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Die Rote Revolution

Plötzlich ist die Periode überall. In Prenzlauer Berg wurde ein Schaufenster zwischen Eisdiele und Café großflächig mit Menstruationslips dekoriert. Also mit Unterhosen, die Regelblut absorbieren. Daneben bunte Pappaufsteller, die erklären wie viel Blut ein solches Höschen aufnimmt: ungefähr so viel wie drei Tampons, rund 30 Milliliter. Ein paar Meter weiter liegt das Buch „Ebbe und Blut. Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus" zwischen Glitzersocken und Sonnenbrillen in einem Concept-Store. Ein hübsch illustrierter Band über die Menstruation für den Kaffeetisch.

Und auf dem Lollapalooza-Musikfestival waren im vergangenen Jahr rote Zelte aufgebaut, in denen sich menstruierende Frauen bei einer Bloody Mary entspannen konnten. Sogar ein Perioden-Emoji gibt es seit kurzem. Gerade fand der weltweite Menstrual Hygiene Day statt, eine Petition gegen die Besteuerung von Hygieneartikeln hat inzwischen mehr als 75.000 Unterzeichner und landet im Juni im Bundestag vor dem Petitionsausschuss. Die Menstruation, das muss man so sagen, hat gerade einen Lauf. Laut einer Studie von Plan International UK aus dem Jahr 2017 schämen sich dennoch immer noch 48 Prozent der Mädchen für ihre Periode. Ein Fünftel der befragten Frauen geniert sich, Tampon und Co im Supermarkt aufs Fließband zu packen. Wenn eine einen Tampon braucht, fragt sie noch immer ihre Arbeitskolleginnen oder Freundinnen im Flüsterton. Nicht mal der Begriff „Menstruation" geht richtig gut über die Lippen. Bis zu 5000 Synonyme soll es weltweit geben. Und wenn jemand einen Periodenwitz erzählt, verzieht garantiert einer das Gesicht. Von Periodensex ganz zu schweigen.

Menstruelle Anarchie

Und doch hat es die Periode irgendwie aus dem Dunkel der Damentoiletten bis in den Concept Store geschafft. Der gesellschaftliche Umgang mit der Menstruation verschiebt sich gerade. Der britische „Guardian" hat schon eine „Perioden-Revolution" ausgemacht, die kanadische „Globe and Mail" wittert gar „menstruelle Anarchie". Wie kam das - und was soll das eigentlich? Zum einen spielt die Digitalisierung eine Rolle. Seit einigen Jahren nutzt eine wachsende Anzahl Frauen Menstruationsapps, um ihren Zyklus zu tracken. Mit der Folge, dass sie ein gesteigertes Bewusstsein für die Vorgänge in ihrem Körper entwickeln. Außerdem experimentieren vor allem jüngere Frauen mit Alternativen zu Tampons und Binden, etwa mit Menstruationstassen.

Das sind kleine, elastische Becher aus Silikon, die in die Scheide eingeführt werden und dort bis zu zwölf Stunden verbleiben können. Anschließend zieht die Nutzerin die Tasse heraus, schüttet das Blut in die Toilette, spült den Becher für die nächste Verwendung aus. Wobei sie deutlich intensiver mit ihrer Menstruation in Kontakt kommt, als wenn ein Tampon die Regel „da aufnimmt, wo sie passiert".

Free Bleeding

Andere Frauen experimentieren mit „Free Bleeding". Das heißt, dass sie während der Periode möglichst komplett auf Hygieneartikel verzichten, weil sie die unbequem, unökologisch oder ungesund finden. Sie gehen stattdessen zur Toilette, sobald sie spüren, dass Blut fließt. Das kann funktionieren, weil das Monatsblut nicht kontinuierlich, sondern schubweise abgesondert wird. Angeblich entwickelt man mit der Zeit eine große Sensibilität für den Blutfluss und lernt ihn dem Harn vergleichbar zu kontrollieren. Mit „Free Bleeding" produzierte die 26-Jährige Kiran Gandhi, Harvard-Absolventin und Schlagzeugerin der britischen Sängerin M.I.A., im Jahr 2015 einen Skandal. Sie bekam am Abend vor dem London-Marathon ihre Tage. Es war ihr erster Marathon, monatelang hatte sie hierfür trainiert. Gandhi entschied sich, die 42 Kilometer ohne Tampon oder Binde zu laufen. Das Foto ihrer blutverschmierten orangefarbenen Sporthose ging um die Welt. Gandhi erklärte, dass sie beim Marathon nicht durch Hygieneartikel eingeschränkt sein und sie die Befindlichkeiten anderer nicht über ihr eigenen stellen wollte. Dem „People Magazine" sagte sie, sie habe Frauen ermutigen wollen, sich nicht für ihre Periode zu schämen. Gandhi wurde mit Hasskommentaren überschüttet. „Das ist absolut widerlich", „Hat diese Frau keine Würde?" und „Ist ihr nicht klar, dass sie in einem zivilisierten Land gelaufen ist, wo wir solche vulgären Vorgänge nicht zur Schau stellen?" wütete das Netz. Gandhi erhielt sogar Morddrohungen.

Die Periode als Defekt

Wie kann es sein, dass ein bisschen Blut derart heftige Abwehrreaktionen hervorruft? Offenbar ist ein Kulturkampf um die Deutungshoheit entbrannt: Ist die Enttabuisierung der Periode nun ein Akt der Befreiung oder ein Sinnbild für den Verfall der Sitten? Vor allem die, die von der bisherigen Ordnung profitieren, könnten daran interessiert sein, dass alles bleibt, wie es immer war. Nicht dass am Ende noch jede macht, was sie will. Die Periode wurde lange als Defekt im Bauplan der Frau angesehen, als Makel.

Der griechische Arzt Hippokrates konstatierte, dass die Konstitution der Frau feuchter, weniger dicht und schwächer sei als die der Männer. Der Römer Plinius der Ältere hielt das Regelblut für hochgefährlich und warnte in seiner "Naturalis Historia", dass der Monatsfluss den Wein sauer werden lasse, die Ernte verderbe und Spiegel matt mache. In fast allen Weltreligionen gilt die Menstruation als unrein. Im Mittelalter wurde das Blut sogar für Krankheiten wie Pest und Lepra verantwortlich gemacht. Für menstruierende Frauen gab es Verhaltensvorschriften. Die stammten von Männern wie dem Gynäkologen Livius Fürst. Er mahnte Ende des 19. Jahrhunderts, sie sollten vermeiden „Eisenbahn zu fahren, die Nähmaschine zu treten oder schwere Möbel zu rücken". Außerdem seien „Turnen, Schlittschuhlaufen, Schwimmen und Bergtouren untersagt". Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbrachte der österreichische Arzt Béla Schick den Beweis, dass Menstruationsblut giftig sei. Er hatte doch tatsächlich beobachtet, dass Blumen schneller verwelkten, wenn menstruierende Frauen in der Nähe waren. Das vermeintliche Gift erhielt sogar einen Namen: „Menotoxin". Erst Ende der 50er Jahre wurde Schicks These wissenschaftlich widerlegt. Was nicht bedeutet, dass sie damit auch aus den Köpfen verschwunden wäre. Noch Jahrzehnte später wurden menstruierende Frauen misstrauisch beäugt. Speisen einkochen, Wein oder Wurst produzieren, Sahne schlagen, im Fotolabor arbeiten - alles nichts für Frauen, die ihre Tage haben.

"Monstruation"

„Die Menstruation galt stets als Beweis für die Fehlerhaftigkeit, die Schwäche, die Unterlegenheit der Frauen", schreibt die Zeitschrift „Emma". Dazu gehört auch, dass Frauen wegen ihres Zyklus als wankelmütig und launenhaft gelten. „Die hat wohl ihre Tage!", damit wird dem Verhalten von Frauen bis heute die Legitimität abgesprochen. Nicht ganz dicht, die Weiber. Nun sind auch nicht alle Frauen Menstruation-Fans. Viele leiden darunter, finden sie ekelig, lästig. Eine Workshop-Teilnehmerin sagte auf der Digitalkonferenz Republica, das Wort „Monstruation" bringe ihr Verhältnis zur Periode auf den Punkt. Manche nehmen die Pille oder eine Hormonspirale, um ihre Blutung auf ein Minimum zu reduzieren. In der Werbung für „Hygieneprodukte" dreht sich alles darum, dass die Frau auch während ihrer Tage frisch und sauber ist. Mit blauer „Ersatzflüssigkeit" wird demonstriert, wie perfekt Binde oder Tampon ihre Arbeit erledigen. Die Botschaft ist eindeutig: Das Original will keiner sehen. Eine gute Frau lässt sich nicht anmerken, dass sie ihre Tage hat. Und hüpft auch munter in engen weißen Leggins herum.

Verhältnis der Geschlechter

Frauen, die ihre Menstruation nicht länger verstecken, werden oft als ekelig beschimpft. Das geht besonders effektiv über den öffentlichen Pranger der Sozialen Netzwerke, weil Menschen eine tiefsitzende Furcht davor haben, Ekel zu erregen und dafür von der Gemeinschaft verstoßen zu werden. Die amerikanische Philosophin Kate Manne schreibt in ihrem Buch „Down Girl: Die Logik der Misogynie", dass die Aussicht, verabscheut zu werden, ein starkes Motiv bilde, ein als verabscheuungswürdig geltendes Verhalten zu vermeiden. Frauen derart zu beschämen, könnte auch bezwecken, sie zum Schweigen zu bringen, ihre Rebellion gegen die alten Tabus zu unterdrücken.

Denn der Körper ist politisch. In einer Neubewertung der Periode liegt Sprengkraft für das Verhältnis der Geschlechter. Das ließ sich eindrucksvoll in der Weihnachtsmesse der Berliner Gethsemanekirche besichtigen. Dort sang eine junge Punkerin im Gemeindechor, sie trug eine Lederkutte. Einer der Aufnäher darauf verkündete die frohe Botschaft: „Ich menstruiere auf das Patriarchat". Sind solche provokativen Sprüche oder Grenzüberschreitungen wie die der Marathonläuferin Gandhi nötig, um die Tabuisierung der Periode zu überwinden? Sarah Eichert, 27, Grafik-Designerin und Illustratorin aus Weimar, bloggt seit 2017 als selbsternannte „Menstruationsbeauftragte". Sie sagt: „So etwas wird gebraucht, damit das Thema im Mainstream ankommt. Das, was verstört und polarisiert, bleibt den Leuten im Kopf, und sie beginnen sich darüber auszutauschen."

Periode als Superkraft

Das, findet sie, sei unbedingt nötig und hofft, dass die aktuelle Petition die Besteuerung von 19 Prozent für Tampons, Binden und Co in Deutschland kippt. Denn die Menstruation ist weder Luxusartikel noch Nischenphänomen, sondern betrifft die Hälfte der Menschheit. Ländern wie Kanada, Indien oder Tansania haben die Besteuerung der Produkte inzwischen komplett abgeschafft. Eichert findet, Frauen sollten stolz sein auf ihren Körper, auf ihren Zyklus. Für sie ist die Periode ist eine Superkraft.

Schließlich sei die Menstruation ein Zeichen von Fruchtbarkeit Man könnte auch sagen: von Potenz. Dass Männer das so sehen würden, könnten sie selbst menstruierten, hat die amerikanische Feministin Gloria Steinem schon in den 70ern in einem Essay dargelegt. Darin malt sie sich aus, wie Männer damit prahlen würden, wie lange und heftig sie ihre Tage haben. Derselben Botschaft hat Eichert eine Kollektion von Perioden-Produkten gewidmet. Alle tragen dasselbe Logo: Eine Tampon-Illustration mit dem Slogan „Make Periods Great Again" auf Kaffeetassen, Jutebeuteln, i-phone-Hüllen und Männer-T-Shirts.

Periodenneid?

Auch auf Twitter kursieren Hashtags wie #happytobleed oder #powertotheperiod. Es ist das klassische Muster von „Pride"-Kampagnen: Eine Gruppe eignet sich selbstbewusst an, was ursprünglich abwertend gegen sie verwendet wurde. Man kennt das zum Beispiel von der „Black is Beautiful"- Bewegung der 60er Jahre. Da wurde der Afro zum gefeierten Schönheitsmerkmal umgedeutet. Und irgendwann vom Mainstream übernommen. Vielleicht wird die Periode noch zum Hype? Die Berliner Firma Einhorn, die vegane Kondome und Menstruationsprodukte vertreibt, hat einen Film gedreht, der von einem Mann namens Neumann handelt. Er wünscht sich nichts sehnlicher als menstruieren zu können. Für seine Therapeutin ein klarer Fall: Der Mann leidet an Periodenneid.

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