Steven Meyer

Freier Autor und Journalist, Berlin

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Menschen mit systemrelevanten Berufen: Auf sie kommt es jetzt an

In der Corona-Krise halten die Beschäftigten in Krankenhäusern, Supermärkten, Praxen das System am Laufen. 13 von ihnen berichten aus ihrem Alltag.


„Die Leute sehen uns mit anderen Augen"

Nicole Meyer, 51, arbeitet als Supermarkt-Verkäuferin in Sulzbach


Seit Wochen kaufen die Kundinnen und Kunden alles leer, was sich lange lagern lässt: Mehl, Nudeln, Dosengemüse. Schon bevor der Laden öffnet, bildet sich eine Schlange vor der Tür. Die Menschen wollen als Erstes ihren Einkauf erledigen. „Wir können die Regale gar nicht so schnell wieder auffüllen, wie sie leergeräumt werden", sagt Nicole Meyer.

Die Arbeit im Einzelhandel ist schlecht bezahlt. Das Bruttomonatsgehalt von Verkäuferinnen und Verkäufern liegt laut einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung bei durchschnittlich 1.890 Euro. Zwei Drittel der Befragten gaben an, unzufrieden mit ihrer Bezahlung zu sein. Die Arbeit der Branche wird vor allem von Frauen geleistet: 70 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel sind weiblich. Viele von ihnen arbeiten in Teilzeit, kümmern sich um die Kinder oder pflegen nebenher Angehörige.

In dem Supermarkt, in dem Nicole Meyer arbeitet, fehlen aktuell fünf ihrer Kolleginnen. Sie müssen ihre Kinder betreuen, weil Kitas und Schulen geschlossen sind. Das bedeutet: mehr Arbeit und Überstunden für alle anderen. Und da zurzeit tagsüber immer viele Kassen geöffnet sind, arbeitet weniger Personal auf der Supermarktfläche.

Nicole Meyer leidet an Diabetes Typ 1 und gehört zur Risikogruppe. Sie versucht positiv zu bleiben, obwohl sie selbst Angst vor dem Virus hat. Kontakt zu Kundinnen und Kunden gehört schließlich zum Beruf dazu. Als Vorsichtsmaßnahme gibt es bereits 1,5-Meter-Markierungen an den Kassen, von denen auch nur noch jede zweite geöffnet wird, wegen des Abstands.

Die Stimmung der Menschen beim Einkauf habe sich verändert, erzählt Meyer. Viele wirkten fast panisch. Es gebe aber auch Kundinnen und Kunden, die für ihre Lage Verständnis zeigen. Die sich bedanken und ihr sagen, dass sie froh sind über ihre Arbeit. „Ich habe das Gefühl, dass uns viele Menschen durch diese Notlage mehr wertschätzen und mit anderen Augen sehen." 


Text: Steven Meyer; Nicole Meyer ist seine Mutter


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