„Ihr Name ist Yasmine, sie wird bald berühmt sein", so stellte Jim Jarmusch die libanesische Sängerin Yasmine Hamdan 2013 in seinem Film Only Lovers Left Alive der Weltöffentlichkeit vor - eine bestens kalkulierte self fulfilling prophecy. „Der Film hat es mir ermöglicht, mich einem anderen Publikum zu zeigen, die Grenzen der Genres zu überschreiten", sagt sie heute. Komme man nämlich aus einer bestimmten Region und singe in einer bestimmten Sprache, werde man schnell in eine Schublade gesteckt. In Hamdans Fall sind die Sprache Arabisch und die Schublade Weltmusik. „Allein der Begriff hat etwas diskriminierendes. Er bezeichnet quasi alle Künstler, die nicht auf Englisch singen."
Dabei klingt Hamdans Musik nach hochmodernem, globalisiertem Pop, einer Mischung aus arabischen Klängen, TripHop- und Electronica-Elementen, Folk- und Indie-Anleihen. Zu Zeiten ihrer ersten Band Soap Kills wie auch ihres Solodebüts Ya Nass im Jahr 2013 sorgte ein derartiger Sound noch für Probleme: „Bevor ich nach Europa kam, wusste ich gar nicht, dass solche Musik Weltmusik sein soll. Ich habe es einigen Menschen nicht leicht gemacht, weil ich nirgendwo hingepasst habe. Für die Marketing-Leute war das natürlich schwierig: 'Du singst auf Arabisch, aber die Musik ist keine Weltmusik, jetzt haben wir ein Problem.' Da gab es einige absurde Konversationen."
Nach dem Erfolg mit Ya Nass, spätestens aber mit dem von Jim Jarmusch geförderten internationalen Durchbruch muss Hamdan solche Gespräche nicht mehr führen. Stattdessen hat sie nun ein neues Problem: Sie hat kaum mehr Zeit. Das ständige Touren und Eingespanntsein in verschiedene Projekte führten dazu, dass Hamdan sich unterwegs für die Arbeit am zweiten Album Zeit zusammenklauben musste. So entstand Al Jamilat in Hotelzimmern, Zügen, Flugzeugen, später in Studios in New York, Paris, Beirut und London. „Vieles wurde im Zustand der Bewegung geschaffen, und in den Songs steckt auch extrem viel Bewegung. Es war sehr interessant, an einem Song zu arbeiten, dann in eine andere Stadt zu reisen und ihn dort wieder anzuhören. Jede Stadt gab mir einen anderen Sinneseindruck. Manche Städte sind wärmer, manche kälter. So konnte ich auf eine Weise die Temperatur der Songs finden. Und natürlich hat vieles von dem, was in den Songs steckt, mit dem Input zu tun, der von den verschiedenen Musikern kam, die ich in diesen unterschiedlichen Ländern getroffen habe." Darunter sind unter anderem Ex-Sonic-Youth-Schlagzeuger Steve Shelley, der New Yorker Jazzbassist Shahzad Ismaily und die kanadische Violinistin Magali Charron.
Für Yasmine Hamdan hat die Arbeit an neuen Songs drei Ebenen. Zunächst sind da die Songtexte, angelehnt an die Tradition arabischer Poesie: „Meine Songs, meine Texte, meine Charaktere haben immer etwas Mysteriöses, sie sind immer etwas uneindeutig, komplex, die Dinge werden oft mit ihrem Gegenteil zusammen genannt. In dieser Hinsicht hat für mich übrigens auch Leonard Cohen etwas sehr Arabisches. In seinen Songs gibt es viele Andeutungen, genauso wie in der arabischen Poesie und Musik“, erklärt sie. Die zweite Ebene ist die der Melodie: „Für mich ist sie wie das Gewürz des Songs. Mal benutze ich hier viel Curry, mal dort viel Zimt.“ Am Ende kommt die Instrumentierung. „Das ist die Kunst des Kochens, die Art der Zubereitung, um beim Bild zu bleiben. Hier kann viel passieren: Man kann es ein bisschen grillen, kochen, in den Ofen schieben. Diese Ebene macht mir am meisten Spaß, denn ich kann sehr viele Elemente hinzufügen. Elemente aus verschiedenen Mikrokosmen, wie einen lokalen Groove aus Kuwait. Oder Geigenklänge aus den Dreißigern, die mal einen chinesischen, mal einen arabischen Touch haben. Ich bin von ihnen besessen. Diesen Mikrokosmos verbindet man dann mit einem Stück Makrokosmos, wie einem elektronischen Sound, einem umfassenden Groove, der dem Ganzen mehr Stabilität verleiht.“ Möchte man dabei bleiben, ließe sich konstatieren, dass Hamdan auf Al Jamilat wie eine Meisterköchin durch die Küche fegt, während sie sich auf dem Vorgänger noch mit den Funktionen der neuen Einbauküche vertraut machte. Das Album ist eine Entdeckungsreise der Sounds, voller Brüche, Kanten und komplexer Strukturen.
Die Charaktere in Yasmine Hamdans Songs sind zwar oft komplexe und widersprüchliche, meist aber dennoch sehr sinnliche, starke und selbstbewusste Frauenfiguren. Das spiegelt sich auch im Albumtitel: „Al Jamilat“ ist ein Gedicht des palästinensischen Poeten Mahmud Darwish, das sich auch als Song auf dem Album findet. Es heißt übersetzt „Die Schönen“ und ist Hamdan zufolge eine „Ode an die Weiblichkeit“. Die Femininität von Yasmine Hamdans Charakteren steht im Widerspruch zum in Europa weit verbreiteten Bild arabischer Frauen, das ihnen Unterwürfigkeit unterstellt und jede Sinnlichkeit abspricht. „Dieses Image, das uns oft durch die Medien präsentiert wird, entspricht keineswegs dem der modernen arabischen Frau. Der Schleier ist beispielsweise auch für uns ein relativ neues Phänomen, das wir noch gar nicht richtig verstehen. In meiner Kindheit, in der Umgebung, in der ich aufwuchs, gab es keine Schleier. In arabischen Filmen aus den Siebzigern und frühen Achtzigerjahren werden Sie auch keine Schleier finden. Trotzdem sind nicht alle Frauen, die Schleier tragen, unterwürfig, oder zum Tragen verpflichtet. Das zu behaupten, diskriminiert Frauen gleich doppelt.“ Verschleierte Frauen müssten damit Hamdan zufolge gleich als Verkörperung des Islam und Objekte des Hasses herhalten und stünden damit automatisch im Fokus einer an sich schon problematischen „Islamisierungs“-Debatte.
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