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"TKKG" auf Livetour: Mehr als eine Nostalgie-Sause? - SPIEGEL ONLINE - Kultur

Ihre Stimmen kenne ich seit über 20 Jahren. Den Jungdetektiven Tim, Karl, Klößchen und Gaby habe ich in meiner Kindheit vorm Kassettenrekorder zugehört, wie sie Mafiakreise zerschlugen, Brandstifter stellten und Einbrechern das Handwerk legten. Auch wenn ich das irgendwann leugnete, weil es nicht so cool rüberkam: "Die drei Fragezeichen" waren mir immer irgendwie zu anstrengend und aufregend, "TKKG" aber besaßen genau das richtige Gleichgewicht aus Abenteuer und Entspannung.

Mit "Wir lösen für sie jeden Fall, wenn sie woll'n überall" als Ohrwurm komme ich deshalb am Samstagabend beim Theater am Potsdamer Platz an. Seit vierzig Jahren sind "TKKG" auf Verbrecherjagd, zu diesem Jubiläum sind die Hörspielsprecher auf Livetour in Deutschland. Die Premiere von "Das unheimliche Dorf" findet hier in Berlin statt.

Der 2007 verstorbene Rolf Kalmuczak erfand "TKKG" und veröffentlichte die Romane unter seinem Pseudonym Stefan Wolf. Millionen von Büchern und Tonträgern wurden verkauft, Kalmuczaks Krimiserie zählt zu den einflussreichsten Jugendreihen Deutschlands. Die Tour ist wohl auch ein Versuch, den Kult weiter zu monetarisieren: Die Konkurrenz von den "Drei Fragezeichen" etwa füllt mit ihren Live-Hörspielen seit Jahren Hallen. Heute steht "TKKG" zudem seit einiger Zeit in der Kritik: Besonders die alten Folgen spielen mit plumpen Stereotypen, vermitteln ein konservatives Frauenbild, feiern die "Karate"-Selbstjustiz von Tim und äußern sich abwertend gegenüber Minderheiten.

Kann der Abend also mehr sein als eine Nostalgie-Sause, bei der man über vieles hinwegsehen muss, um auch heute noch Spaß zu haben?

Zumindest spüre ich erst mal ein leichtes Kratzen im Hals. Die Erkältung bilde ich mir trotz Kälte draußen vermutlich nur ein, denn meine Mutter brachte mir, wenn ich als Kind krank war, aus der Bücherei immer einen Schwung frischer "TKKG"-Kassetten mit. Das ist schon einige Jahre her, aber die Erinnerung an Fieber und Detektivgeschichten bleibt, man kann sagen, dass Schnupfen damals spannender war.

Vielleicht sind Kinder heute tatsächlich tougher

Die meisten "TKKG"-Fans sind wohl wegen ähnlicher Erinnerungen gekommen: Kinder toben zwar wild im Eingangsbereich, sehen dann in den roten Sesseln aber ein bisschen verloren aus - zwischen den Erwachsen, die vielleicht die größeren Fans sind: Zwei Schwestern aus Karlsruhe, die in ihrer Kindheit immer zusammen die Kassetten gehört haben, haben schon seit Monaten ihren gemeinsamen Besuch geplant, die Ältere ist extra für "TKKG"-Live aus Mannheim angereist. Der Saal ist voll.

Der neue Fall für "TKKG" beginnt dann genau so, wie auch früher sehr häufig: an einem schönen Sommertag. Die Vögel zwitschern und die vier Freunde machen einen Fahrradausflug an den See, wo sie Zeuge eines Badeunfalls werden. Doch die Hobby-Ermittler glauben nicht an die Unfall-Theorie und nehmen die Spur in dem nahe gelegenen Dorf auf.

Zusammengehalten wird die Geschichte nun auf der Bühne vom Erzähler Michael Lott, der auch die Regie übernommen hat und gleichzeitig einen wunderlichen Polizisten aus dem Vier-Personen-Kaff interpretiert. Atmosphärisch begleitet wird er von der Geräuschemacherin Almut Schwacke, die die knapp zwei Stunden (so lang waren die Kassetten früher nie!) Autotüren knallen, Donner mit Hilfe einer Plastikplatte grollen und ein Lagerfeuer mit Luftpolsterfolie knistern lässt.

Zwei der vier Dorfbewohner spricht Luise Lunow. Der schrulligen alten Frau, die fest daran glaubt, dass Satan das Dorf verhext hat, verleiht sie eine Stimme, so gruselig, dass ich mich früher davor gefürchtet hätte. Als ich einen Elfjährigen nach dem ersten Teil des Stückes frage, ob er es unheimlich fand, lacht er mich aus - vielleicht sind die Kinder von heute tatsächlich tougher, vielleicht überspielen sie den Schauer aber auch einfach nur besser.

Und die Hauptfiguren? Gabys Hund Oscar sitzt auf der Bühne als Plüschhund, die Sprecher auf vier Crosstrainern:Sascha Draeger (spricht Tim), Tobias Diakow (Karl), Manou Lubowski (Klößchen) und Rhea Harder-Vennewald (Gaby) treten in die Pedale. Besonders die blonde Harder-Vennewald (auch bekannt aus "GZSZ" oder "Berlin, Berlin" - vermutliche andere Jugenderinnerungen von vielen im Publikum) könnte die erwachsene Version der tierlieben Polizistentochter Gaby Glöckner sein. Auch Diakow hat Ähnlichkeiten mit dem wandelnden Lexikon, dem klugen Karl Vierstein, dem Diakow seine Stimme seit 2016 leiht.

Anders ist es bei Draeger, der Tim schon gesprochen hat, als er noch Tarzan genannt wurde. Er ist "TKKG"-Sprecher der ersten Folge, seine Stimme ruft bei mir sofort alles wach, was ich früher so liebte. Ebenso Lubowski, ein durchtrainierter Mann mit weißen Turnschuhen, der mit der Figur des meist Schokolade mampfenden Willi Sauerlich, genannt "Klößchen", äußerlich nichts gemeinsam hat.

Im neuen Fall präsentiert sich Klößchen von seiner besten Seite und kann die meisten Lacher kassieren. Hier hat sich dann vielleicht etwas geändert: In den Hörspielen, die ich kenne, macht er oft eher dumme Kommentare oder erntet diese für sein starkes Übergewicht.

Unabhängig von der beeindruckenden technischen Umsetzung mit Live-Geräuschen und dem Engagement der Sprecher, die auch mal mit einer Steinschleuder durch das Publikum jagen, um eine imaginäre Drohne abzuschießen: Vielleicht haben sich "TKKG" ja wirklich etwas verändert. Ich mich ja auch: Früher leugnete ich, "TKKG"-Fan zu sein. Heute denke ich nach dem Live-Hörspiel: War ein ziemlich netter Abend. Und, dass es vielleicht einfach Dinge gibt, bei denen Zwischenurteile schwierig sind: Nugat oder Marzipan, Berlin oder München, "TKKG" oder "Drei Fragezeichen". Und ich bin eben Team "TKKG".

"TKKG" sind mit "Das unheimliche Dorf" in Deutschland auf Tour - u.a. treten sie am 17.11. in Halle/ Westfalen auf, am 18.11. in Hannover und am 20.11. in Mannheim.

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