Sophia Boddenberg

Freie Journalistin, Santiago de Chile

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Chile droht Rechtsruck

Siegesgewiss: Sebastián Piñera will in das höchste Staatsamt Chiles zurückkehren Foto: Ivan Alvarado/REUTERS

Von Sophia Boddenberg

Wenn die Chilenen am Sonntag einen neuen Präsidenten wählen, droht sich die Geschichte zu wiederholen. Angesichts eines dramatischen Popularitätsverlustes der Präsidentin Michelle Bachelet (Sozialistische Partei) und einer gespaltenen Linken scheint alles auf einen Triumph des Milliardärs Sebastián Piñera hinauszulaufen - ausgerechnet jenes Expräsidenten, der vor Bachelets Amtsübernahme von der Studentenbewegung aus dem Amt gefegt wurde.

Die Hoffnungen waren groß, als Bachelet 2014 zum zweiten Mal das höchste Staatsamt eroberte. Sie versprach weitreichende Veränderungen und setzte viele davon auch durch, so etwa eine Steuer- und Arbeitsmarktreform, die die Position der Gewerkschaften stärken sollte. Sie gründete ein Ministerium für Frauen und Geschlechtergleichheit, setzte die eingetragene Lebenspartnerschaft für homosexuelle Paare durch und lockerte das äußerst restriktive Abtreibungsrecht. Außerdem schaffte sie das noch aus Zeiten der Pinochet-Diktatur stammende Wahlsystem ab, das die Kandidaten der beiden großen Parteienkoalitionen begünstigte, die das politische System Chiles seit dem Ende der Militärdiktatur dominieren - das Mitte-links-Bündnis "Concertación" (heute "Nueva Mayoría", "Neue Mehrheit") auf der einen und eine rechte Allianz aus zwei nationalistischen und pinochettreuen Parteien auf der anderen Seite. Zukünftig können nun auch unabhängige Kandidaten und Vertreter kleinerer Parteien den Sprung ins Parlament schaffen.

Dennoch sind aktuell nur noch 34 Prozent der Chileninnen und Chilenen mit Bachelets Arbeit zufrieden. Die Gründe für diesen dramatischen Absturz - ihre erste Amtszeit beendete Bachelet 2010 noch mit Zustimmungswerten von 84 Prozent - liegen zum einen in der ausgebliebenen Umsetzung weiterer zentraler Wahlversprechen, allen voran der Reform der noch von Diktator Augusto Pinochet implementierten Verfassung. Zum anderen befindet sich die Präsidentin in einem grundlegenden Dilemma, das besonders in der Debatte um die Steuer- und Arbeitsmarktreform zum Ausdruck kam: Für viele Linke ist sie nicht radikal genug, den Rechten geht sie zu weit.

Dieser Unmut gegenüber der Regierung bildet den Hintergrund, vor dem ein neuer Akteur die politische Bühne Chiles betreten hat: Die Frente Amplio (Breite Front). Das Bündnis hat seinen Ursprung in der Studentenbewegung und besteht aus zwölf linken Parteien und Bürgerbewegungen. Es will den beiden traditionellen Koalitionen Konkurrenz machen und der neoliberalen Politik ein Ende setzen. Und tatsächlich lag die Präsidentschaftskandidatin der Frente Amplio, Beatrice Sánchez, mit dem Aspiranten der Nueva Mayoría, Alejandro Guillier, in Umfragen zwischenzeitlich fast gleichauf.

Doch die Entstehung der Frente Amplio trägt zur Spaltung der chilenischen Linken bei. Insgesamt sechs verschiedene Kandidaten vertreten mehr oder weniger fortschrittliche Positionen. Demgegenüber tritt die Rechte mit nur zwei Bewerbern an - neben Sebastián Piñera ist das der parteiunabhängige José Antonio Kast. Das macht Piñera zum Favoriten, obwohl er mit einem Korruptionsskandal um die Finanzierung seiner Wahlkampagne im Jahr 2009 zu kämpfen hat. Trotzdem gestehen ihm viele Menschen in Umfragen eine hohe Kompetenz in Wirtschaftsfragen und bei der Bekämpfung der Kriminalität zu - genau bei jenen Themen, die den Chilenen am meisten Sorgen bereiten.

"Eine Regierung Piñera würde einen schwerwiegenden Rückschlag bedeuten, und sie würde das große Problem der Konzentration ökonomischer Macht und der Ausschweifungen der Unternehmerklasse verschärfen", warnt dagegen die kommunistische Parlamentsabgeordnete und frühere Studentenvertreterin Camila Vallejo. Im Interview mit der spanischen Tageszeitung El País zeigte sie sich am Mittwoch überzeugt davon, dass sich der auch von ihrer Partei unterstützte Guillier in der Stichwahl durchsetzen wird: "Ich vertraue auf die Vernunft der fortschrittlichen und linken Kräfte, gemeinsam in die zweite Runde zu gehen."


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