Keine Lust auf Oberflächlichkeit und Antifeminismus à la „Sex and the City" und „Gossip Girl"? In „Tuca & Bertie" kämpfen zwei feministische Vögel gegen Sexismus. Unsere Serienkolumne „Nächste Folge".
In der Welt der Cartoons für Erwachsene gibt es vor allem Shows über die Abenteuer von weißen Männern mittleren Alters (zum Beispiel „Rick and Morty"), oft sind sie Familienväter („The Simpsons", „American Dad", „Family Guy"). Nun hat Lisa Hanawalt, eine Produzentin von „BoJack Horseman", eine neue animierte Serie mit Fokus auf die Herausforderungen des Lebens aus der weiblichen Perspektive entwickelt. Sie schafft eine der gelungensten Darstellungen moderner Erwachsenenthemen nach #MeToo, die es zurzeit im TV zu sehen gibt.
„Tuca & Bertie" ist die perfekte Show für jede Frau, die auf Oberflächlichkeit und Antifeminismus à la „Sex and the City" und „Gossip Girl" verzichten will. Bei „Tuca & Bertie" geht es um die Lebensrealität der beiden Frauen. Hanawalt trifft pointiert den Nerv der Zeit. Es geht um Selbstbestimmtheit, sich zur Wehr setzen gegen Sexismus, im Beruf wie im privaten Rahmen, und die großen und kleinen Tücken des Alltags. Besonders beim Thema Sexismus ist die Serie wegweisend und vielschichtig.
Rotkehlchen Bertie (Ali Wong) ist an ihrem Arbeitsplatz knallhartem Sexismus ausgesetzt. Sie hat eigentlich eine Beförderung verdient, aber danach fragen will sie nicht - sie will lieber durch gute Arbeit überzeugen. Was sich natürlich als Fehler rausstellt, denn Bertie ist eine schüchterne Frau und nur, wer am lautesten schreit, wird gehört. Sie verzweifelt fast daran, denn ihr fällt es schwer, für sich selbst einzustehen. Als der selbstverliebte und inkompetente Hahn Dirk ihr die Ideen klaut, um selbst die Beförderung zu bekommen, ist sie wie erstarrt.
Als Bertie von besagtem Gockel auch noch sexuell belästigt wird, wendet sie sich an die Personalabteilung. Aber die diensthabende Dame erklärt ihr: „Der süße Dirk? Sie Glückspilz!" Autsch.
Aber zum Glück hat Bertie ihre draufgängerische beste Freundin Tuca (Tiffany Haddish), ein Tukanweibchen, die ihr zeigt, wie sie in der männlich dominierten Arbeitswelt bestehen kann.
Aber auch die so selbstbewusste Tuca hat Probleme, zum Beispiel in der Beziehung zu ihrer Familie. Und sie lernt: Wenn ein Familienmitglied dich schlecht behandelt und das Verhalten auch nicht ändert, streiche diesen Menschen aus deinem Leben. Denn so viel solltest du dir selbst wert sein.
Ein weiterer Handlungsstrang greift einen anderen Aspekt sexueller Belästigung auf. In Berties Zweitjob überschreitet ihr Chef Pastry Pete regelmäßig Grenzen, was sie aber erst gar nicht begreift, da sie in den Bäcker verknallt ist. Was dazu führt, dass sie seinen übergriffigen Chauvinismus nicht nur toleriert, sondern auch teilweise mit charmantem Verhalten verwechselt.
Erst, als Bertie Pastry Petes Verhalten bei einer anderen Mitarbeiterin beobachtet, wird ihr klar, was für ein Schwein er ist. Sie fühlt sich dann schuldig, da sie ihm keinen Einhalt geboten hat: „Ich habe mich schlecht von ihm behandeln lassen und zugelassen, dass es noch jemandem passiert." Da schreitet Tuca ein: „Es ist nicht deine Schuld, sondern die von Pastry Pete!" Nur weil Bertie sich sexuell zu ihrem Chef hingezogen fühlt, ist es nicht in Ordnung, wenn er ihr körperlich zu nahe kommt. Die Serie schafft es, zu zeigen, dass überhaupt nichts Kompliziertes darin liegt, zu erkennen und zu verstehen, wann etwas sexuelle Belästigung ist. Dies ist daher auch eine klare Anschauempfehlung für Männer.
Auch Frauen machen Sex-Witze und mögen Obszönitäten, kämpfen aber täglich gegen Sexismus. Schöpferin Lisa Hanawalt versteht, was es bedeutet, eine Frau in dieser chauvinistischen Welt zu sein. Die erfrischende und verrückte Animation ist eine großartige Kulisse für eine komisch-psychologische Analyse moderner Frauen.
Dass es sich bei „Tuca & Bertie" um eine großartige Serie mit guten Kritiken und ausgezeichneten Bewertungen handelt, scheint für Netflix aber keine Rolle zu spielen. Der Streamingdienst gab bekannt, dass die Serie nach nur einer Staffel nicht fortgeführt wird. Gut geschriebene feministische Geschichten scheint der Netflix-Algorithmus, auf dessen Basis Netflix solche Entscheidungen trifft, nicht zu belohnen. Es heißt ja auch der Algorithmus.
Zum Original