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Die Menge zahlt

Beim Crowdfunding finanzieren private (Klein)Anleger Ideen – für Unternehmen ist Crowdfunding daher auch ein Marketingtool.

Geldregen: Mit Crowdfunding finden Unternehmen Investoren - und Anleger Chancen, von Wachstumsfirmen zu profitieren

Rund 100.000 Euro in wenigen Tagen oder gar in Stunden: „Crowdfunding" heißt das neue Zauberwort zur Finanzierung von Geschäften, karitativen oder technischen Projekten sowie von Kunst. Dabei sammeln Künstler und Unternehmer auf Web- Plattformen von der Menge (engl. „crowd") oder von Hunderten Interessenten das Kapital für ihre Pläne ein.

3.000 Fans der TV-Serie „Stromberg" trugen im letzten Winter auf Startnext.de eine Million Euro für einen Kinofilm über den fiesen Versicherungsmanager zusammen. Und innerhalb weniger Wochen investierten 166 Interessierte bei Seedmatch 93.250 Euro in den Cosmopol-shop. „Wir brauchten Geld für den Ausbau des Sortiments, für Marketing und die Optimierung der Technik", erzählt Mitgründer Michael Kraus. Mittlerweile erscheinen jede Woche Nachrichten, dass Merger das Startkapital eines Unternehmens finanzieren oder eine neue Plattform das Crowdfunding „revolutionieren" wollen. Für diesen Herbst haben fünf weitere Anbieter ihren Start angekündigt.

„Wir haben in Deutschland eine Kapitallücke bei der Frühfinanzierung von Start-ups", beschreibt Andreas Kuckertz, der E-Business und Management an der Universität Dortmund lehrt, den Bedarf. Banken geben Unternehmen mit neuen, schwer einschätzbaren Geschäften keinen Kredit. Auch Musiker, Autoren und Regisseure haben Probleme, ihre Werke vorab zu finanzieren. Die Masse zahlt - mit wachsender Begeisterung: Weil sie teilhaben will an Kunstprojekten oder an Unternehmensgewinnen. Und weil das Vertrauen in die Produkte von Banken schwindet. „Bisher konnte man sich nur mit großen Summen an kleinen Unternehmen oder über die Börse mit kleinen Summen an großen Unternehmen beteiligen", erklärt Dennis Bemmann, Mitgründer von StudiVZ und von der Crowdfunding-Börse Bergfürst. „Jetzt kann man mit kleinen Summen in Wachstumsunternehmen investieren. Crowdfunding ermöglicht Kleinanlegern den Einstieg in den Risikokapitalmarkt." Ab einem Euro sind private Finanziers dabei (siehe Tabelle).

Crowdfunding ist jedoch nicht gleich Crowdfunding: Denn je nach Plattform oder Anbieter können Anleger mit einem Dankeschön oder mit Gewinn- und Erfolgsbeteiligungen rechnen. Für Letzteres müssen sie in der Regel mehr bezahlen. „Man kann Crowdfunding und -investing nicht in einen Topf werfen", erläutert René Klein, Geschäftsführer des Portals Fuer-gruender.de. „Beim Crowdinvesting geht es um viel mehr Geld und Firmenanteile, beim Crowdfunding werden Anleger am Erfolg in Form von Prämien beteiligt." Heute wird unterschieden zwischen:

❚ Crowdfunding: Organisationen oder Freunde sammeln für ein karitatives oder ein kommerzielles Projekt oder für ein Geschenk Geld. Die Investoren bekommen eine Prämie, etwa eine Kinokarte für den Film, den sie mitfinanziert haben. Bei Geschenken entfällt diese. Laut Fuer-gruender.de könnten 2012 durch die Masse bis zu vier Millionen Euro bereitgestellt werden.

❚ Crowdinvesting oder -financing: Firmen beteiligen Investoren über stille Teilhaberschaft, Genussrechte oder Aktien am Gewinn. Das Investitionsvolumen kann laut Schätzungen langfristig auf einen zweistelligen Milliardenbetrag wachsen.

❚ Crowdlending ist schon bekannter: Hier gewähren Verbraucher online einer Organisation Kredit gegen Zinsen.

Trotz der Unterschiede - der Weg zum Kapital ähnelt sich auf den Plattformen: Die Anbieter prüfen zunächst die Idee oder Geschäfte. „Von etwa 30 Bewerbungen für eine Crowd-Finanzierung landet eine auf der Plattform", sagt Jens-Uwe Sauer von Seedmatch. Während einer festgelegten Frist - meist 30 bis 60 Tage - präsentieren Firmen oder Künstler danach ihre Projekte. Interessierte Anleger können zeichnen und werden so je nach Vertrag zu stillen Teilhabern oder Aktionären. Kommt die geplante Geldmenge in der Ausschreibung nicht zustande, erhalten die Anleger ihre Einzahlungen zurück. Zahlt die Crowd ausreichend ein, fließt wenige Wochen nach Fristende das Geld abzüglich einer Provision von fünf bis zehn Prozent: „Beim Crowdfunding bleibt eine Menge Geld beim Vermittler hängen", gibt Kuckertz zu bedenken.

Cosmopol profitierte trotzdem von der teuren Finanzierung: Bis zum Vertragsende 2015 sind 188 stille Teilhaber am Shop beteiligt. „Wir veröffentlichen quartalsweise Geschäftsberichte, den Jahresabschluss und beantworten Fragen der Anleger", berichtet Kraus. „Das Management hat sich verbessert, wir arbeiten jetzt mit mehr Zahlen." Für die Kommunikation zwischen Geldnehmern und Finanziers bieten die Plattformen geschlossene Bereiche. Der Wachstumsschub wird beim Crowdfunding aktiv unterstützt: „Unsere Investoren sind Mitstreiter", sagt Kraus. „Wir machen einen Teil unseres Umsatzes mit ihnen." Die Finanziers empfehlen zudem Kooperationspartner, neue Produkte oder machen sich im Bekannten- und Kundenkreis für den Shop stark. Das nutzt beiden Seiten: Blüht das Unternehmen auf, steigt sein Wert und damit die Rendite. Dieser Werbeeffekt macht Crowdfunding gerade für mittelständische Firmen interessant: „Crowdfunding eignet sich auch für größere Unternehmen", ist Seedmatch-Gründer Jens-Uwe Sauer überzeugt. Tim Arlt, Chef von Gründer+, das sich auf E-Commerce spezialisiert, meint, dass „der stationäre Handel diese Finanzierungsart für sich entdecken" wird: „Multichannel wird Pflicht, Ladenbesitzer müssen einen Online Shop finanzieren." Und Crowdfunding bietet Alternativen zur Bank.

Doch etablierte Firmen benötigen meist mehr Geld. Aufsichtsrechtlich werden jedoch dem Crowdfunding in Deutschland Grenzen gesetzt: Während in den USA Unternehmer gleich mehrere Millionen Dollar einsammelten, sind die Investments der Massen hierzulande auf 100.000 Euro beschränkt. Um mehr Kapital von Anlegern einzuwerben, muss ein Verkaufsprospekt vorgelegt werden, den die Bankenaufsicht prüft. Trotz der Hürden: Viele Crowdinvesting-Plattformen wollen ans große Geld. Seedmatch überarbeitet seine Verträge, um ab Herbst größeren Kapitalbedarf zu stillen. Bergfürst will sich generell für umfangreichere Finanzierungen empfehlen, hat sich mit einer Banklizenz ausgerüstet, fordert von Firmen einen Prospekt und auch die Wandlung in eine kleine Aktiengesellschaft. Die Plattform ist eine Börse, Anleger sollen hier Firmenanteile handeln. Bei den anderen Anbietern binden sie sich, Einlagen fünf bis zehn Jahre im Unternehmen zu lassen.

„Crowdfunding ist neu, das reizt mich als Anleger", sagt Tobias Kramer, Geschäftsführer des Informationsportals Zertifikateberater. „Außerdem kann ich an innovativen Geschäftsideen partizipieren." Es ist aber Vorsicht geboten: Für Anleger ist Crowdfunding riskant. Start-ups können in die Insolvenz rutschen, das investierte Kapital ist dann futsch. Stille Beteiligungen lassen sich vor Vertragsende nur schwer und mit Einbußen weiterverkaufen, da es keinen Markt dafür gibt. Nimmt die Firma weiteres Kapital auf, verwässert das den Wert der Anteile. Kramer hat bereits erste schlechte Nachrichten erhalten. Ein Unternehmen lieferte schlechtere Zahlen als vorgesehen. Er hat zudem bei Ausschreibungen genau nachgerechnet: „Man muss sehr genau darauf schauen, wie am Ende der Beteiligung der Firmenwert berechnet wird. Normalerweise werden Technologie-Unternehmen offensiver bewertet als beim Crowdfunding." Der große Gewinn kommt so eher selten. vs ❚

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