gallerytalk.net: Wann hat Ihr persönliches Interesse für Kunst begonnen?
Mikiko Sato: Das allererste Interesse an Kunst hatte ich 1993. Damals war ich schon in Deutschland. Eigentlich komme ich aus Japan, dort hatte ich aber mit Kunst rein gar nichts zu tun. Nach Deutschland kam ich damals, um den Sinn meines Lebens zu suchen. In diesen jungen Jahren hatte ich keine Ahnung, welches Thema mein Interesse in den Bann ziehen könnte. Viele Menschen wissen das - ich wusste es aber gar nicht. Ich hatte große Komplexe und war auf der Suche, denn eine Idee hatte ich nicht. Durch Zufall lernte ich in meiner Heimat viele Deutsche kennen, das war damals ein Kulturschock für mich.
gallerytalk.net: Wie sind Sie mit dem Kulturschock umgegangen?
Mikiko Sato: Nun, diese Menschen haben sehr direkt mit mir gesprochen, aber der Unterschied zwischen den Kulturen ist sehr groß. Bevor ich also diese Begegnungen hatte, waren meine Gedanken typisch japanisch. Man konnte nicht viel reisen, kam von einer kleinen Insel - typisch ländlich eben, nicht intellektuell oder so. Als ich also auf jene Deutschen traf, bin ich wachgeworden.
Ich wusste, ich muss was für mich und mein Leben tun. Daraufhin packte ich meine zwei Koffer und ging nach Deutschland. Dann lernte ich auf einmal den japanischen Künstler Satoshi Hata kennen. Obwohl ich keinerlei Ahnung von Kunst hatte, war dieser Mensch offen, sehr nett zu mir und erzählte mir von seiner Kunst, die ich wiederum nicht versatnd. Sie gefiel mir nicht und sah in meinen Augen "nicht schön aus". Ich fragte mich was das alles bedeuten sollte. Um es abzukürzen, ich hatte null Ahnung.
Die Art von Sotoshi Harta und seine Persönlichkeit begeisterte mich so sehr, dass ich sehr oft sein Atelier besuchte. Dort erzählte er mir immer mehr von seinen Werken und seiner Arbeit und dann langsam fing ich an das Thema zu begreifen und entwickelte Interesse. Er erzählte mir von der Vielfalt der Galerien und Museen in Deutschland und gab mir den Ratschlag, mir so viel es geht anzusehen. Außerdem bat er mir nach einer Zeit an, ihn bei seinen Projekten als Assistentin zu unterstützen. So fing alles an...
Ich lernte immer mehr Menschen aus der Kunst-Szene kennen, mein Herz war voller Bewegung, Ich war aufgeregt aber mit Freude erfüllt. Die Kunst fing an mich in ihren Bann zu ziehen.
gallerytalk.net: Wie ging es in Deutschland und speziell Hamburg dann weiter?
Mikiko Sato: Ich zog irgendwann von Bremen nach Hamburg. 2001 organisierte ich dann auf Kampnagel eine japanische Gruppenausstellung. Später hatte ich die Gelegenheit meinen jetzigen Ausstellungsraum zu mieten und meine eigene Galerie zu eröffnen. Der Direktor des Kunsthauses Claus Mewes fragte mich, ob ich den Raum haben wolle.
gallerytalk.net War das dann sofort klar, dass sie in ihrer Galerie zeitgenössische japanische Kunst ausstellen werden?
Mikiko Sato: Nein (lacht) - das war nicht gleich klar. Erstmal war ich sehr durcheinander, denn das war eine riesen Überraschung! Danach überlegte ich natürlich, wie es nun weitergehen würde, ich hatte ja keinen akademischen Hintergrund. Bei deutscher Kunst stand für mich die Frage im Raum "wer kauft das?". Ohne Kenntnisse - unmöglich.
So kam ich zu dem Entschluss mir meine Stärken zu nutze zu machen. Zuvor hatte ich mir ja in ganz Deutschland und auch Europa so viele Museen und Galerien angeschaut, um mich für diesen Moment zu wappnen und mich mental weiterzubilden. Dann merkte ich: es gibt wenig moderne japanische Kunst in Europa zu sehen. Wenn man weit entfernt ist von seiner Heimat, sieht man die eigene Kultur sehr deutlich. Als ich in Japan war hingegen, machte ich mir gar keine Gedanken, aber auf einmal war alles anders.
gallerytalk.net: Hatten Sie damals Heimweh?
Mikiko Sato: Nein. Gar nicht. Aber mein Interesse war geweckt und ich hatte ein Ziel. Ich merkte auch, dass die Deutschen sich sehr für die japanische Kultur interessierten. Exotik war sehr gefragt. Und ich wollte zudem mein Wissen und meine japanischen Wurzeln vertiefen.
gallerytalk.net: Die Entscheidung Galeristin zu werden - wie hat das ihr Leben persönlich verändert?
Mikiko Sato: Plötzlich hatte ich einen Punkt gefunden, es war alles ganz klar in meinen Gedanken. Meine Wahrnehmung für das Leben hatte sich verändert. Kleinigkeiten fielen mir auf, beispielsweise dass Blätter von den Bäumen fallen. Die Mikro-Welt um mich herum war klar vor meinen Augen. Meine Gedanken wurden flexibler. Die Kunst weckte mich auf und veränderte mein Bewusstsein. Mein Leben wurde lebendiger.
gallerytalk.net: Seit dem Tsunami und Fukushima hat sich vieles in Japan verändert. Wie stark hat diese Katastrophe japanische Künstler und deren Arbeit dort beeinflusst?
Mikiko Sato: Ich habe die Katastrophe zum ersten Mal im deutschen Fernsehen gesehen. Die ganze Welt war erschüttert. Die deutschen Medien hatten eine sehr direkte Berichterstattung. Der Tsunami kam mir vor wie Gozilla und Japan war eine kleine Stadt, die dieser kaputt machte. Ich konnte es nicht fassen. In diesem Moment wollte glaube ich jeder helfen und etwas unternehmen. Egal ob Künstler oder nicht. Es war eine echte Tragödie. Als japanischer Künstler konnte man in diesen Momenten nicht arbeiten. Das habe ich sehr oft gehört.
Die Emotionen waren zu stark. Dafür engagierten sich aber viele mit "Charity", haben ihre Bilder verkauft, um schnell an Geld zu kommen und es zu spenden.
gallerytalk.net: Aber haben viele Künstler das Thema in ihren Arbeiten aufgegriffen, vielleicht sogar um es zu verarbeiten?
Mikiko Sato: Ja, natürlich. Jegliche körperliche und auch seelische Erfahrungen brauchen ihre Zeit, daher werden immer mehr und mehr Künstler indirekt das Thema miteinfließen lassen. Yoshiaki Kaihatus ist einer von Ihnen. Er wird auch im März bei uns ausstellen. Er hat mit aller Deutlichkeit gezeigt, was die Katastrophe angerichtet hat. Ein Projektkünstler.
Er ist damals als Helfer an den Unglücksort gegangen und hat später gemerkt, dass alle Häuser dort weggeschwemmt und zerstört wurden. Mit Ihnen verschwinden auch die Menschen und deren Dialekte, die dann aussterben. Außerdem hat er das Thema Fukushima ebenfalls in seiner Arbeit aufgegriffen. Er hat 20 Kilo Schrott vom AKW in Fukushima genommen und ein Haus gebaut, dieses mit einer Tafel versehen und darauf geschrieben: "Haus der Politiker".
Dann hat er Einladungen an die Politiker verschickt - natürlich kam keiner von Ihnen. Lustigerweise, hat jenes Haus wieder ein japanischer Comic Zeichner aufgegriffen und beschrieben, weil er von Kaihatus Idee so begeistert war. Ich bin sehr gespannt, denn das Medium "Comic" ist in Japan überall anerkannt und man kann damit viel Informationen verbreiten und bekannt werden. Yoshiaki Kaihatus hat auch viele Häuser in Fukushima fotografiert, die nach der Evakuierung nun alle leerstehen und der Kamera eine bizarre Szenerie bieten. Solche Arbeiten zeige ich sehr gerne in meiner Galerie.
gallerytalk.net: Ihre aktuelle Ausstellung handelt von Textilien in der japanischen Kunst. Was ist denn das Besondere an diesen fünf Künstler, die sich dieser Thematik angenommen haben?
Mikiko Sato: Textil und Kunst sind oft zwei Begriffe die getrennt voneinander agieren und kategorisiert werden. In der Moderne und Gegenwartskunst ist diese Thematik noch nicht wirklich stark "gepusht" worden. Die Künstler in meiner Ausstellung setzen sich über diese Konventionen hinweg und bringen Tradition mit sozialer Kritik und zeitgenössischer japanischer Kunst zusammen und verwenden dabei Techniken, die überraschen und begeistern.
gallerytalk.net: Als abschließende Frage: Wie passt Japan zu Hamburg?
Mikiko Sato: Ich habe in einem Buch gelesen, dass in Deutschland der "Japanismus" in Hamburg angefangen hat. Der erste Direktor des Kunstgewerbemuseums war leidenschaftlicher Sammler japanischer Kunst. Hamburg ist zudem noch eine Handelsstadt. Viele japanische Unternehmen befinden sich in Hamburg - es existieren Handelsbündnisse, die Tradition haben. Mein Publikum erzählt mir oft von Beziehungen nach Japan, die Freundschaft wird mit der Geschichte belegt und gepflegt.