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Algeriens stille Revolution

Die Protestbewegung in Algerien wird «Hirak» genannt und von der Arbeiterbevölkerung bis zur intellektuellen Avantgarde haben sich für sie alle zusammengeschlossen. Ramzi Boudina / Reuters

Jeden Donnerstag tönt nach Einbruch der Dunkelheit ein merkwürdiger Klang durch die Strassen von Algier: Suppenkellen, die blechern klirrend auf Töpfe und Salatschüsseln trommeln. Während der Kolonialzeit demonstrierten die Algerierinnen so für ihre politischen Gefangenen. Heute kündigen sie die Proteste am nächsten Tag an, bei denen jedes Mal viele junge Leute verhaftet werden. Dennoch folgen Hunderttausende jede Woche dem Ruf. Seit fast einem Jahr gehen die Algerier auf die Strasse, ohne dass die Welt stark Notiz davon nehmen würde. Der grosse Umsturz bleibt bis jetzt aus. Warum kommen sie trotzdem immer wieder?

"Wir wissen, dass sich so schnell nichts ändern wird", sagen Latifa und Karim, die dennoch keinen Protestfreitag verpasst haben. Sie verfolgen einen Plan, der langfristig angelegt ist und ihre Gesellschaft von innen heraus wandeln soll.

Dableiben ist der erste Schritt

Eigentlich wollte Karim weg aus Algerien, wie alle seine Freunde. Das Land konnte jungen Menschen nichts bieten. Hier hatte er als Jugendlicher den Terror des Bürgerkriegs erlebt und als Student die lähmende Korruption der kleptokratischen Machthaber, die in Algerien nur "le pouvoir" genannt werden. Wie viele junge Leute aus seinem Umfeld studierte Karim extra einen Beruf, der im Ausland gefragt ist. Mit seinem Informatikabschluss hatte er das Visum für Kanada schon so gut wie in der Tasche. Doch dann blieb er, als alle anderen gingen.

"Auswandern wäre der einfache Weg gewesen", sagt Latifa. Auch sie ist hochqualifiziert, hat einen Doktor in Biotechnologie und kann sich als Ingenieurin praktisch aussuchen, wo auf der Welt sie leben möchte. Sie hat sich für Algerien entschieden, für ihre marode Heimat. "Wenn all die guten Leute das Land verlassen - was wird dann daraus?", fragte sie damals Karim. Gemeinsam beschlossen sie, den schwierigen Weg zu gehen. Dass sie blieben, ist einer der Gründe dafür, dass Algerien jetzt vor einem tiefen Umbruch steht.


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