbt unter rätselhaften Umständen. 2004 landet er mit schweren Kopfverletzungen im "Karolinska Krankenhaus". Die stammen von einem Sturz, die Umstände des Vorfalls bleiben jedoch unklar. Pettersson stirbt mit 57 Jahren an einer Hirnblutung.

Der "Skandiamann" rückt erst spät in den Fokus

Und dann ist da noch der "Skandiamann". Hinter der Bezeichnung verbirgt sich Stig Engström, der als Grafikdesigner im Skandiagebäude arbeitete. Das Gebäude liegt direkt gegenüber dem Tatort.

Gesichert ist, dass Engström nur eine Minute vor den Schüssen ausstempelte. Als Verdächtiger gilt der bekannte Palme-Kritiker trotzdem nicht. Er wird lediglich als Zeuge befragt und beschreibt die Kleidung des Täters, den er gesehen haben will.

Doch bald verstrickt sich der "Skandiamann" in Widersprüche, liefert ständig neue Versionen des Tathergangs. Die Polizei ordnet Engström, der auch im Fernsehen auftritt, als Wichtigtuer ein und verzichtet auf ihn als Zeugen. Zu unverlässlich sind seine Aussagen.

Die Theorie, dass der "Skandiamann" tatsächlich der Täter war, bringt erst Lars Larsson in seinem 2016 erschienenen Buch "Nationens Fiende" (der Staatsfeind) auf den Tisch. Zu dem Zeitpunkt ist Engström bereits lange tot. Nach der Tat verfiel er zunehmend dem Alkohol, im Jahr 2.000 starb er durch Suizid.

Deshalb kann nun auch keine Anklage erhoben werden. Es bleibt zu hoffen, dass die aktuellen Enthüllungen endlich einen Schlussstrich unter das große Trauma der moderneren schwedischen Geschichte ziehen.

Zurück bleibt die Erinnerung an einen großen Staatsmann und international anerkannten Friedenspolitiker. Und an einen der aufsehenerregendsten Kriminalfälle des 20. Jahrhunderts.


Zum Original