Stefan Rochow

Journalist und Medienunternehmer, Schwerin

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Kolping will zurück zum umstrittenen Beratungsschein

Ein Memorandum der Bundesversammlung bedauert zugleich das „schwindende Bewusstsein für den Lebensschutz“ Von Stefan Rochow


Auf seiner Bundesversammlung am vergangenen Wochenende in Köln hat das Kolpingwerk Deutschland ein „Memorandum zum Lebensschutz“ beschlossen. Aus Sicht des katholischen Sozialverbandes ist die Wahrung der Menschenwürde und der Schutz des Lebens vom ersten bis zum letzten Augenblick, eine der wichtigsten Aufgaben staatlichen Handelns. „Mit Besorgnis beobachtet das Kolpingwerk Deutschland dennoch ein schwindendes Bewusstsein für den Lebensschutz; das wirkt sich auch auf politische Entscheidungen und den uneingeschränkten Schutz des menschlichen Lebens aus“, heißt es im Memorandum.


Bundesvorsitzender Thomas Dörflinger verwies in seiner Begrüßung der etwa 350 Delegierten am vergangenen Freitag darauf, dass das Lebensrecht im Moment an vielen Stellen ausgehöhlt wird. Als Beispiele verwies er auf den Umstand, dass in Deutschland schon heute Tausende künstlich befruchtete Embryonen eingefroren und, falls nicht mehr benötigt, „verworfen“ werden. Weiter verwies Dörflinger, der für die CDU im Bundestag sitzt, darauf, dass derzeit durch das Gesundheitswesen geprüft wird, ob ein einfacher Bluttest als Kassenleistung eingeführt wird. Für Dörflinger besteht der einzige Nutzen dieses sogenannten „PraenaTest“ darin, eine mögliche Behinderung des ungeborenen Kindes festzustellen, worauf in 90 Prozent der Fälle eine Abtreibung erfolgt.


In seinem nun beschlossenen Memorandum wendet sich das Kolpingwerk Deutschland gegen „jede Form organisierter und kommerzieller Selbsttötungsbeihilfe“. Das Memorandum begrüßt die Entscheidung des Deutschen Bundestages zu seinem „Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ im November 2015 und sieht darin „ein starkes Zeichen für den Lebensschutz und für ein Sterben in Würde“. Allerdings sei in den Debatten und in entsprechenden Umfragen deutlich geworden, dass es durchaus starke Kräfte gegen die jetzt geltende Regelung gebe. „Der Lebensschutz ist nicht allein Aufgabe des Staates und der Politik, sondern der gesamten Gesellschaft“, so das Kolpingwerk. Seine verbandlichen Ebenen ruft der Sozialverband auf, „durch Aufklärung, Gewissensbildung und praktische Hilfe für Frauen in Not sowie Schwerkranke am Schutz des menschlichen Lebens mitzuwirken“.


Für Diskussionen dürfte das Memorandum aus einem anderen Grund sorgen: Die Bundesversammlung empfiehlt der Deutschen Bischofskonferenz „eine Rückkehr in das Beratungssystem nach § 219 StGB“. Konkret bedeutet diese Forderung, dass katholische Beratungsstellen in Zukunft wieder einen Beratungsschein ausstellen dürfen, welcher die Mutter berechtigt, ihr Kind straffrei im Mutterleib töten lassen zu können.

Bischofskonferenz solle zurück ins Beratungssystem

Im Jahr 2000 hatte die Bischofskonferenz nach mehreren Jahren kontroverser Diskussionen mit dem Vatikan beschlossen, auf die Ausstellung eines Beratungsscheins in katholischen Einrichtungen zu verzichten. Zuvor hatte Papst Johannes Paul II. in einem Brief an die deutschen Bischöfe deutlich gemacht, dass er ein Engagement der Kirche in der Schwangerschaftskonfliktberatung erwartet, aber die Ausstellung eines Beratungsscheins für bedenklich hält. Da der Beratungsschein nach dem deutschen Abtreibungsstrafrecht „eine Schlüsselfunktion für die Durchführung straffreier Abtreibungen erhalten hat“, bat der Papst die Bischöfe eindringlich, „Wege zu finden, dass ein Schein solcher Art… nicht mehr ausgestellt wird“. Johannes Paul II. machte deutlich, dass „der unbedingte Einsatz für jedes ungeborene Leben, dem sich die Kirche von Anfang an verpflichtet weiß“, mit der Ausstellung eines Beratungsscheins nach § 219 StGB, mit dem in Deutschland eine Abtreibung straffrei bleibt, unvereinbar ist.


Wie ernst es der Heilige Vater damals mit seiner Aufforderung nahm, wurde in einem Kommentar des Staatssekretariats zum Papstbrief deutlich, der damals zusammen mit dem Brief veröffentlicht wurde. Der Papst habe sie „in seiner Verantwortung als oberster Hirte der Kirche“ getroffen. Damit wurde deutlich, dass der Papst hier eine bindende Entscheidung getroffen hatte.


Als Reaktion auf den Konflikt zwischen den deutschen Bischöfen und dem Papst, gründete sich im Jahr 1999 der Verein Donum Vitae, der bis heute die umstrittenen Beratungsscheine ausstellt. Von der Kirche ist der Verein aus diesem Grunde nicht anerkannt. Noch 2014 hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, festgestellt, dass er im Verhältnis zu Donum Vitae „wenig Spielraum“ sieht. Aus seiner Sicht gebe es keine Möglichkeit zu einer „Übernahme in das kirchliche Programm“.


Die Bundesversammlung des Kolpingwerkes Deutschland fordert hingegen, dass die Deutsche Bischofskonferenz das bei Donum Vitae erbrachte „Engagement aus christlicher Verantwortung heraus anzuerkennen“ habe. „Vor dem Hintergrund des Bewusstseinswandels in der Gesellschaft und der eingetretenen Beratungspraxis empfiehlt das Kolpingwerk Deutschland eine Rückkehr in das Beratungssystem nach § 219 StGB.“ Den Rückzug empfindet der Sozialverband als „bedauerlich“ und im „Ergebnis verheerend“.

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