Bis jetzt sind abgeschottete Wohnviertel in Deutschland die Ausnahme. Dafür nimmt die subtile Ausgrenzung zu. In der ersten Gated Community in Potsdam schätzen die Bewohner vor allem den Service, den sie sich einiges kosten lassen.
Die Oase des Wohlstands gedeiht hinter Gittern. Kein Blatt liegt auf dem Fussweg, kein Grashalm spriesst an der falschen Stelle. Die Abendsonne taucht die grosszügigen Villen in warmes Licht. Dieser Blick direkt auf den See! Man könnte meinen, ins Fotoshooting eines Immobilienmaklers geraten zu sein. So sauber, so perfekt und gleichzeitig so menschenleer sehen Wohnviertel selten aus. 43 Personen leben hier, doch auf der Strasse ist niemand zu sehen. Wobei der Eindruck trügt - mindestens eine Person ist hier immer zugegen: der Wachmann am Eingang.
Exklusiver Blick aufs FilmsetArcadia, Deutschlands erste und älteste Gated Community, steht in Potsdam. Die knapp 28 000 Quadratmeter grosse Wohnanlage ist Ende der 1990er Jahre entstanden, als Rückzugsort für Wohlhabende nach amerikanischem Vorbild. Ein Zaun mit Bewegungsmeldern umgibt das Gelände, Videokameras behalten die Wege im Blick. Wer hier wohnt, schaut direkt auf die Glienicker Brücke - ein Bauwerk, das in die deutsche Geschichte eingegangen ist, weil dort im Kalten Krieg mehrmals Agenten ausgetauscht wurden. Die Glienicker Brücke trennte also einst den Osten vom Westen und damit zwei Welten. Heute, fast dreissig Jahre später, ist die Gegend wieder geteilt - in normale Wohnviertel und in die Gated Community. Renate Belle gehört zu denen, die hinter dem Zaun leben. Von ihrer Wohnung hat die 75-Jährige einen direkten Blick auf die Glienicker Brücke. Als der Kinofilm "Bridge of Spies" gedreht wurde, konnte sie die Arbeit am Set von ihrem Wohnzimmer aus verfolgen. "Immer wieder haben sie Kunstschnee auf die Brücke gekarrt", erzählt Belle. "Gedreht wurde nämlich im Sommer, obwohl der Film im Winter spielt." Natürlich war die Hollywood-Kulisse nicht der Grund, warum Belle vor elf Jahren in die Gated Community gezogen ist. Ihr Job, eine Führungsposition in der Chemiebranche, hatte die rüstige Dame in viele Städte geführt. Als Rentnerin wollte sie in ihre Heimat zurück. "Ich habe mich lange in Berlin umgeschaut, aber nichts Geeignetes gefunden", sagt sie. Irgendwann stiess sie auf die Arcadia-Broschüren. "Eine Gated Community, das war neu für mich", sagt Belle lachend. Am Anfang sei ihr das Konzept ungewohnt vorgekommen, aber inzwischen bemerke sie den Zaun gar nicht mehr. "Ist doch gut, dass nicht jeder reinkommt", sagt sie und zeigt auf die Villen am anderen Strassenrand - ausserhalb der Community. "Da wurde letztes Jahr dreimal eingebrochen." Kriminalität ist oft der Grund, weshalb Menschen freiwillig hinter hohen Mauern oder Zäunen leben. In den USA, im Nahen Osten, aber auch in Polen oder Frankreich sind abgeschottete Wohnviertel viel häufiger als in Deutschland. Immerhin ist die Bundesrepublik ein sehr sicheres Land. Laut offizieller Statistik des Bundeskriminalamts ist die Gewaltkriminalität von 2007 bis 2014 um 17 Prozent zurückgegangen, die der gefährlichen/schweren Körperverletzung sogar um 18 Prozent. Aber: Eine steigende Zahl von Wohnungseinbrüchen beschäftigt die Polizei seit Jahren - bis jetzt ohne grossen Erfolg.
Es muss kein Zaun seinWar das der Grund, warum Renate Belle in ein bewachtes Viertel gezogen ist? Die Anwohnerin winkt ab. "Das ist ein nettes Zusatzangebot, mehr nicht. Wir schliessen uns hier doch nicht ein." Viel wichtiger sei ihr der Service des Doormans - so nennen in Arcadia alle den Pförtner. Der Doorman beobachtet nicht nur die Videokameras, sondern nimmt für die Bewohner auch Post entgegen. Kommt eine Weinlieferung. bringt sie der Doorman an Belles Haustür. Ausserdem arbeiten zwei Gärtner mit Hausmeisterfunktion auf dem Gelände. "Man fühlt sich hier richtig gut umsorgt", sagt Belle, die gerne mit den Angestellten plaudert. Viel los ist sonst nicht hinter dem Zaun. Die einen Nachbarn, sagt Belle, seien ständig in Saudiarabien; die anderen auf Mallorca. "Man ist hier schon ziemlich isoliert." Isolation und Abschottung: Mit solchen Begriffen argumentieren die Kritiker von Gated Communitys. Der Berliner Mietverein etwa moniert: "Je weiter sich die Schere zwischen Arm und Reich öffnet, desto mehr Gated Communitys werden gebaut." Der Rückzug ins Private widerspreche der Idee der Stadt als eines offenen, demokratischen, sozial integrierenden Gemeinwesens. Dazu muss man wissen, dass in vielen Metropolen seit langem eine scharfe Debatte um Wohnungsbau, Gentrifizierung und die Verdrängung ärmerer Einwohner geführt wird. So auch beim Marthashof, einer luxuriösen Wohnanlage im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg, in deren Bauphase es zu gewaltsamen Ausschreitungen kam. Anwohner haben dort von Anfang an gegen die "kommerzielle Verwertung" ihres Viertels protestiert. Genützt hat es nichts: Der Marthashof wurde trotzdem gebaut, zum Teil unter Polizeischutz. Das Beispiel zeigt, welche soziale Sprengkraft im Wohnungsbau steckt. Die meisten umstrittenen Projekte - etwa in München, Leipzig oder Münster - bezeichnen sich selbst nicht als Gated Communitys. Streng genommen sind sie es auch nicht sind, da nicht immer ein Zaun vorhanden ist. "Die Frage ist, was man als Gated Community überhaupt bezeichnet", sagt der Potsdamer Geografieprofessor und Regionalwissenschafter Manfred Rolfes. Bis jetzt gebe es keine Definition für Wohnviertel, in denen eine spezielle Form der Segregation stattfinde. Interessant hierbei: Nur selten gibt es Wachpersonal, um unerwünschte Gäste fernzuhalten. "Das schaffen auch symbolische Abgrenzungen", sagt Rolfes. Zum Beispiel Hecken, Schlagbäume oder auch nur ein anderer Strassenbelag. "Kriminalpräventives Bauen" nennt das der Fachmann. Zur Frage, wer überhaupt in eine Gated Community zieht, gibt es in Deutschland kaum Untersuchungen. Der Stadtplaner und Architekt Frank Pflüger hat vor mehreren Jahren die Bewohner des Aachener Barbarossa-Parks befragt, einer Wohnanlage mit Schutzwall und Videoüberwachung. Das Ergebnis: Der durchschnittliche Bewohner ist Mitte 50, schätzt seine Privatsphäre und lässt sich dem Bildungsbürgertum zuordnen. Singles und Paare halten sich die Waage. Dass die Kundschaft über viel Geld verfügt, versteht sich von selbst. Die Sicherheit ist übrigens eher zweitrangig. Was zählt, ist guter Service. Entsprechend schlecht lief das Geschäft am Anfang in Potsdam. Als der Investor Ende der 1990er Jahre die "erste Gated Community Deutschlands" präsentierte, hagelte es negative Presseberichte. Die Rede war von einem "Wohlstandsgefängnis" und von Kapitalisten, die sich hinter ihrem Reichtum verschanzten. Den Geografieprofessor Rolfes überrascht das nicht. "Das Auseinanderdriften der sozialen Schere birgt immer Konfliktpotenzial", sagt der Wissenschafter. Zudem sei die Werbung für sicheres Wohnen in Potsdam geradezu albern gewesen. "Als gäbe es hier marodierende Banden. Das passte überhaupt nicht zum Image der Stadt." Während der Trend zu exklusivem Wohnen durchaus zunehme, seien komplett umzäunte Wohnviertel noch immer die Ausnahme. "Das Sicherheitsargument zieht in Deutschland einfach nicht."
AnlaufschwierigkeitenDass die soziale Durchmischung gewahrt bleibt, ist auch politisch gewollt. In Potsdam legte die Stadtverwaltung mehrere Auflagen für die Umsetzung der Gated Community fest. Anders als etwa in den USA, wo umzäunte Wohnanlagen manchmal die Dimension einer eigenen Stadt erreichen, wird im deutschen Planungsrecht das Gemeinwohl betont. Andere Bevölkerungsgruppen dürfen nicht einfach ausgeschlossen werden, vor allem was den Zugang zu Naherholungsgebieten betrifft. Da das Baugesetzbuch eine sozial gerechte Bodennutzung vorschreibt, erhielten die Arcadia-Bewohner keinen exklusiven Zugang zum Seeufer. Der Zaun endet unmittelbar vor dem parkähnlichen Weg, der für jeden zugänglich bleibt. Auch die Arcadia-Verantwortlichen reagierten, um ihrem Projekt ein besseres Image zu verschaffen. Sie engagierten die Berliner Marketingagentur Urban PR, die ihre Werbestrategie neu ausrichtete. "Wir wussten, dass unsere Zielgruppe nur in Personen bestehen konnte, die Erfahrung mit umdientem Wohnen haben", erinnert sich Geschäftsführer Rainer Milzkott. Umdientes Wohnen: Damit sind Dienstleistungen wie Gärtner, Pförtner oder Lieferservice gemeint. Der ursprüngliche Name "Arkadien" wurde zu "Arcadia" geändert; die Suche nach Eigentümern mithilfe von internationalen Medien erweitert. Heute steht auf dem Grundstück keine Immobilie mehr leer. Eine grosse Rolle dürfte zudem der Preis gespielt haben - auch wohlhabende Klientel wirft Geld nicht gerne aus dem Fenster. Als sich die Villen-Wohnungen nicht verkauften, kam man potenziellen Kunden entgegen. Renate Belle erzählt, sie habe ihre 129 Quadratmeter grosse Wohnung - inklusive Garage - für 1,9 Millionen D-Mark erworben; kurz zuvor hätte sie noch das Doppelte bezahlen müssen. Hinzu kommen die monatlichen Nebenkosten für den Rundum-Service, der je nach Grundstücks- und Wohnfläche berechnet wird. Renate Belle muss 841 Euro bezahlen. Die Rentnerin findet diesen Preis in Ordnung.
Alltag bringt StreitDoch längst nicht alle sind in der Gated Community zufrieden. Jürgen Linde wohnt seit sechzehn Jahren in Arcadia. Früher war er Minister in der brandenburgischen Landesregierung, heute geniesst er die "schöne befriedete Gegend", in der er lebt. Nur dass es mit dem inneren Frieden nicht so weit her ist. Zur Begrüssung legt Lindes Ehefrau das Potsdamer Theaterprogramm auf den Tisch. Beworben wird eine Komödie namens "Richtfest". Der Inhalt des Stückes: Eine Baugemeinschaft ist wie ein grosses Versprechen, wenn man sich nach einem Leben in Gemeinschaft sehnt, seine individuellen Ansprüche aber nicht aufgeben will - doch die Konflikte lassen nicht auf sich warten. Linde hat die Stelle mit einem Stift angestrichen - weil sie so gut zu ihnen passe, sagt er. Und erzählt. Von Baumängeln, Ärger mit dem Verwalter, Streitereien untereinander. "Manche Eigentümer wollen den Pförtner nicht, weil sie hier nicht wohnen. Für die ist das eine reine Geldanlage." Dass die Sicherheitstechnik nach fast zwanzig Jahren ausgetauscht werden müsse, sorge auch für Streit. Sogar eine Klage sei gegen den Verwalter eingereicht worden, berichtet Linde. "Wir wollen ein geordnetes Verfahren für die Auswahl der Sicherheitstechnik, keine Mauschelei." Am Ende atmet der frühere Politiker tief durch. Alles in allem lebe es sich in Arcadia doch ganz gut. "Wir wollen hier alt werden und nicht zu früh im Heim landen", sagt er noch, bevor er sich eilig verabschiedet: Die Lindes sind auf dem Weg ins Theater. Renate Belle schlendert derweil am Doorman vorbei. Draussen zeigt sie auf ein Haus auf dem Nachbargrundstück. Das werde gerade als Flüchtlingsunterkunft vorbereitet. Was sie davon hält? "Mich stört das überhaupt nicht", sagt sie mit Nachdruck. "Man muss doch helfen." Das sichere Gefühl ist ohnehin immer auf ihrer Seite. Egal, wer an ihrem Zaun vorbeiläuft - der Doorman hat alle im Blick.