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Wenn Tättowierungen vor Krankheiten warnen

Biochemiker wie Carson Bruns forschen an Tätowierungen, die vor UV-Strahlen schützen und Medikamente abgeben.


Immer mehr junge und ältere Menschen sind tätowiert. Tattoos sind aber kein frischer, neuer Trend der vergangenen Jahrzehnte. Tätowierte würden vielleicht sogar sagen, sie seien altmodisch - schließlich können sie auf ein mehr als 5000 Jahre altes Vorbild verweisen: die Gletschermumie Ötzi. 61 Tätowierungen fanden Forscher auf dem Leichnam des Mannes aus dem Alpeneis.


Viel hat sich seit Ötzi nicht verändert. Mit der Mode wechselten Muster und Farben, die Funktion einer Tatöwierung aber blieb weitgehend unberührt: In erster Linie sollen Tätowierungen schön sein oder abschreckend; in manchen Kulturen zeigen sie, wo der Träger innerhalb der Hierarchie steht. Den tätowierten Großstadtmenschen geht es dagegen vor allem um Selbstverwirklichung.


Carson Bruns will das ändern, Tattoos revolutionieren. An der amerikanischen Universität in Colorado forscht er an „Smart Tattoos" - also Tätowierungen mit bestimmten Funktionen. Irgendwann, träumt er, warnen Tätowierungen ihren Träger, dass er zu lange in der Sonne war, zeigen die Körpertemperatur oder den Blutzuckerspiegel.


Er sei seit Jahren von einer Frage besessen, sagte Bruns am Donnerstag auf der Messe Me Convention in Frankfurt: „Wie können wir Tattoos verändern, damit sie unsere Gesundheit verbessern?" Der Biochemiker glaubt, einen Weg gefunden zu haben. Bislang bestünden Tätowierungen aus Farbpartikeln in einer Schicht unter der Hautoberfläche. Anstelle dieser herkömmlichen Farbpartikel will Bruns Mikrokapseln in die Haut tätowieren. Die Kapseln sind etwas größer als die herkömmlichen Farbpartikel und können - je nach Funktion - mit verschiedenen Substanzen gefüllt werden.


Der Biochemiker sieht sich auf einem guten Weg, das möglich zu machen. An Arm und Beinen trägt er kleine Tattoos, kaum größer als Muttermale - er hat sie sich selbst tätowiert. „Solarfreckles" nennt Bruns die kleinen Punkte - Solar-Sommersprossen. Die kleinen Tätowierungen warnen Bruns, wenn er zu lange ungeschützt in der Sonne steht und seine Haut zu viel UV-Strahlung aussetzt. Die Kapseln von Bruns sind mit UV-sensitiver Farbe gefüllt. Normalerweise sind die Tattoos farblos, fällt UV-Licht darauf, werden sie blau.


Das sei aber nur der erste Schritt zu intelligenten Tätowierungen, sagt Bruns. Er will viel mehr Funktionen möglich machen. Tattoos sollen nicht nur fühlen können, etwa die UV-Strahlung, sondern auch schützen und regulieren. Dabei sei vieles denkbar, einiges werde bereits erforscht, so Bruns: Tattoos, die wie Sonnencreme schützen, Tattoos, die wie Nikotinpflaster langsam medizinische Mittel in den Körperkreislauf schicken. „Ich glaube, dass Tattoos uns Superkräfte geben können", sagte Bruns. So forsche er außerdem an einfachen elektronischen Tätowierungen. „Das ist der Beginn einer echten Konversation unseres Körpers mit unseren Smartphones."


Bruns und sein Team aus sechs Wissenschaftlern der Universität Colorado sind nicht die einzigen, die Tätowierungen neue Funktionen geben wollen: Forscher der Uni München arbeiten etwa an Tattoos, die vor Krankheiten warnen. Jüngst haben sie ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Angewandte Chemie" veröffentlicht. Wie Bruns haben sie besondere Farbstoffe in Schweinehaut gestochen. Im Labor injizierten sie den Hautstücken künstlich Glukose und andere Stoffe. Die Tattoos veränderten daraufhin ihre Farbe. Künftig könnte ein Arzt also anhand von Tattoos erkennen, was seinem Patienten fehlt.


Carson Bruns ist allerdings skeptisch, dass sich diese Vision in naher Zukunft erfüllen wird. „Es wäre eine großartige Sache", sagte er. Bei seinen Münchener Kollegen seien die Farbpartikel allerdings zu klein gewesen, sie funktionierten deswegen im menschlichen Organismus nicht. Der Biochemiker aus Colorado will weiter forschen. Sein Ziel sei es, in den nächsten Jahren mehr Tests zu machen - nicht nur an Schweinehaut oder sich selbst, sondern an anderen Menschen. Das sei allerdings schwierig: Bis Test an Menschen erlaubt würden, müsse man auch in den USA viele Formulare ausfüllen. „Notfalls", scherzte Bruns, „gehe ich nach China."

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