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"Corona ist unser kleinstes Problem"

Im Sommer hat eine Explosion weite Teile Beiruts zerstört. Die Jugend in der Stadt kämpft mit den Folgen. So wie Layla, die entschlossen ist, den Libanon zu verlassen.


Wie geht es Studierenden in anderen Ländern während der Pandemie? Welche Sorgen und Ängste haben sie – und was gibt ihnen Hoffnung? Hier berichtet die 22-jährige Layal aus Beirut im Libanon.

So lebe ich

Eigentlich wollte ich letztes Jahr für meinen Master ins Ausland gehen. Doch erst kam die Corona-Pandemie und dann explodierten im August im Hafen von Beirut mehrere Tonnen Ammoniumnitrat und zerstörten große Teile der Stadt. Beides hat die wirtschaftliche Situation im Libanon weiter verschlechtert. Unsere Währung, das libanesische Pfund (LBP), hat im letzten Jahr mehr als 80 Prozent seines Wertes verloren. Dadurch ist ein Studium im Ausland für mich zu teuer geworden.

Stattdessen habe ich mich im Herbst entschieden, nach meinem Chemie-Studium einen zweiten Bachelor zu machen. Ich studiere Pharmazie an der Lebanese American University. Alle meine Vorlesungen finden online statt und meine Kommilitonen kenne ich nur durch eine WhatsApp-Gruppe. Mir fehlt der Austausch. In meinem letzten Studium habe ich zusammen mit meiner besten Freundin und meinen Kommilitonen in einem Studierendenwohnheim gewohnt. Jeden Tag sind wir gemeinsam zum Lernen in der Bibliothek gegangen. Wir haben uns gegenseitig geholfen, uns gemeinsame Lernziele gesetzt und die Mittagspause zusammen verbracht. Jetzt muss ich mich jeden Tag selbst zum Lernen motivieren. Kommt mir während der Vorlesung eine Frage, bin ich damit allein. Weil es immer wieder Stromausfälle gibt, werden die meisten meiner meine Vorlesungen nicht live gestreamt, sondern vorher aufgezeichnet.

Auch mein Pharmaziestudium ist teuer. Je nachdem, wie viele Kurse ich besuche, kostet das Semester etwa 10.000 Dollar. Die Studiengebühren zahlen meine Eltern. Bisher wurde der Beitrag anhand des offiziellen Umrechnungskurses berechnet, der auf einen fixen Wert festgelegt ist: Ein Dollar sind demnach 1.500 LBP. Das entspricht schon lange nicht mehr dem realen Wert unserer Währung. Auf dem Schwarzmarkt bekommt man für einen Dollar bis zu 12.000 LBP. Seit diesem Semester werden meine Studiengebühren mit einem neuen Wechselkurs berechnet, nach dem ein Dollar 3.900 LBP entspricht. Ein Semester ist nun also mehr als doppelt so teuer geworden. Ich habe Angst, dass sich die Wirtschaftskrise noch weiter verschlechtert. Im Moment können wir uns die Studiengebühren noch leisten, aber was ist in zwei Semestern? Auch die Lebensmittelkosten und das Benzin werden immer teurer.

Ich wohne zurzeit bei meinen Eltern in einem Dorf etwa eine Autostunde außerhalb von Beirut. Eigentlich wollte ich hier nur vorübergehend in der Zeit zwischen meinem Abschluss und dem Master einziehen. Wegen der Pandemie habe ich mich dann aber doch entschieden zu bleiben. Ich hatten Angst, andernfalls wegen des Social Distancings zu vereinsamen. Auch wenn es schön ist, meine Eltern und meinen Bruder um mich zu haben, vermisse ich meine Selbstständigkeit. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel und ich habe kein eigenes Auto. Wenn ich unser Dorf verlassen möchte, bin ich auf meine Eltern angewiesen.  [...]