Über fünf Minuten lässt sich Benny Gantz umjubeln. Seine Partei feiert ihre Gründung. Chossen L'Israel (Widerstandskraft für Israel) heißt diese. Die Fans sind hoch motiviert. Denn Benny Gantz kommt nicht nur bei ihnen gut an. Der 59-jährige, hochgewachsene Ex-Generalstabschef scheint im Moment alles zu verkörpern, worauf Israels Unentschlossene gewartet haben. Und attraktiv ist er auch, wie ihm Journalisten aller politischen Richtungen zugestehen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat auf einmal einen ernst zu nehmenden Gegner.
„Links und rechts gibt es nicht mehr. Israel zuerst!“, so lautet die Parole, mit der Gantz lockt. Er gibt sich selbstbewusst, siegessicher, unaufgeregt, extrem professionell. Der Ex-Militär ohne politische Erfahrung hat auch gute Berater. „Am 9. April werde ich eine nationale Regierung, eine machtvolle Regierung gründen“, tönt er.
Gantz wäre nicht Israels erster Regierungschef, der die längste Zeit seines Lebens Uniform trug. Vor ihm gab es Yizhak Rabin, Ariel Scharon und andere, aber er wäre der Erste, dem der Sprung gleich ins höchste Regierungsamt gelänge. Er repräsentiere eine Mischung aus „altmodischem Respekt für nahbare Generäle“ und der „revolutionären Fähigkeit populistischer Außenseiter wie Donald Trump, die alte Ordnung durcheinanderzubringen“, schreibt der Analyst Chemi Shalev von Haaretz. Umfragen rechnen dem vierfachen Vater gute Chancen aus.
Werben mit toten Terroristen. Mit dem seit 2009 regierenden Benjamin Netanjahu (Likud) könnte er es aufnehmen. Freilich wird der Ministerpräsident von der stärksten Partei gestellt. Noch liegt die Chossen L'Israel mit 21 bis 24 möglichen Mandaten mindestens sechs Mandate hinter dem Likud zurück, der auf etwa 30 Sitze in der Knesset kommen könnte. Gut zwei Monate bleiben Gantz bis zur Wahl am 9. April noch für die Suche nach Verbündeten.
Schon vor seiner Antrittsrede ließ Israels neuer Politstar einen Teil seiner ideologischen Hüllen fallen, als er sich in einem Video der „Errungenschaften“ des Gaza-Kriegs 2014 rühmte. Vor Bildern zerstörter Stadtviertel rechnet er die Zahl der „Terroristen“, die getötet wurden, auf 1364 aus. Der gruselige Film war Auftakt zur Kampagne, sich als Sicherheitspolitiker zu profilieren. Kommentatoren in der linken Zeitung Haaretz reagierten empört, bei den meisten Israelis zieht hingegen das Argument Sicherheit auch dann, wenn Menschenrechte missachtet werden.
In einer Umgebung wie dem Nahen Osten „gibt es keine Gnade für die Schwachen. Nur die Starken überleben“: Gantz schickt seine Warnung an die Chefs in Teheran, in Gaza und an die Hisbollah im Libanon. Sie sollten sich hüten, ihn herauszufordern. Den Menschen im Gazastreifen will er zwar humanitäre Hilfe zukommen lassen. Den Transfer von „Bargeld in Koffern an mörderische Banden“ werde er aber nicht dulden. Ohne das Geld, das Katar für die Gehälter der Beamten im Gazastreifen spendet, würde sich die Lage der rund zwei Millionen Palästinenser bald weiter verschlimmern.
Gantz lässt gern seine Eltern ins Gespräch einfließen. Seine Mutter überlebte das KZ Bergen-Belsen. „Kämpfe gegen Terroristen, aber hör' nicht auf, ihnen (den Menschen in Gaza, Anm.) Essen zu schicken“, soll sie ihm geraten haben. Auch sein Vater war Holocaustüberlebender. Beide zogen nach 1945 in ein Kibbuz, wo Gantz mit drei Schwestern aufwuchs.
Linke würden ihn gern anklagen. Zu den glanzvollen Höhepunkten seiner Militärzeit zählte die Operation Salomon, mit der 1991 knapp 15.000 äthiopische Juden nach Israel kamen, und der Abzug der Truppen aus dem Libanon 2000. Gantz war der letzte Offizier, der den über 20 Jahre lang besetzten Südlibanon verließ. Für seine Rolle im Gaza-Krieg würden ihn Linke indes gern vor dem Internationalen Strafgerichtshof sehen. Eine Menschenrechtsorganisation will wissen, dass von 2202 getöteten Palästinensern nur 765 Kämpfer gewesen seien.
Über die Perspektiven von Verhandlungen mit den Palästinensern hält sich Gantz vage. Unter seiner Führung werde man Frieden anstreben, sagt er, schließt aber eine Teilung Jerusalems aus. Den Bau in den sogenannten Siedlungsblöcken, für die es im Fall einer Zweistaatenlösung einen Landtausch geben müsste, will er fortsetzen, außerdem „wird der Jordan unsere östliche Sicherheitsgrenze bleiben“.
Auf dieser Ebene ließen sich politische Partner finden. Seinen früheren Vorgesetzten Mosche Jaalon konnte Gantz gewinnen. Für einen Sieg gegen Netanjahu reicht das nicht. Die Hoffnung der Gegner Netanjahus hängt an der Zukunftspartei von Jair Lapid. Fast wortgleich schimpfen die Parteichefs Lapid und Gantz auf den korrupten Premier, der das Volk teilt, gegen Richter, Künstler und Journalisten hetzt. „Eine starke Regierung vereint, statt zu entzweien“, sagt Gantz. Er wolle den Kampf zwischen links und rechts, religiös und weltlich, Juden und Nicht-Juden beenden. Bessere Bildung, Medizin, mehr Jobs und sinkende Lebenshaltungskosten – auch hier überschneiden sich die Programme der Parteien.
Lapid hätte nichts gegen ein Bündnis. Der Blitzstart der Chossen L'Israel hat seiner Zukunftspartei Stimmen gekostet, so wie der Arbeitspartei, die auf vernichtende sechs Mandate rutscht. Voraussetzung für Lapid wäre jedoch, dass er die Nummer eins bliebe. Wahlkampftechnisch würde das wenig Sinn machen, denn unter Führung des populäreren Gantz könnte man mehr aus einem Bündnis herausholen.
In der Zukunftspartei gibt man sich vorläufig kompromisslos. Schließlich sei man Gantz um Erfahrung in der Politik voraus. Sollte er sich gegen ein Zusammengehen mit der Zukunftspartei entscheiden, wäre Lapid bereit, den Kampf gegen ihn aufzunehmen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2019)
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