Abtreibung ist in Chile verboten, deswegen treiben Frauen heimlich ab. Welche Folgen kann das haben?
Claudia Dides: In Chile kaufen sich Frauen Misoprostol, eine Abtreibungstablette, beim Drogendealer und treiben dann heimlich zu Hause im Badezimmer ab. Sie sprechen mit keinem darüber, weil sie Angst haben. Ein 22-jähriges Mädchen aus Temuco zum Beispiel hat Misprostol falsch eingenommen und kam mit Blutungen ins Krankenhaus. Die Hebamme rief den Arzt an, der Arzt die Polizei und die Polizei den Staatsanwalt - und dann wurde die junge Frau verhört, bis sie zugab, dass sie abgetrieben hatte. Eine andere Frau wurde von dem Arzthelfer angezeigt, der ihr Bett geschoben hatte. Es gibt auch Ärzte, die keine Lust auf den Papierkram haben und einfach sagen, dass eine Fehlgeburt passiert sei. Aber manche andere würden ihre eigene Großmutter anzeigen.
Ihre Organisation "Miles" hat im chilenischen Parlament einen Entwurf eingebracht, um das Abtreibungsgesetz zu reformieren. Worum geht es da?
Es geht dabei um die Legalisierung von drei Abtreibungsgründen. Zum einen bei Frauen, die eine Krankheit haben oder deren Embryo nicht lebensfähig ist. Und zum anderen bei Vergewaltigung. Es kann nicht sein, dass man ein Mädchen im Alter von elf Jahren dazu zwingt, Mutter zu werden. Einmal kam eine Frau zu mir, mit der wir schlussendlich eine Therapie bei einer Psychologin gemacht haben. Die Frau war Katholikin und hätte niemals daran gedacht, abzutreiben. Aber ihre Diagnose war so schrecklich, dass sie keinen anderen Ausweg sah. Die Plazenta hat den Fötus aufgelöst und sie musste so lange warten, bis der Fötus starb. So will es bislang das chilenische Gesetz. Diese Frau kämpft jetzt mit uns für Frauenrechte. Solche Fälle motivieren mich jeden Tag, aufzustehen und weiterzukämpfen. Feministische Gruppen kritisieren uns, weil wir uns nicht für komplett freie Abtreibung einsetzen. Natürlich wünschen wir uns das irgendwann, aber für ein solches Gesetz würde man im Moment keine Zustimmung erhalten. Das ist also politische Taktik.
Wie haben Sie die Debatten über ein neues Abteibungsgesetz im Parlament erlebt?
Am meisten hat mich die Ignoranz und Aggressivität der konservativen Abgeordneten schockiert. Ein Abgeordneter verglich die Abtreibung mit der Ermordung von Menschen während der Militärdiktatur. Das Schwierigste war es, den Leuten zu erklären, dass sexuelle Gewalt eine der furchtbarsten Erfahrungen für einen Menschen ist, ob für eine Frau oder einen Mann. Wir mussten verteidigen, dass wir nicht vergewaltigt werden wollen. Wir mussten darüber sprechen, das Inzest nicht normal ist. In Chile wird nicht viel über Inzest gesprochen, aber es gibt ihn, besonders auf dem Land. Und dann werden die Mädchen schwanger und können nicht abtreiben. Es gibt viele Frauen in Chile, die wie Sklaven behandelt werden, in Zwangsbeziehungen leben und von ihrem Ehemann täglich vergewaltigt werden. Ich kann es auch verstehen, wenn eine Frau, die vergewaltigt wurde, das Kind bekommen will. Aber sie muss sich selber dazu entscheiden dürfen. Eine Frau dazu zu verpflichten, eine erzwungene Schwangerschaft auszutragen, ist für mich eine Verletzung der Menschenrechte.
Woran liegt es, dass Chile eines der wenigen Länder ist, in denen Abtreibung komplett verboten ist?
Das Gesetz zum Abtreibungsverbot hat Jaime Guzmán während der Militärdiktatur verabschiedet, davor war Abtreibung aus therapeutischen Gründen erlaubt. Guzmán war Anhänger Pinochets und Verfechter nationalsozialistischer Theorien. Er war der Meinung, dass Frauen keine Rechtssubjekte seien und bei Vergewaltigungen das Kind bekommen und sich selbst in Gottes Namen opfern müssten. Wir haben in Chile immer noch die Verfassung von 1989, also aus der Militärdiktatur. Das Abtreibungsverbot ist eine der vielen Altlasten aus der Diktatur. Die gleiche Überzeugung, die ich während der Diktatur hatte, um für die Demokratie zu kämpfen, treibt mich auch jetzt an. Es ist die Überzeugung, dass es möglich ist, die Welt zu verändern.
Interview: Sophia Boddenberg
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