Robin Roth schreit die Gruppe schon beim Warm-up an: „Noch drei Squats, noch zwei, noch einen - und fertig." Über 70 Squats, also Kniebeugen, müssen die jungen Männer und Frauen schon machen, dazu Dutzende Ausfallschritte. Sie sind verschwitzt und atmen schwer. „Trinkt bitte alle etwas", fordert der Trainer, „bevor wir jetzt richtig anfangen."
Jeden Samstag trifft sich die Gruppe „Calisthenics Frankfurt" im Frankfurter Hafenpark unweit der EZB. Es ist kein Verein, sondern eine lockere Trainingsgemeinschaft. „Jeder ist willkommen", sagt Robin Roth. Der 25 Jahre alte Student hat vor zwei Jahren als Teilnehmer angefangen, inzwischen turnt er die Übungen - meist oberkörperfrei - als Trainer vor. „Ich habe Calisthencis Frankfurt damals auf Facebook entdeckt", sagt er, „seitdem habe ich kaum einen Termin verpasst."
Man muss nicht sportlich sein, aber wenn man durchhält, wird man es bald sein: Calisthenics ist Krafttraining mit dem eigenen Körpergewicht. Das Wort setzt sich zusammen aus den griechischen Begriffen für „schön" und „Kraft". Die Sportler machen Liegestütze, Kniebeugen oder ziehen sich an Klimmzug- stangen hoch. Sie verzichten auf Hanteln oder Geräte. Ihr Ziel ist der ästhetische Körper, besonders wichtig sind muskulöse Arme und eine breite Brust.
„Ihr seid zu leise"Robin Roth selbst ist schlank und durchtrainiert - ein Muskelberg wie Arnold Schwarzenegger ist er nicht. „Wir konzentrieren uns auf den ganzen Körper", sagt der Student. Wofür der durchschnittliche Sportler eine Woche braucht, packt Roth in einen Samstagnachmittag: Eine Stunde Beintraining, 50 Minuten für die Arme und gegen die Hühnerbrust, 30 Minuten Bauchtraining und eine halbe Stunde zum Aufwärmen und Dehnen. „Zum Schluss gibt es natürlich noch das obligatorische Gruppenfoto für unsere Facebook-Seite", sagt Robin Roth.
Die Calisthenics-Gruppe trifft sich jeden Samstag von 15.30 bis 18 Uhr im Frankfurter Hafenpark an der Honsellbrücke unweit der EZB . Bei schlechtem Wetter wird unter der Deutschherrnbrücke trainiert.
Das Training istkostenlos. Außer Spaß am Sport sollten Teilnehmer viel Wasser und ein Handtuch oder eine Yoga-Matte mitbringen. Alle nehmen auf eigene Gefahr teil. Mehr Informationen auf: facebook.com/Calisthenics.Frankfurt. sbh
Vor dem Kunstverein „Familie Montez" sitzen derweil Menschen in Liegestühlen und trinken Bier oder Kaffee. Sie lassen sich nicht stören - weder vom Nieselregen noch von den Sportverrückten, die vor ihnen die Treppe hoch- und runterhüpfen. Zehn Sportler sind heute zum Training gekommen, normalerweise sind es 30 bis 40 Männer und Frauen.
„Dann kann ich mich ja um jeden einzeln kümmern", sagt Roth - es klingt fast wie eine Drohung. Der Trainer treibt die Gruppe an: „Noch mal 20 Kniebeugen". Die Sportler zählen laut mit, aber nicht laut genug: „Ihr seid zu leise, zurück auf Null." Atalay Orglu gibt zu: „Ein bisschen Folter ist das schon." Er ist, wie alle anderen Sportler, freiwillig hier, aber als Einziger zum ersten Mal. „Das Schöne an Calisthenics ist das Gemeinschaftsgefühl", sagt Roth. Man müsse aber auch ein bisschen verrückt sein: „Wenn du alleine trainierst, würdest du nie sagen: Okay, ich mache jetzt mal 500 Squats." So viele Kniebeugen schafft Atalay Orglu noch nicht. Während der Rest der Gruppe Treppenstufen hochspringt, gönnt sich der 38-Jährige einen Schluck Wasser. Er sei Anfänger und habe jahrelang keinen Sport gemacht. „Aber das geht so nicht mehr weiter", sagt er und fasst sich an den noch etwas vom Sixpack entfernten Bauch.
Die Szene wächstNach dem Beintraining geht es endlich an die Klimmzugstangen. Hier zieht sich jeder so oft hoch, wie er kann. Seit Juli 2013 steht das Fitnessgerüst im Hafenpark. „Der Hafenpark ist super. Das hat die Stadt echt toll gemacht", sagt Roth. Der Student ist in Frankfurt aufgewachsen und weiß noch, wie es vorher war: „Manchmal haben wir Klimmzüge an Fußballtoren gemacht." Inzwischen gibt es mehr als einen Sportpark im Rhein-Main-Gebiet. Die Szene wächst und kennt sich. „Hier am Main trainieren viele Deutsche Meister", sagt Robin Roth.
Fotostrecke Calisthenics im Frankfurter Hafenpark Galerie öffnenNatürlich sei Calisthenics auch etwas für Anfänger, sagt der Trainer. Jede Übung lasse sich vereinfachen, zum Beispiel machten Gummibänder die Klimmzüge leichter. „Die ersten Wochen sind trotzdem hart", sagt Roth und lacht. Annika Zimmermann ist zum zweiten Mal dabei und kann das nur bestätigen: „Das erste Mal war brutal. Ich hatte auch fünf Tage später noch Muskelkater - am ganzen Körper."
Atalay Orglu hat nur den ersten Teil des Trainings mitgemacht. „Ich bin einfach noch nicht fit genug", räumt er ein, will aber unbedingt wiederkommen. „Denn dieses Workout ist eine der besten Sachen, die man sich antun kann."