"Doctor Who" ist nach 54 Jahren endlich eine Frau. Einige Fans waren entsetzt - und wehe, man unterstellt diesen Motzern Sexismus. Der 30. Teil unserer Kolumne "Nächste Folge".
Die Verkündung, wer den nächsten Doktor in der BBC-Serie „Doctor Who" spielen wird, ist in Großbritannien ein echtes Ereignis. Die Serie ist auf den britischen Inseln Teil des Kulturgutes, sie läuft mit Unterbrechung seit 1963, 2005 wurde sie neu aufgelegt.
Fans warten immer gespannt auf dieses sogenannte „Reveal", das auf BBC One übertragen wird. Und im Juli 2017 war es mal wieder so weit. Peter Capaldi, der zwölfte Doktor, hatte nach vier Jahren den Schallschraubenzieher (oder in seinem Fall die Schallsonnenbrille) an den Nagel gehängt. Die Briten starrten gebannt auf ihre Bildschirme, um zu sehen, wer nun ihr neuer, dreizehnter Doktor sein wird. Und nach einigem spannungsaufbauendem Lichtergeflacker erschien das Bild der Schauspielerin Jodie Whittaker. Ein wunderschöner Moment in der Geschichte von „Doctor Who". Der Doktor ist nach 54 Jahren endlich eine Frau. Hatte also lange genug gedauert. Der Doktor - ein Timelord - regeneriert sich, anstatt zu sterben. Und dass die neue Inkarnation ein Mann sein muss, hatte keiner der Autoren der Serie behauptet.
Aber wir leben in einer patriarchalischen Gesellschaft, einige Fans waren entsetzt. Und wehe, man unterstellt diesen Motzern Sexismus. Denn ihre Argumentation lautet: Es gehe nicht darum, dass der Doktor jetzt eine Frau ist und man damit ein Problem habe, man habe schließlich nichts gegen Frauen. Aber man sei eben einen Mann gewöhnt, es war immer ein Mann und könne daher jetzt nicht einfach eine Frau sein.
Lustigerweise entspricht diese Argumentation ja genau der Definition von Sexismus: Phänomene und Ansichten, die einen ungleichen Status von Frauen und Männern zur Folge haben und in Gesellschaften institutionalisiert sind. Also geht es bei dieser ganzen blödsinnigen Diskussion, ob der Doktor eine Frau sein darf, eben doch um nichts anderes. Sexismus basiert auf geschlechtsbezogenen sozialen Normen, das heißt, Annahmen, über das, was korrekt, annehmbar und zulässig ist.
Bitter für diese „Fans", die ihre Serie nun als versaut betrachten und sie boykottieren: Jodie Whittaker als dreizehnter Doktor ist großartig. Man muss ihre Version der Figur einfach gern haben, sie ist auf sympathische Art zerstreut, unangestrengt, stark und schlagfertig. Das ganze Ensemble ist gelungen, der dreizehnte Doktor ist nun mit drei Begleitern unterwegs, die Story ist mitreißend und die Chemie zwischen den sehr unterschiedlichen Charakteren stimmt. Die Sexistinnen und Sexisten (ja, es gibt auch weibliche „Fans", die auf dem bisher geltenden patriarchalischen Geschlechtermodell bei „Doctor Who" bestehen) sollten sich vielleicht mal überlegen, was ein weiblicher Doktor für viele kleine Mädchen bedeutet, die „Doctor Who" schauen. Whittaker sagte in einem Interview: „Als ich aufgewachsen bin, konnte ich mich mit keinem Fernseh- oder Filmhelden identifizieren. Alle waren männlich. Die Frauen, in denen ich mich gerne wiedergesehen hätte, standen alle an der Seitenlinie und klatschten dem großen Helden, wenn er einmal mehr die Welt rettete. Ich bin teilweise mit dem Gedanken aufgewachsen, dass Frauen nicht alles tun können, was sie wollen." Deshalb liege ihr dieses Thema so am Herzen.
Es ist ermüdend, als Frau diskutieren zu müssen, ob man etwas überhaupt kann, darf, sollte. Das ist der Alltag. Dass wir sogar in der Fiktion so weit hinterherhinken, dass man darüber diskutieren muss, ob es angebracht ist, einer Frau eine Rolle zu geben, die vorher immer ein Mann hatte, ist enttäuschend rückständig.
Schon ehe bekannt wurde, dass Jodie Whittaker der neue ist, hatten einige sicherheitshalber das „Horrorszenario" vom weiblichen Doktor an die Wand gemalt. Der BBC und den Machern der Serie war das egal. Die für ihre Progressivität bekannte Serie würde keine Rücksicht auf Rückständige nehmen. Das macht „Doctor Who" so wunderbar.
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