Von Sophia Boddenberg
Das Thema Klasse wird und wurde im Kampf für Geschlechtergerechtigkeit häufig vergessen. Julia Roßhart hat jetzt eine Analyse zu "Klassenunterschieden im feministischen Bewegungsalltag" in der Bundesrepublik der 80er und 90er Jahre vorgelegt. Erschienen im jungen Berliner Verlag w_orten & meer, ist das Buch zugleich die Dissertation der Autorin, die sie an der Berliner Humboldt-Universität vorgelegt hat.
Roßhart geht in ihrem Forschungsprojekt davon aus, dass "Klasse" nicht nur eine ökonomische Kategorie ist, sondern dass die Klassenzugehörigkeit unsere Verhaltensmuster beeinflusst - und deshalb auch einen Einfluss auf die feministischen Bewegungen ausübt. Zum Beispiel können Frauen aus der Mittelschicht Frauen aus der Arbeiterklasse durch ihre Einstellungen und Verhaltensweisen unterdrücken - und sie tun es auch bzw. haben es getan.
Ein wesentlicher Befund Roßharts ist, dass innerhalb der feministischen Bewegungen Herrschaftsverhältnisse existieren und Frauen von anderen Frauen aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit diskriminiert werden, was häufig von privilegierten Feministinnen ignoriert wird. Die Autorin will zugleich aufzeigen, wie "binnenkritische" Interventionen von Aktivistinnen diese Herrschaftsverhältnisse, Differenzen und Unterdrückung zwischen Frauen zunächst bewusst machen - und zu Veränderungen beitragen. Roßhart geht es darum, "die antiklassistischen feministischen Interventionen zu würdigen und aufzuarbeiten, in die feministische Theorie und Bewegungsgeschichte einzuschreiben und sie so als Inspirationsquellen für aktuelle feministische Wissensbildung und aktivistische Zusammenhänge sichtbar(er) zu machen".
Das Buch besteht aus neun Interpretationskapiteln zu "antiklassistischen Interventionen", etwa der Berliner "Proll-Lesbengruppe", der afrodeutschen Frauenbewegung, der Macherinnen der Zeitschrift Ihrsinn und Studentinnen aus Arbeiterfamilien.
Roßhart geht auch auf ihre eigene Herkunft und ihre persönlichen Erfahrungen ein, um ihre Herangehensweise an das Thema transparent zu machen. Sie schreibt: "Ich selbst komme aus dem nichtakademischen KleinbürgerInnentum, später ökonomisch aufgestiegen; groß geworden bin ich in einem dörflich-kleinstädtischen, mittelständischen, weißen HandwerkerInnenumfeld". Mit ihrem Hintergrund seien sowohl Diskriminierungserfahrungen als auch Privilegien verbunden. Die Autorin stellt die Schilderung der "Interventionen" in den Mittelpunkt und bewegt sich selbst zwischen ihnen. Sie stellt an sich den Anspruch, durch verstehendes Zuhören und kritische Wertschätzung den Forschungsprozess umzusetzen, und sie wird ihm gerecht.
Allerdings ist das Buch in Sprache und Aufbau auf eine akademische Leserinnenschaft zugeschnitten, reproduziert also seinerseits in gewisser Weise Herrschaftsverhältnisse und grenzt Menschen ohne Hochschulabschluss, vermutlich ungewollt, aus. Insgesamt ist die Veröffentlichung aber ein wichtiger Beitrag zur feministischen Theoriebildung, denn sie setzt einen Anfangspunkt in der Analyse der Wirkungsmacht von Herrschaftsverhältnissen innerhalb der feministischen Bewegung, in der nicht nur "Klassismus", also die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft, sondern auch Rassismus die Konflikte prägt. Dies aufzuarbeiten und bewusst zu machen ist fundamental für den Fortbestand insbesondere der linken feministischen Bewegung.
Infos und Verweise zu diesem Artikel: