Andreas Bauer verkauft Lebensmittel und Waren für den täglichen Gebrauch. Er kennt alle Kunden beim Namen, und diese schätzen ihn als geduldigen Zuhörer.
(Foto: Stefanie Huschle)Mit einem Mini-Supermarkt auf Rädern beliefert Andreas Bauer im Bayerischen Wald eine Kundschaft, die wegen des Dorfladen-Sterbens keine Einkaufsmöglichkeit mehr hat.
Andreas Bauer hupt ungeniert lange, dreimal. Sein weißer Lieferwagen mit der Aufschrift "Rollender Supermarkt" schlängelt sich ruckelnd einen engen Weg entlang, Schotter knirscht unter den Rädern. Flaschen mit Hochprozentigem klappern, eine Dose Kondensmilch rollt durchs Regal. Mit dem letzten Hupen bringt Bauer den Wagen zum Stehen. Er zieht die Seitentür auf und ein kleiner Verkaufstresen kommt zum Vorschein, am Rand die Kiste mit den Sonderangeboten: Kaffee, Kuchen, Ravioli.
Eine Frau kommt zum Wagen, Ende 50 vielleicht. "Was will ich denn? Mein Kopf ist leer. Butter und Milch ...", sie zögert, streicht sich die weißen langen Haare aus dem Gesicht. Dann sagt sie: "Am Samstag war die Beerdigung, die Urnenbeisetzung", und reicht Andreas Bauer ein Sterbebildchen. Sonnenblumen sind darauf und ein Foto ihres Mannes. "Ihr Mann hat mir vor ein paar Wochen erzählt, dass er noch ein paar Jahre weiterleben möchte. Aber es ist nicht mehr so weit gekommen", sagt Bauer, als die Frau weg ist. Der Krebs war stärker.
Bauer ist Seelenklempner, Supermarktverkäufer und Lebensmittellieferant - alles auf einmal. Sein Arbeitsplatz: ein zum Mini-Supermarkt umfunktionierter Lieferwagen. Seine Beifahrerin: eine große Tiefkühlbox. Wer sonst noch mitfahren wollte, müsste sich auf den Verkaufstresen setzen. Deswegen nimmt Bauer nie seine zwölfjährige Tochter mit - zu gefährlich.
Bauer arbeitet seit 25 Jahren als Fahrer und Verkäufer für Peterhäusls Rollenden Supermarkt im niederbayerischen Waldkirchen. An diesem Tag fährt der 55-Jährige etwa 60 Kilometer durch den Bayerischen Wald, Sickling, Atzesberg, Werenain, Grainet - kleine Häuseransammlungen inmitten grüner Felder und Wiesen.
60 Kunden beliefert Bauer an diesem Tag. Ihnen strahlt vom Lieferwagen die Abbildung einer Frau entgegen, die ganz glücklich eine mit Obst und Gemüse gefüllte Einkaufstüte in den Armen hält. Sie hat dunkle glänzende Haare, ihr Gesicht ist jung und faltenfrei. Die Gesichter der Kunden dagegen sind vom Leben gezeichnet, ihre Haare weiß und grau. Die Kunden stammten aus einer anderen Generation als das Model, das den Wagen ziert - aus der Generation, die auf dem Land zurückbleibt.
"Viele sind richtig abhängig von uns"Bauer kennt all seine Kunden beim Namen, kennt ihre Leben und ihre Lebensmittelwünsche. Schon bevor er losgefahren ist, hat er einer Kundin ein Stück Bienenstich und zwei Marmeladenplätzchen zur Seite gelegt. "Das nimmt sie immer", sagt er. Für eine andere Kundin berechnet Bauer die Bild-Zeitung, schon bevor sie aus der Haustüre ist. "Und der nächste nimmt immer zwei Packungen Tabak", verkündet er.
Tatsächlich: Ein Mann mit vergilbtem Bart kommt, kauft den Tabak und unterhält sich anschließend mit Bauer über eine Schulterverletzung, mit der er in den Kernspin muss. Im Hintergrund laufen gackernde Hühner. Der Mann freut sich, dass Bauer einmal die Woche zu ihm kommt: "Wir unterhalten uns immer zehn Minuten oder eine Viertelstunde", sagt er. Bauer hört allen freundlich und ruhig zu. Er mag das, es verkürzt den Arbeitstag, "auch wenn viele nur über ihre Krankheiten oder das Wetter reden", sagt er und grinst. Den Kernspin-Termin seines Kunden weiß er auf den Tag genau auswendig.