In der Stadtvertretung von Penzlin geht es normalerweise um Bebauungspläne, die Wahl des Gemeindewehrführers oder Kita-Probleme. Kommunalpolitischer Alltag einer 3000-Einwohnerstadt im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte.
Im Juni aber, da machte der Ort plötzlich bundespolitisch Schlagzeilen. Vertreter der CDU schlossen sich mit einem AfD-Abgeordneten zu einer Zählgemeinschaft zusammen. Für die Penzliner Christdemokraten war der Vorteil offensichtlich: Sie bekamen mehr Sitze in den Ausschüssen. Und der AfD-Mann erhielt durch den Zusammenschluss Plätze in zwei Gremien - allein hätte ihm gar keiner zugestanden.
In der Berliner CDU-Zentrale stöhnte man auf. Denn gerade als der Fall in Penzlin einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, hatte Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer in der ARD-Sendung "Anne Will" deutliche Worte gegenüber der AfD gefunden. Sie könne sich nicht vorstellen, "dass es jemals eine Zusammenarbeit mit dieser Partei geben kann". Sie bekräftigte damit einen entsprechenden Parteitagsbeschluss.
Einen Tag später erklärte der CSU-Vorsitzende Markus Söder, dass selbst "der Kaffeeplausch in einem Kommunalparlament" abzulehnen sei und warnte, dass eine Zusammenarbeit "von schwerem Schaden für die gesamte Union" wäre.
Die Frage, wie die CDU mit der AfD umgeht, ist wenige Wochen vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen aktueller denn je. In allen drei Ländern dürften die Rechtspopulisten massiv dazugewinnen, in Brandenburg oder Sachsen könnten sie womöglich sogar an der Union vorbeiziehen. Die Mehrheitsverhältnisse werden wohl kräftig durcheinandergewirbelt, die Regierungsbildung an der AfD vorbei wird kompliziert.
Die Unionsspitze setzt trotzdem auf klare Kante gegen die Rechtspopulisten: keine Kooperation, erst recht keine Koalition. Aber lässt sich diese Linie auf Dauer durchhalten? Nicht nur in Penzlin haben sich Vertreter von CDU und AfD angenähert. Auch anderswo hält man von einem strikten Kontaktverbot wenig:
Die beiden Vizechefs der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, argumentierten in einer Denkschrift, dass CDU und AfD ähnliche Ziele verfolgten. Es sei ein "historischer Fehler", die Sehnsucht nach Heimat nicht verteidigt zu haben, heißt es in der Schrift weiter. Thomas bekräftigte zudem gegenüber der "Mitteldeutschen Zeitung", dass die CDU eine entsprechende Koalition nicht ausschließen dürfe. Der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen erklärte jüngst auf einer CDU-Wahlkampfveranstaltung, dass es viele vernünftige Leute in der AfD gebe. In einem Interview sagte er: "Ich glaube, in der jetzigen Situation werden wir es auch ausschließen, dass es zu einer derartigen Koalition kommt, aber man weiß nie." Alexander Mitsch, Vorsitzender der konservativen "Werteunion", sprach sich dafür aus, der AfD gegenüber offen zu bleiben. In einem Gastbeitrag für "Focus Online" schrieb er: "Mit Kontakt- und Kooperationsverboten wird man die AfD nur stärken." Die "Werteunion" sei daher für eine Abgrenzung gegenüber der AfD, aber nicht für ihre Ausgrenzung, man müsse "in der Demokratie gesprächsbereit" bleiben.Im Osten wird eine Koalition eher befürwortet als im Westen
Laut ARD-Deutschlandtrend befürworten zwei Drittel der Wahlberechtigten, dass die CDU eine Koalition mit der AfD ausschließt. Die Ergebnisse im Osten und Westen unterscheiden sich jedoch: Während in Westdeutschland 68 Prozent wollen, dass die CDU eine Zusammenarbeit mit Rechtsaußen verneint, sind es in Ostdeutschland 46 Prozent.
Die unterschiedlichen Werte für Ost und West deuten bereits an, wo sich die Anti-AfD-Strategie als schwierig erweist. Politik wird nicht nur im Bund gemacht, sie findet auch in Länderparlamenten, Kreistagen und Gemeinderäten statt. Und gerade in der ostdeutschen Kommunalpolitik ist die AfD seit den Wahlen im Frühjahr stark vertreten, in vielen Landkreisen erhielt sie über 20 Prozent.
Für die CDU hat damit ein Balanceakt zwischen dem eigenen Anspruch und der kommunalen Realität begonnen. Penzlin ist dafür nicht das einzige Beispiel.
So traf sich im sächsischen Meißen der CDU-Landrat Arndt Steinbach mit den Kreisräten der AfD. Das Gespräch sei konstruktiv verlaufen, hieß es dazu in einer Mitteilung aus dem Landratsamt. Und dass die Situation auf kommunaler Ebene eben eine andere sei als in Berlin. Auch in Thüringen zeigten sich Vertreter von CDU und AfD kooperationsbereit: Im Ilm-Kreis schlug ein Abgeordneter der CDU einen AfD-Kollegen als stellvertretenden Ausschussvorsitzenden vor. In Geisa traten die Christdemokraten zwei ihrer Sitze im Hauptausschuss ab - einen an die Linke und einen an die AfD. In Hildburghausen trafen sich Vertreter von CDU und AfD zum gemeinsamen Abendessen beim Griechen. Mit dabei war auch eine CDU-Landtagsabgeordnete, die das Treffen verteidigte: Man habe keine Absprachen getroffen, es sei nur um die Frage gegangen, ob die AfD die Feuerwehr bei einer Beigeordneten-Wahl unterstützen könnte.Ist eine Zusammenarbeit auf Dauer unvermeidlich?
Raymond Walk, CDU-Generalsekretär in Thüringen, hat für solche Kontakte kein Verständnis: "Die AfD kann für die CDU kein politischer Partner sein. Völkische Parolen und bewusste Provokationen, gerade aus der Höcke-AfD, verbieten das von selbst." Es gebe "völlige Übereinstimmung, nicht mit der AfD zu kooperieren". Den entsprechenden Beschluss des Landesvorstands hätten alle Kreisvorsitzenden mit getragen.
Für Walk würden an dieser Linie auch die zu erwartenden guten AfD-Ergebnisse bei den Landtagswahlen nichts ändern: "Die Stärke einer Partei ist am Ende nicht ausschlaggebend. Entscheidender ist, ob eine Partei nach ihrer ganzen Ausrichtung Partner sein kann." Ziel der CDU sei es stärkste Kraft zu werden, "um dann eine Regierung in der bürgerlichen Mitte zu bilden".
Das würde auch die CDU in Sachsen gern, doch die Ausgangslage ist kompliziert. Derzeit sieht es nicht danach aus, als könnte man die Koalition mit der SPD fortsetzen. Womöglich braucht man zusätzlich die Grünen, aber mit denen liegt die konservative Sachsen-Union in vielen Fragen überkreuz. Daher empfahl der Politikwissenschaftler und CDU-Berater Werner Patzelt seiner Partei, sich in Sachsen im Fall der Fälle an einer Minderheitsregierung zu versuchen.
Eine offizielle Tolerierung durch die AfD schloss Patzelt zwar aus. Nur: In der Praxis würde eine solche Entscheidung wohl dazu führen, dass die CDU auch mit der AfD-Fraktion Absprachen treffen müsste, um regieren zu können.
Die AfD schaut den Verrenkungen der Christdemokraten derweil gelassen zu. Laut Deutschlandtrend haben sich 93 Prozent der AfD-Anhänger dafür ausgesprochen, eine Koalition mit der CDU nicht auszuschließen. AfD-Chef Jörg Meuthen hat eine Koalition nach den kommenden Landtagswahlen hingegen abgelehnt. Noch erkenne er dahingehend keine Annäherung.
Auf Dauer aber lässt sich die Zusammenarbeit in seinen Augen aber nicht umgehen: "Es sollte mich wundern, wenn es 2025 zumindest auf Landesebene noch keine Koalition von CDU und AfD gibt."