Stephan Kroener

Freier Journalist und Historiker, Freiburg

20 Abos und 3 Abonnenten
Artikel

Mit dem Rosinenbomber zur FARC

Alles dröhnt und brummt um mich und vor mir schaukelt im Takt dazu das braune Gepäcknetz. Ich schnalle mich an, denn draußen drehen sich bereits die Motoren, die ich aus dem kleinen Fenster hinter mir sehen kann. Durch die offene Cockpittür lässt sich das Treiben der beiden Piloten beobachten. Routiniert schalten und walten sie vor sich hin. Die Küken, die beim Einsteigen noch furchtsam gegackert haben, scheinen verstummt. Auch die Hitze, die ich noch vor ein paar Sekunden in dieser grauen Metalltonne verspürt hatte, merke ich nicht mehr. Alles versinkt in einem monotonen Brummen, während wir langsam Aufsteigen.

Um mich abzulenken, lese ich die Aufschriften auf den Verpackungen, die vor mir im Paketnetz gestapelt sind. Ein HD-Fernseher, da neben eine lila-rosa Plastikkinderwiege und zwischen übermäßig verschnürten Päckchen und schwarzen Müllsäcken schaut ein weißer Ventilator hervor. Nach hinten hinaus, vorbei an den grauen, eng vernieteten und gewölbten Wänden klappert lautlos eine Metalltür. Ich höre sie nicht, ich sehe sie nur hin und her schlagen.

Wie Fallschirmspringer

Vor der Tür lagern größere Metallgegenstände. Insgesamt 18 Passagiere teilen sich den Raum mit der Fracht und sitzen zu beiden Seiten auf blaugepolsterten Klappbänken. Unter ihnen wurde das wenige eigene Gepäck verstaut. Wie Fallschirmspringer sind wir aufgereiht und es scheint, dass wir möglicherweise auch bald abspringen müssen. Die Maschine erinnert ein wenig an Indiana Jones und der Kapitän, den ich durch die offene Cockpittür beobachten kann, an einen Amazonasschiffskapitän. Und wie ein Schiff pflügt das Flugzeug auch durch die Wolken, weit unten ragen die dichten Wälder der Amazonasausläufer hervor.

80 Jahre hat die unter ihrem Alter ächzende Douglas DC-3 auf dem metallenen Buckel. Gebaut in einem anderen Land und für einen anderen Krieg. Vor über 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, vor ein bisschen mehr als vier Monaten der bewaffnete Konflikt zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung. Nun fliegen wir in die Macarena, um eine der etwa 23 Übergangszonen ( Zonas Veredales Transitorias de Normalización; ZVTN) der Guerilleros zu besuchen, in der sie ihre Waffen abgeben und auf ein ziviles Leben vorbereitet werden sollen.

„Rosinenbomber"

Der Druck auf den Ohren wird immer unangenehmer. Wenigstens muss man sich nicht zum X. Mal die Sicherheitshinweise einer gelangweilten Stewardess antun. Der Einzige Hinweis der gegeben wird, ist das Alter der Maschine. Dass sie noch in der Luft ist, muss als Sicherheit genügen. In Deutschland sind die Maschinen unter dem Begriff „Rosinenbomber" bekannt und auf ewig mit der Berliner Blockade verbunden. Wir fliegen von Villavicencio aus los, die als „Hauptstadt der DC-3" gehandelt wird. Von diesem wichtigen Versorgungsflughafen für die Llanos, den Orinoquía und den Amazonas starten alltäglich noch DC-3, die in anderen Ländern schon längst ihren Ruhestand im Museum fristen.

Doch die DC-3 ist eines der verlässlichsten Flugzeuge der Welt und ohne sie wären viele kleinere Orte im dichten Amazonasgebiet nicht zu erreichen. Ein Pilotenspruch heißt: „eine DC-3 kann nur durch eine andere DC-3 ersetzt werden." Etwa 15.000 dieser fliegenden Prachtexemplare wurden im Laufe der 30er und 40er Jahre produziert. Nach dem Krieg wurden sie zu Ramschpreisen verscherbelt. Viele von ihnen gelangten so in Länder mit einer wenig entwickelten Verkehrsinfrastruktur und viele Piloten konnten es sich so leisten in entlegenen Gebieten eigene kleine Fluglinien aufzumachen.

Colonos und die DC-3

Dadurch leisteten sie und die DC-3 einen wichtigen Beitrag zum Erschließen des amerikanischen Kontinents (alle Nachteile für die Ureinwohner und die Natur mit eingeschlossen). Dies gilt vor allem für Kolumbien, deren eine Hälfte des Staatsgebietes stets durch den Amazonaswald abgeschirmt wurde. Die sogenannten Colonos (Kolonisten) konnten so in abgelegene Gebiete geflogen werden, wo sie dem Urwald ihren Lebensraum abrangen und für sich urbar machten.

Die Folgen dieser Kolonisation für Mensch und Umwelt kann man heute an den abgeholzten Regionen erkennen, auf denen teilweise auf bis zu 100 Hektar nur ein paar Dutzend Kühe weiden. Ein ehemaliger Colono erklärte mir, dass sie sich heute ihres Eingriffes in die Natur bewusst sind und versuchen ihn zu beschränken sowie ihre Umwelt zu schützen, denn sie wissen, ohne die Natur sind sie in diesen von der sogenannten Zivilisation weit entfernten Gegenden verloren. Doch wo der Mensch sich einmal Platz geschaffen hat, geht er selten wieder weg.

Mein Sitznachbar

Während sich mein Magen bei jedem Luftloch hebt und meine Gedanken sich drehen, beginne ich ein Gespräch mit den beiden kolumbianischen UNDOC-Beamten ( United Nations Office on Drugs and Crime), die neben mir sitzen. Einer ihrer Kollegen wurde erst vergangene Woche im benachbarten Departamento Guaviare von Dissidenten der FARC entführt. Die UNDOC-Mitarbeiter erarbeiten mit Kleinbauern zusammen Alternativen zum Kokaanbau und stehen damit oft im Fadenkreuz internationaler Drogenhändler.

Mein Sitznachbar meint, dass seit dem Friedensprozess eine Änderung im Denken der Menschen stattgefunden hat: „Die Leute sind die Gewalt leid und wollen raus aus dem Teufelskreis des Drogenanbaus". Dieser brachte viele in die Abhängigkeit von Kartellen und machte sie zu gezwungenen Helfershelfern der organisierten Kriminalität und damit wiederrum wurden sie auch vom Staat zu Kriminellen abgestempelt und bekämpft.

Das „Baby" in meinen Händen

Während ich noch mit dem UN-Beamten rede, werde ich nach vorne gerufen. Ich hatte um ein Gespräch mit dem Kapitän gebeten, damit er mir mehr über sein „Baby" erzählt, wie er die fliegende 80-jährige eiserne Lady liebevoll nennt. „kann ich jetzt übernehmen" scherze ich, zwei große braune Augen schauen mich überrascht aus einem nur aus Bart zu bestehenden Gesicht an. Schnell verzieht sich das haarige Gesamtkunstwerk zu einem fetten Grinsen. Don Galindo zieht sich galant wie sein Name aus dem Pilotensitz und gibt mir erfreut das Ruder frei.

Ich lache und danke ab, ich kann ja nicht mal den alten Mercedes meiner Eltern aus der Einfahrt manövrieren. Doch Galindo schiebt und drückt mich schließlich in den Sitz. Und so steuere ich das „Baby" über die winzigen Baumwipfel der Amazonas-Riesen. Zumindest ist das mein Eindruck, aber der schweigsame Kopilot neben mir scheint alles im Griff zu haben und so lasse ich mir die Details der Maschine vom euphorischen Galindo erklären, der sich anscheinend riesig freut einem Gringo seine Gringa zu erläutern.

Uribe und der Schmerz in meinem Kopf

„Nein, in den achtzig Jahren ist sie nie wirklich zu Bruch gegangen. Klar, manchmal setzt ein Motor aus, aber mit einem geht das auch noch." Stolz erzählt er mir, dass sogar schon Ex-Präsident Uribe mit diesem fliegenden Museumsstück geflogen ist. Ich denke, wenn Gott sogar bei dieser Gelegenheit nicht Schicksal gespielt hat, wird das „Baby" wohl ewig weiterfliegen.

Für den Landeanflug werde ich wieder zurück auf meinen Platz geschickt. Der UN-Beamte krallt unkontrolliert seine Finger in sein rechtes Knie. Dabei scherzt er gezwungen mit seinem Kollegen und versucht möglichst cool zu erscheinen. Der Druck wird wieder stärker, beinahe unerträglich, auch die Kaugummis helfen nicht. Es fängt an zu regnen, das Donnern der Tropfen hört sich aber auf dem Metalldach eher wie Hagelkörner an. Wenigstens unterbricht es das monotone Gebrumme der Maschine ein bisschen.

Wie ein Stück Papier

Wir segeln wie ein Stück Papier im Wind auf die Piste zu. Später werden mir die Piloten erzählen, dass sie aufgrund der Wolken eigentlich nichts sehen konnten. Deswegen wären sie auch fast wieder umgedreht, um sich einen anderen Landeplatz zu suchen. Doch dann riss die Wolkendecke doch noch auf und durch ein Wolkenfenster konnten sie die Landebahn sehen. Schnell und ohne Diskussion ruderten die beiden Männer die Maschine sprichwörtlich hinein.

Und so landeten wir unbeschadet und von Galindo gelenkt sanft auf dem Boden der Tatsachen. Einige Passagiere klatschten sogar, das heißt, ich und der andere klatschten. Mein Sitznachbar grinste mich erleichtert an, es ruckelte noch mal und zog ihm das Grinsen aus dem Gesicht. Erst jetzt höre ich die Küken wieder. Dann wird es still und die Türen öffnen sich. Es scheint wie das Ende einer langen Reise, war aber eigentlich nur ein kurzer Flug.

Fortsetzung auf „Clash of Cultures im Guerillacamp der FARC"
Zum Original