Es ist alles aus einer Notlage entstanden. Als ich in München meinen Traumjob angeboten bekam, wusste ich schon, dass es schwierig werden könnte, eine Unterkunft zu finden. Ich bekam nur Absagen oder unzumutbare Angebote: ein fensterloses Zimmer ohne Badbenutzung - für 600 Euro. Irgendwann reichte es mir, ich beschloss, dort zu schlafen, wo ich mich sowieso wohlfühle: im Zug. Ich hatte damals schon eine 100.
Eric Hoffmann
28, lässt sich zum Lokführer ausbilden
Der Zug wurde mein Zuhause. Es mag komisch klingen, aber ich habe ein besonderes Verhältnis zur Bahn. Bei mir hatte einmal der Verdacht auf Lymphknotenkrebs bestanden. Es war eine schlimme Zeit, damals konnte ich nur im Zug wirklich abschalten. Der Verdacht hat sich nicht bestätigt, aber die Liebe zum Zug ist geblieben.
Statt weiter nach einer Wohnung zu suchen, legte ich also jeden Tag nach der Arbeit etwa 2.000 Kilometer zurück. Über Augsburg, Stuttgart, Mannheim nach Frankfurt. Von dort mit dem ICE 2020 weiter nach Köln, am Rhein entlang durchs Ruhrgebiet nach Hamburg-Altona. Dann wieder zurück nach München, ins Büro, arbeiten, und dann abends wieder in den Zug. Am Wochenende fuhr ich von Salzburg nach Sylt. Ich lernte ganz Deutschland kennen, in dem Jahr bin ich etwa 160.000 Kilometer gefahren.
In größeren Städten ging ich in die DB-Lounges, zu denen man mit meiner Bahncard Zutritt hat. Dort habe ich Snacks und Getränke umsonst bekommen. Am liebsten trank ich die Limonade mit Holunder-Geschmack, aß Vollkornbrote, belegt mit Salami, bis ich sie nicht mehr sehen konnte. Die Bahn hat sie mittlerweile aus dem Sortiment genommen. Außerdem surfte ich dort im WLAN oder lernte andere Leute kennen, die viel Zug fahren. Eine dieser Bekanntschaften ist mein bester Freund geworden. Für mein normales Sozialleben blieb wenig Zeit.
Es war auch anstrengend. Bei Verspätung musste ich die ganze Zeit checken, ob ich meine Anschlusszüge noch erreiche, damit ich nicht nachts sechs Stunden an einem kalten Endbahnhof strandete. Ständig kontrollierte ich die Fahr- und die Uhrzeit und behielt meine Reiseroute im Blick. Die körperliche Belastung habe ich erst gemerkt, als ich zur Ruhe gekommen bin. Nach einem Jahr mietete ich eine Wohnung und ging wieder in meinen erlernten Beruf zurück, im Saarland. Aber ich merkte, dass mir etwas fehlte.
Ich wollte, dass die Bahn Teil meines Lebens ist. Deswegen will ich jetzt Lokführer werden. Ich pendele zwischen dem Saarland und Mannheim, habe immer noch die Bahncard 100, damit ich in meiner Freizeit dahin fahren kann, wohin ich will. Und ich habe mich verliebt. Meine Lebensgefährtin und ich machen die Ausbildung bei der Bahn zusammen.
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