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Vom Tierarzt zum IT-Profi

Alles wird digital, heißt es. Die Beschäftigten sollten sich fortbilden. Vladimir Kochoski hat es gemacht. Wie geht es ihm heute?


Es ist ein Traumberuf: Tierarzt. Tausende bewerben sich jedes Jahr um einen der begehrten Studienplätze in Berlin, Gießen, Hannover, Leipzig oder München. Sie werden gelockt von der Arbeit mit Tieren und guten Arbeitsplatzperspektiven. Für Vladimir Kochoski ging der Traum in Erfüllung. Sieben Jahre nach dem Ende seines Tiermedizinstudiums ist er Java-Entwickler. Was ist passiert?


Es sei im Grunde eine klassische Geschichte, sagt der 40-Jährige und lächelt: „Es gab keine Forschungsgelder mehr." Kochoski hatte in der vorklinischen Forschung der Tiermedizin gearbeitet, zunächst als Doktorand an der Universität in Gießen, dann in der Immunologie der Würzburger Universität. Irgendwann versiegten die Forschungsgelder. Statt selbst zu forschen, erledigte Kochoski administrative Aufgaben. „Da wurde mir ziemlich schnell langweilig." Er beginnt sich neben seinem Beruf weiterzubilden, lernt im Zug auf dem Heimweg - sein Ziel: Softwareentwickler werden. „Die Entscheidung war einfach: Ich habe mich schon immer für die IT interessiert", sagt Kochoski.


Die Zeit ist günstig für einen Berufswechsel, der Markt für IT-Spezialisten wächst: Von 2012 bis 2017 ist die Zahl der erwerbstätigen IT-Fachleute nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit um insgesamt 177.000 gewachsen. Gleichzeitig meldeten IT-Unternehmen im vergangenen Jahr rund 54.000 freie Stellen - die höchste Zahl seit 2009. Nach einer Studie des Digitalverbands Bitkom waren Ende 2018 sogar 82.000 Stellen für IT-Spezialisten unbesetzt.


Trotzdem tut sich Kochoski zunächst schwer. Viele Unternehmen suchen Bewerber mit Berufserfahrung, erwarten ein erfolgreich abgeschlossenes Informatikstudium. Das hat der Tiermediziner Kochoski nicht. Auch mit seiner nebenberuflichen Weiterbildung kann er nicht punkten. „Es war sehr zäh", sagt er im Rückblick. Das bestätigen auch die Zahlen der Bundesagentur: Von den 54.000 Stellenmeldungen, die die Bundesagentur für Arbeit 2018 registrierte, richteten sich 48 Prozent an Menschen mit einer Qualifikation, die einem mindestens vierjährigen Studium entspricht.


Kochoski sucht weiter. Irgendwann findet er eine Stellenanzeige im Internet, die sich auch an Quereinsteiger richtet. Der damals 39 Jahre alte Tiermediziner ruft kurzentschlossen an und telefoniert mit dem Geschäftsführer des Unternehmens - es ist der Start von Kochoskis Karriere als IT-Spezialist.


Ein Gewerbegebiet in Mainz-Hechtsheim: Viele Autohäuser, ein Baumarkt, anonyme Bürogebäude. Hier sitzen die Unternehmen Triona und Datagroup. Sie entwickeln IT-Lösungen für andere Unternehmen, zum Beispiel den rheinhessischen Winzer, der noch mit Zettel und Stift notiert, wie viele Flaschen Wein er auf einer Messe verkauft. Die Auftragsbücher der beiden IT-Dienstleister sind gut gefüllt. Es könnten sogar mehr Aufträge sein, aber die Suche nach neuen Mitarbeitern ist schwierig. Der Wettbewerb um die Arbeitskräfte ist groß. Viele Nachwuchskräfte träumen von Google in Berlin - nur wenige von Triona in Hechtsheim. 2010 hat Triona-Geschäftsführer Holger Klatt dann eine Idee: „Wir backen uns den Nachwuchs einfach selbst."


Er stellt Quereinsteiger ein: Historiker, Chemiker - egal, Hauptsache IT-interessiert und menschlich in Ordnung, wie Klatt sagt. In drei bis sechs Monaten lernen sie die Programmiersprache Java, in Kursen und im Selbststudium arbeiten sie an kleinen Projekten. Am Ende steht eine betriebsinterne Abschlussprüfung: Die neuen IT-Experten müssen eine Aufgabe erledigen, die sie später auch bei den Kunden erwartet.


Von den Quereinsteigern erwarte man am Ende der Ausbildung nicht nur fachliche Kompetenz, sagt Helge Viehof, Geschäftsführer der Datagroup Consulting Services GmbH. Er hat die Crashkurse des Nachbarn Triona lange beobachtet. Inzwischen teilen sich die beiden Unternehmen nicht nur ein Bürogebäude, sondern auch die Ausbildung neuer Arbeitskräfte. „Wir brauchen im Wesentlichen auch Lebenserfahrung, Standing beim Kunden, Menschen, die sich trauen, Workshops mit anderen Menschen zu machen", so Viehof. Triona-Chef Klatt stimmt Viehof mit Blick auf die Quereinsteiger zu: „Wenn jemand seine Erfahrungen aus einer völlig anderen Branche mit der IT zusammenbringen kann - das steigert den Wert des Mitarbeiters deutlich."


Triona hat 19 Mitarbeiter. Für Datagroup arbeiten 86 Menschen am Mainzer Standort - deutschlandweit sind es 2500. Seit 2010 haben die beiden Nachbarunternehmen mit den Crashkursen 40 neue Mitarbeiter gewonnen. Die Geschäftsführer der beiden Firmen sind zufrieden mit den Quereinsteigern: „Im Laufe der Zeit haben wir festgestellt: Das klappt richtig gut, die Inhalte kommen an", sagt Holger Klatt. Die eigenen Erfahrungen und die Rückmeldungen der Kunden seien so gut, dass man die Akademie weiterführen wolle.


Kurze Zeit nach seinem Telefonat mit Triona-Geschäftsführer Klatt sitzt auch der Tiermediziner Kochoski in den Räumen der „Java-Akademie". Er ist zufrieden, lernt viel, hat rasch Erfolgserlebnisse. „Ich habe mich sofort bestätigt gesehen in meinem Schritt." Das Setting, der Aufbau der Kurse - es habe einfach gepasst, sagt Kochoski mit Blick auf seine Zeit als IT-Neuling.


Ein weiterer Pluspunkt für Kochoski: Jeder, der die Akademie von Triona und Datagroup durchläuft, wird von Anfang an fest angestellt und erhält ein Gehalt. Das ist nicht überall so. Auch andere Unternehmen haben begonnen, sich selbst um den IT-Nachwuchs zu kümmern. Nicht alle überweisen den Quereinsteigern Geld.


In München und Hamburg bildet das Unternehmen Academy Erwachsene zu IT-Consultants aus. In zwölfwöchigen Kursen werde den Teilnehmern umfassende IT-Kompetenz vermittelt, verspricht Academy auf seiner Webseite - „kostenfrei und unabhängig von ihrem bisherigen Werdegang". Academy suche die Bewerber nach Potenzial und Motivation aus, sagt Romina Rottgardt, Brand Manager. „Es geht nicht darum, was jemand vorher gemacht hat, sondern wie sehr er oder sie für den Quereinstieg in die IT brennt."


Eine Vergütung gibt es während der zwölfwöchigen Kurse aber nicht - auch viel Zeit für einen Nebenjob bleibt den Teilnehmern nicht: Täglich arbeiten sie etwa sieben Stunden in Kleingruppen an Projekten. Insgesamt sollen so rund 500 Stunden Programmierpraxis zusammenkommen. Das sei vergleichbar mit der Programmierpraxis eines IT-Bachelorstudiums verspricht Academy.


Nach Abschluss des Kurses erhalten die frischgebackenen IT-Profis unbefristete Arbeitsverträge beim Mutterkonzern Academic Work. 42.000 Euro zahlt der Personaldienstleister den Absolventen pro Jahr. 117 Menschen haben die IT-Ausbildung von Academy seit dem Start des Programms 2018 absolviert.


Der Digitalverband Bitkom lobt das Konzept: Es biete die Chance, Menschen mit einer IT-Affinität vergleichsweise einfach in den IT-Sektor zu holen, sagt Frank Termer, selbst studierter Wirtschaftsinformatiker. Im Bemühen um mehr IT-Fachkräfte könnten die Crashkurse ein wertvoller Bestandteil sein. Dass sie ein Informatikstudium ersetzen, glaubt der Software-Experte aber nicht: „Ein Informatikstudium bereitet auf eine Vielzahl von Aufgaben vor und vermittelt vor allem auch theoretische Grundlagen für praktische Projekte. Diese Breite an Wissen kann sicherlich nicht in drei Monaten vermittelt werden."


Zurück zum ehemaligen Tiermediziner: Vladimir Kochoski hat seinen Wechsel in die IT nicht bereut. Einige frühere Kollegen hätten sich schon gewundert, sagt er und lacht. Sein Schwager und ein guter Freund hätten sich hingegen gefreut. Die beiden Informatiker habe er nämlich früher immer mit Fragen zu ihrem Job genervt. „Als ich ihnen von meinem Wechsel erzählte, sagten sie nur ‚Endlich' und ‚das war richtig'."

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