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Am Ende haben sie nichts mehr zu verlieren

Ein afrikanischer Migrant zeigt seine Hände, die er sich bei der Übersteigung des Grenzzauns in die spanische Exklave Ceuta verletzt hat. (Bild: Mosa'ab Elshamy / AP)

Die meisten afrikanischen Migranten versuchen heute über Marokko nach Europa zu gelangen. Das Königreich fordert stärkere Unterstützung, derweil floriert das lokale Schleppergeschäft.



Seit Fatoumata vor zwei Jahren aus Mali aufgebrochen ist, ist die Angst ihre ständige Begleiterin. Als sie in dieser Nacht im Oktober den Wald verlässt, weiss sie noch nicht, dass es diesmal klappen wird, dass sie nie wieder zurückkehrt. Ein Jahr lang war der Wald von Gourougou ihr Zuhause, ein Jahr lang war jeder Fluchtversuch gescheitert. Immer wieder musste sie in ihre improvisierte Baracke zurückkehren, gebaut aus Plastikplanen, Ästen und Zweigen. Immer wieder musste sie sich eine neue errichten, wenn die marokkanische Polizei gekommen war, um die Bewohner zu verprügeln, alles niederzubrennen und die wenigen Wertgegenstände mitzunehmen.

Bis zu dieser Schicksalsnacht, um drei Uhr morgens. Zu Fuss legt sie zusammen mit zwölf anderen Frauen die Strecke vom Wald bis zur Grenze von Melilla zurück, zehn Kilometer. Beim ersten Versuch überwinden die Frauen die meterhohen Zäune mitsamt dem Klingendraht. Ihre Hände haben sie mit Stoff umwickelt, um sich nicht aufzuschneiden. Sie haben kleine Haken an den Schuhen, um schneller klettern zu können und nicht so leicht abzurutschen.

Im vergangenen Jahr hat die Zahl der nach Europa Flüchtenden stark abgenommen. Die Zahl der Ankömmlinge in Spanien hingegen ist gestiegen. 60 000 Menschen erreichten 2018 spanisches Gebiet, doppelt so viele wie im Jahr zuvor und viermal so viele wie vor zwei Jahren. Fast alle Ankömmlinge passierten Marokko. Die Hauptroute der Migranten hat sich von Libyen hierher verlagert. Von der marokkanischen Küste setzen die meisten mit dem Boot über. Ein paar machen es wie Fatoumata: Sie überwinden die Grenzzäune der spanischen Exklaven Melilla oder Ceuta.


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