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Verdauung: Ständig so ein mieses Bauchgefühl

Blähbauch, Durchfall, Verstopfung. Millionen Menschen leiden hierzulande am Reizdarmsyndrom. Und das hat auch psychische Ursachen. Wege aus dem Teufelskreis.

Malte Gutmann* muss vor nahezu jedem Termin auf Toilette. Steht bei der Arbeit ein Meeting an, zieht sich sein Magen zusammen und sein oberer Bauch beginnt zu schmerzen. "Das passiert sogar, wenn ich zu Hause auf den Schornsteinfeger warte", berichtet der 28-jährige Informatiker. Der Stuhlgang verschafft eine erste Erleichterung. Sitzt er dann seinen Kollegen, dem Chef oder einer Kundin gegenüber, lässt das Druckgefühl für gewöhnlich nach - zumindest für den Moment: Am nächsten Morgen kehren die Schmerzen oft zurück. Gutmann hat dieses Problem seit Jahren. Inzwischen sind die Schmerzen immer wieder so stark, dass seine Frau ihn zum Arzt schickte. Er bekam eine Krankschreibung, dazu ein paar Tabletten. Diagnose: Reizdarmsyndrom.

Eine Krankheit, unter der viele in Deutschland leiden. Dabei hat nicht jeder vor allem Durchfall und krampfartige Bauchschmerzen wie Gutmann. Manche können vielmehr gar nicht auf die Toilette. Andere wiederum haben aufgeblähte Bäuche wie im siebten Monat einer Schwangerschaft. Und oft wechseln die Symptome sich auch ab. Die medizinische Literatur spricht daher von einer multifaktoriellen Erkrankung (Neurogastroenterology: Black et al., 2020).

Allein im Jahr 2017 wurde bei rund einer Million Menschen in Deutschland ein Reizdarmsyndrom diagnostiziert. Schätzungen gehen jedoch davon aus, dass bis zu 16 Prozent der Bevölkerung betroffen sind, also gut elf Millionen Menschen. Frauen bekommen im Schnitt doppelt so häufig eine entsprechende Diagnose wie Männer (Barmer Arztreport 2019). Das könnte daran liegen, dass Frauen tendenziell häufiger in die Arztpraxis gehen. Für diese Annahme spricht, dass etwa in Ländern wie Indien weitaus mehr Männer die Diagnose Reizdarm erhalten als Frauen (Indian Journal of Gastroenterology: Ghoshal et al., 2008).

Trotz starker Beschwerden bekommen manche jedoch auch zu hören, da sei nichts. Denn oft ist es schwierig bis unmöglich, herauszufinden, was diese hervorruft. "Wenn Ärzte keine organische Ursache finden, schieben einige die Beschwerden nach wie vor auf die Psyche", berichtet Peter Layer, Chefarzt des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg und Koordinator der neuen Leitlinien zur Behandlung des Reizdarmsyndroms. Bei Betroffenen verursache das einen erheblichen Leidensdruck. Sie fühlen sich nicht ernst genommen und die Schmerzen bleiben. Einige ziehen sich aus auch Scham zurück und beginnen soziale Kontakte zu meiden. Manche entwickeln gar eine Depression (International Journal of Biological Sciences: Zhang et al., 2018).

Aber auch wenn die Diagnose Reizdarm gestellt ist, ist noch lange keine Heilung in Sicht. Laut Facharzt Layer gehe es vor allem darum, die Beschwerden zu reduzieren. Kurzfristige Heilung gebe es für gewöhnlich nicht. "Das schwierige beim Reizdarm ist, dass die Symptome so unterschiedlich sind", erklärt der Gastroenterologe. Anders als beim Fieber gibt es beim Reizdarm auch keinen spezifischen Biomarker (etwa die erhöhte Temperatur), der die Erkrankung eindeutig nachweist. "Bei der Diagnose geht es deshalb darum, etwa Nahrungsmittelunverträglichkeiten, insbesondere aber schwerwiegende Krankheiten wie Darm- oder Eierstockkrebs auszuschließen", sagt Layer. Bleiben Magen- und Darmspiegelung, Ultraschall des Bauches sowie Laborwerte einschließlich einer Analyse des Stuhlgangs unauffällig und treten die Darmstörungen mindestens zwölf Wochen innerhalb eines Jahres auf, sprechen Ärztinnen und Ärzte vom Reizdarmsyndrom.

Allerdings ist dies keine wirkliche Krankheitsdiagnose, sondern eher ein Begriff zur Benennung bestimmter körperlicher Beschwerden, deren Ursache unklar ist. "Momentan ist das Reizdarmsyndrom eine Ausschlussdiagnose", bestätigt Johann Ockenga, Gastroenterologe vom Klinikum Bremen Mitte. Es gibt jedoch verschiedene Theorien zu der Frage, was den Darm so durcheinanderbringt.

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