Stefanie Delfs

Freie Journalistin, Berlin / Köln

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ORF FM4: "Wir haben eure Festung gestürmt"

Am Rande einer Legida-Kundgebung in der Leipziger Innenstadt marschieren 250 rechtsextreme Hooligans im linksalternativen Connewitz ein und demolieren innerhalb kürzester Zeit einen ganzen Straßenzug. Der Leipziger Süden brennt. Schon wieder.

Es ist Montag Abend. Wie in jeder Woche versammeln sich Legida-AnhängerInnen. Für SympathisantInnen ist die 32. Demonstration aber eine besondere. Sie feiern einjähriges Jubiläum, Gleichgesinnte aus ganz Sachsen reisen an, sogar Pediga-Chef Lutz Bachmann. Während in der Innenstadt die fremdenfeindliche Kundgebung stattfindet, beginnt im Stadtteil Connewitz ein Abend der Verwüstung. Rund 250 rechtsextreme Hooligans stürmen auf die Wolfgang-Heinze-Straße, die Hauptstraße von Connewitz. Innerhalb weniger Minuten verwüsten sie einen ganzen Straßenzug.

Sie schlagen Fensterscheiben ein, stecken Autos und Mülltonnen in Brand, randalieren in Szenekneipen und Imbissbuden. Schließlich zünden sie Pyrotechnik und setzen das Dachgeschoss eines Wohnhauses in Brand. Während die Polizei eingreift und 211 Neonazis wegen schweren Landfriedensbruchs festnimmt, werden die Täter von Gleichgesinnten im Netz bejubelt.

Eine geplante, koordinierte Aktion, die sich nicht gegen Einzelne richtete, sondern gegen einen ganzen Stadtteil. Denn Connewitz ist ein bekanntes linksalternatives Studentenviertel, gilt als ostdeutsche Hochburg der linksautonomen Szene, als Zentrum der Antifa.


"Wir haben eure Festung gestürmt", heißt es in den sozialen Netzwerken. "Die rechtsextremen Hooligans haben die Chance gesehen, in ihrem verhassten Connewitz aufzuräumen", sagt Jürgen Kasek, Landesvorsitzender der Grünen in Sachsen. Denn viele ConnewitzerInnen standen mit Kerzen in der Hand im Regen, nicht aber in Connewitz, sondern in der Innenstadt. Dort bildeten hunderte Menschen eine Lichterkette rund um den dreieinhalb Kilometer langen Innenstadtring. Zum einjährigen Jubiläum von Legida demonstrierten mehr als 2000 LeipzigerInnen friedlich, wollten gemeinsam ein Zeichen gegen den fremdenfeindlichen Pegida-Ableger setzen. Dass es zu einer solchen Eskalation im Leipziger Süden kommen würde, ahnte im Stadtzentrum niemand.


"Die Hooligans haben nicht nur linke Läden angegriffen", sagt Sachsens Grünen-Chef Jürgen Kasek, "sondern auch Buchhandlungen, Optiker und Dönerläden." So auch das Shahia, ein arabisches Restaurant. "Die haben unsere Scheiben eingeschlagen und Böller in den Laden geworfen", erzählt Ramy Gawish, der Sohn des Restaurantbesitzers. Als die Randale losgingen, war der 23-jährige auf dem Weg nach Connewitz, um noch eine Kleinigkeit essen zu gehen. "Ich hatte große Angst, dass meinem Vater und unseren Mitarbeitern etwas passiert sein könnte."


Es ist Dienstag, ein Tag nach den Krawallen. Nur wenige Läden haben geöffnet. Die meisten sind mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Ein paar Passanten spitzen durch die mit Plastik oder Holz bedeckten Fensterscheiben, fotografieren mit ihren Smartphones die Scherben auf der Straße. "Es entsteht Wut bei den Betroffenen", sagt Kasek. Sie fühlen sich alleine gelassen, fragen sich, warum die Polizei die Gefahr nicht früher erkannt hat. Zumal Auseinandersetzungen, eskalierende Gewalt und Zerstörungswut nicht neu sind.


Gerade mal vor vier Wochen, am 12. Dezember 2015, hatten rechtsextreme Gruppierungen eine Demonstration durch Connewitz ankündigt. Eine Aktion, die gezielt die linke Szene provozieren sollte. Die Route wurde zwar verlegt, eine Eskalation konnte aber dennoch nicht verhindert werden. Hunderte Linksautonome setzten Mülltonnen in Brand, verwüsteten Straßenbahnstationen und warfen mit Pflastersteinen. Die Polizei antwortete mit Wasserwerfern und Reizgas. Für Kasek war der Angriff der rechtsextremen Hooligans am Montag ganz klar eine "Racheaktion". Rache dafür, dass sie im Dezember nicht durch Connewitz marschieren durften.


Vielen LeipzigerInnen machen die Ausschreitungen, die Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) als "Straßenterror" bezeichnet, zunehmend Angst. "Der Hass, den die Leute mit sich tragen, schlägt nun vielerorts in Gewalt um", sagt Trang Dang, die in Connewitz arbeitet. Die 28-jährige hat vietnamesische Wurzeln und fühlt sich von den Angriffen rechtsextremer Gruppierungen besonders eingeschüchtert: "Das Gefühl, Gewalt über Rassismus zu erfahren, ist verdammt beklemmend. Gemischt mit einem Gefühl, nirgends sicher zu sein, das ist irgendwie zu viel."


Auch Grünen-Politiker Kasek fühlt sich in Sachsen zunehmend unsicher, fürchtet um die Sicherheit seiner Familie. Erst gestern wurde ihm mehrfach gedroht. In sozialen Netzwerken, aber auch per Telefon. "Kasek Kopfschuss" hörte er eine Stimme sagen, als er auf die Abspieltaste seines Anrufbeantworters drückte. "Wenn die Drohungen den digitalen Raum verlassen, dann wird die Bedrohungslage plötzlich greifbar", sagt Kasek.


Connewitz lässt sich von den Krawallen nicht einschüchtern. Ganz im Gegenteil: Die Antwort der Linken lässt nicht lange auf sich warten. Vierundzwanzig Stunden nach den Hooligan-Randalen ziehen rund 2000 DemonstrantInnen friedlich durch den Süden Leipzigs und rufen lautstark: „Nazis raus! Nazis raus!“


Trang hat es nicht zur Demonstration geschafft. Trotzdem will sie sich den Rat guter Freunde zu Herzen nehmen: Sie will sich von der Angst nicht unterkriegen lassen.







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