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Ein Satz heißer Ohren

Pornos ohne Bild? Klingt ungefähr so spannend wie ein Krimi ohne Mordfall. Fehlt irgendwie die Hauptzutat. Mal reinhören. „Meine Finger bahnen sich ihren Weg unter dein Outfit, zu deiner Mitte. Ich kann es gar nicht schnell genug wegschieben, so sehr habe ich Lust. Ich will dich endlich spüren."

Vielleicht was für Sehgeschädigte? Aber nein. Eine andere Porno-Randgruppe soll damit beglückt werden: die Frauen. Die sind nämlich ziemliche Sexfilm-Muffel. Bei einem Portal wie Porn Hub machen sie nicht mal ein Viertel der Nutzer aus. Liegt das daran, dass Frauen keine Pornos mögen? Oder an der Machart der Clips?

Eine Reihe von jungen Gründerinnen und Gründern glaubt: Auch Frauen gelüstet es nach stimulierendem Material, es mangelt aber an passenden Produkten für sie. Grell ausgeleuchtete Geschlechtsteile und Kopulation in Großaufnahme seien jedenfalls nicht das, was die Damenwelt in Ekstase versetze. Dass die meisten Sexfilme aus der männlichen Perspektive gefilmt sind, macht es nicht besser. Frauen kommen darin vor allem als Lustobjekt des Mannes vor. Hauptsache, sie machen alles mit und die Männer finden's geil.

Das Zentrum der weiblichen Lust: die Vorstellungskraft

Die Start-up-Unternehmer sind überzeugt, dass sich nicht nur das ändern muss. Das Zentrum der weiblichen Lust sei nämlich gar nicht das Auge, sondern die Vorstellungskraft. Ihre Fantasien törnten Frauen viel mehr an als irgendwelche expliziten Bilder. Deswegen sei das Ohr ihre heißeste erogene Zone. Auch eine Studie der Indiana University hat ergeben, dass vor allem Frauen Spaß an Dirty Talk, Stöhngeräuschen oder erotischen Hörspielen haben.

Deutsche Hörpornos findet man zum Beispiel auf dem von Nina Julie Lepique und Michael Holzner gegründeten Portal Femtasy. Die im Jahr 2018 in Köln gestartete Plattform ist eine Art Spotify für erotische Hörgeschichten und funktioniert über ein Abo-Modell. Für knapp 13 Euro im Monat lassen sich hier explizite Tracks wie „Auf der Rückbank", „Nach Ladenschluss" oder „Geiler Pizzadienst" streamen.

Zumindest den Titeln nach unterscheiden sich die Produktionen damit wenig von den Hörspielen, die man bereits in den 70er oder 80er Jahren in Sexshops kaufen konnte und die „Heiße Flugabenteuer" oder „Lustvollzug im Anwaltsbüro" versprachen.

„Langsam fahre ich mit meiner Hand in deine Jeans"

Einen Unterschied gibt es aber doch: Damals stöhnten oft mehrere Schauspieler Dialoge ins Mikro, heute wird in der Regel vorgelesen: „Langsam fahre ich mit meiner Hand in deine Jeans. Ich taste mich vorsichtig voran und gleite mit meinen Fingern in dein Höschen. Du seufzt sanft und schließt die Augen. Meine Finger wandern an deiner Haut herab, finden tastend die Hitze zwischen deinen Beinen."

Porno-Darstellerinnen auf der Sexmesse Venus in Berlin. Foto: imago/Revierfoto

Jeder Track kommt mit einem kurzen Teaser und einer Einordnung, was einen erwartet, etwa „verbotene Reize", „von hinten", „öffentlich", „Frau mit Frau", „für Paare". Das Feld reicht von pastoralen Blümchensex-Settings bis zu Hardcore. Auch Fantasien wie „Erniedrigung", „Schmerzen" oder „Lehrer mit Schülerin" lassen sich dort aufrufen.

Manche Geschichten sind aus weiblicher, andere aus männlicher Perspektive erzählt. Femtasy garantiert dabei Standards: So sollen alle Tracks body-positiven, einvernehmlichen, vielfältigen und gleichgestellten Sex darstellen. In jedem Fall weiß man vorher, worauf man sich einlässt, das zeigen die Kategorien an. Wer will, findet darunter auch „Unterwerfung", „Schlucken" oder „dominierende Frau".

Sanft, intensiv oder derb? Das kann man wählen

Man kann außerdem eingeben, welchen Tonfall man bevorzugt (sanft, intensiv oder derb) und welches Genre es sein darf: lieber eine erotische Geschichte, Telefonsex oder Stöhngeräusche? Am beliebtesten ist laut Femtasy ein Format, in dem die Hörerin direkt angesprochen wird: Dirty Talk.

Nach Angaben einer Femtasy-Sprecherin werden die Geschichten auf der Seite etwa eine Millionen Mal pro Monat angeklickt, 89 Prozent der Abonnenten sind weiblich und zwischen 25 und 35 Jahre alt. Das Entscheidende für den Erfolg bei den Nutzerinnen sei die Stimme. Manche fahren auf das sanfte Gesäusel von Lewis ab, andere eher auf die tiefe Stimme von Raphael oder die gehauchten Sätze von Ava. Insgesamt sind es mehr als 40 verschiedene Sprecherinnen und Sprecher.

Hörporno-Start-ups haben 2019 mehr als acht Millionen Investoren-Dollar gesammelt

Die Textvorlagen werden von bezahlten Autoren geschrieben, auch die Sprecher sind Profis. Andere Seiten wie etwa das englischsprachige Quinn bieten dagegen von Nutzern hochgeladene Inhalte. Die Qualität schwankt entsprechend, dafür ist dieses Portal anders als Femtasy kostenlos. Hochgezogen hat es Caroline Spiegel, die Schwester von Snapchat-Gründer Evan Spiegel, im vergangenen Jahr.

Laut dem Magazin „Forbes" haben Hörporno-Start-ups 2019 insgesamt mehr als acht Millionen Investoren-Dollar eingesammelt. Die Anbieter lehnen sich mit ihrem Geschäftsmodell an verschiedene aktuelle Trends an. Einerseits erleben viele Hörformate wie Podcasts einen Boom. Gleichzeitig drängt eine wachsende Zahl von Start-ups auf den Markt, die mit Kosmetik, Spielzeug und stimulierenden Inhalten an der weiblichen Sexualität verdienen wollen.

Trotzdem ist die weibliche Lust ist in der Pornobranche noch immer eine Nische. Auch wenn es seit Jahren eine Szene für feministische Sexfilme gibt: Überwiegend werden Pornos produziert, die auf männliche Konsumenten abstellen. Es heißt oft, die Mainstream-Pornografie gefalle Frauen nicht, weil ihnen die Filme zu eindimensional seien. Sie wollten nicht so viel Gerammel, dafür mehr Kontext, Kommunikation, Intimität.

Gibt es mit den Hörpornos nun also endlich ein perfektes Pornoformat für Frauen? Die Kulturwissenschaftlerin Madita Oeming, deren Forschungsschwerpunkt Pornografie ist und die an der FU Berlin im laufenden Semester das Seminar „Porn in the USA" gibt, ist sich da nicht so sicher. Sie sagt, viele der Thesen über den Pornokonsum von Frauen seien lediglich Mutmaßungen.

Weil Pornografie noch immer wenig erforscht sei, beruhten viele Auskünfte über Pornokonsum auf Selbstauskünften. Diese seien aber nur bedingt verlässlich. Oeming gibt zu bedenken, dass Umfrageteilnehmer oft das zu Protokoll geben, was sie für die gesellschaftlich erwünschte Antwort halten. Auch unser Medienkonsumverhalten sei von gelernten sozialen Rollen beeinflusst.

Frühere Muster wirken bis heute fort

Die weibliche Sexualität ist jahrhundertelang kontrolliert und tabuisiert worden. Sexuell umtriebige Frauen galten als Gefahr für die Ordnung der Gesellschaft. Also wurde die Damenwelt auf Reproduktion, Enthaltsamkeit oder Bedürfnisbefriedigung des Mannes getrimmt - nicht aber auf die eigene Lust. Zumindest unterbewusst wirkten diese Muster bis heute fort, meint Oeming.

Sie glaubt, dass der Erfolg von Audiopornformaten bei Frauen auch damit zusammenhängt, dass erotischen Geschichten und Tonaufnahmen in unserem Kulturkreis ein harmloseres Image anhaftet. Sie würden im Vergleich zu Bildern als weniger explizit wahrgenommen. Die Hemmschwelle sei geringer.

Das muss aber nicht bedeuten, dass dieses Format Frauen tatsächlich mehr stimuliert. Eine kürzlich vom Max-Planck-Institut in Tübingen veröffentlichte Studie ergab, dass Frauen rein neurobiologisch genauso stark auf visuelle Pornografie anspringen wie Männer. Das zeigt die Auswertung ihrer Gehirnaktivitäten. Auch wenn man auswertet, was Frauen tatsächlich anklicken, etwa bei Femtasy, zeigt sich: Die wollen nicht nur kuscheln. Die gefragteste Tonart ist „derb", unter den Fantasien sind „Lecken", „Dominanz" und „Dreier" die beliebtesten.

Sexuelle Offenheit zu demonstrieren, passt zum Zeitgeist

Viele der neuen Erotik-Anbieter wollen aber raus aus der Schmuddelecke und verpassen ihren Produkten ein lifestyliges Image. Die Optik der Website von Femtasy erinnert mit ihrem reduzierten Design und den Pink-, Orange- und Minttönen eher an eine Achtsamkeits- als an eine Pornoseite. Ein anderes Beispiel sind Vibratoren: Die sehen längst nicht mehr aus wie Gummipenisse, sondern eher wie irgendwelche neuen Gadgets. Laut Deutschlandfunk hat schon jede vierte Frau in Deutschland und sogar jede zweite Frau in den USA einen zu Hause. Sexuelle Offenheit zu demonstrieren, passt zum Zeitgeist.

Es gebe allerdings einen großen Unterschied zwischen dem Auftreten nach außen und der tatsächlichen Gelassenheit im Umgang mit der eigenen Lust, meint Oeming: „Dass man einen Vibrator kauft, sagt nichts darüber aus, ob und wie man den benutzt."

Viele Frauen fühlten sich noch immer nicht berechtigt, sich selbst zu befriedigen, Pornos zu schauen oder gar Geld dafür auszugeben. Das wissen sie auch bei Femtasy. Wer die Plattform abonniert, findet Abbuchungen der „Pink GmbH" auf seinem Kontoauszug - das fällt weniger auf zwischen den ganzen Überweisungen an Vattenfall und Sportverein.

Warnung: Manche Audiopornos können zum Hörsturz führen. Foto: imago images/PhotoAlto

Oeming sagt, sie freue sich „über alles, was Frauen zum Masturbieren animiert", seien es Toys, Filme oder Hörpornos. Für sie ist Selbstbefriedigung der notwendige Ausgangspunkt, um die eigenen sexuellen Wünsche und Grenzen kennenzulernen und dann auch anderen gegenüber zu formulieren. Pornos könnten dabei helfen, Fantasien auszukosten, für die man sich schämt, mit denen man sich nicht zu experimentieren traut. Es könne befreiend, sogar heilsam sein, zu realisieren, dass andere die eigenen, scheinbar abwegigen Sehnsüchte und Begierden teilen.

Viele Pornos könnten den „Bad sex fiction"-Award gewinnen

Bleibt das Problem, dass über Sex zu schreiben eine Herausforderung ist, an der sogar große Literaten regelmäßig scheitern. Nicht umsonst wird seit über 25 Jahren der „Bad Sex in Fiction"-Award verliehen, der die Tiefpunkte der Sexprosa prämiert.

Abgeräumt haben ihn bereits Norman Mailer, Jonathan Littell oder die irische Autorin Mary Costello. Die schrieb: „... sie bat ihn, tiefer zu gehen, und, nicht länger fürchtend, sie zu verletzen, drang er tief in Geist und Körper vor, in Hohlräume voller Organe, an den Konturen ihrer Lunge und Leber vorbei, und, an ihrem Herzen vorbeitaumelnd, fühlte er ihre Perfektion."

Auch die ein oder andere moderne Hörporno-Geschichte hätte durchaus Chancen auf den Preis. Wobei die literarische Qualität vielleicht nicht das entscheidende Kriterium ist. Überhaupt lassen sich kaum objektive Kriterien oder allgemeine Erregungsfaktoren für die Geschichten formulieren. Für manche mag ein Satz wie „Du lehnst dich auf der Couch zurück und ziehst mich zu dir herunter, sodass ich auf dir zu liegen komme" der Gipfel der Erotik sein. Andere kriegen einen Lachanfall.

In jedem Fall machen die Hörpornos ein neues Feld auf für alle, die mit den üblichen Filmen nicht viel anfangen können. Ob das nun Frauen sind oder Männer.

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