Wie eingangs im ersten Teil des Interviews beschrieben, liegt ein besonderes und sprichwörtliches Augenmerk des Architekturbüros 1zu33 (https://1zu33.com/en/) auf ungewöhnlichen, ganzheitlichen Raumkonzepten. Die Inszenierung von Licht und dessen subtiler, essentieller Wirkung zieht sich als roter Faden durch die schöpferische Architekturprofession von Hendrik Müller und gehört zugleich zur Handschrift des 1zu33-Kollektivs.
Sonja: Wenn du Leuchten auswählst – und keine Budgetvorgabe hast –, worauf achtest du besonders? Welches Kriterium ist entscheidend?
Hendrik: Alles, was man sich unter Pendel- und Stehleuchten vorstellt, fällt eigentlich unter den Begriff der dekorativen Beleuchtung. Die Rauminszenierung funktioniert zunächst über die Einbaubeleuchtung. Wenn man größere Raumabschnitte betrachtet, würden wir auch bei Wohnräumen erst mal gewisse Wände fokussieren. Licht hat immer eine leitende Funktion: Das hat mit Orientierung im Raum zu tun. Mit Licht kann ich einen Raum stark modulieren, und die Unterschiede zwischen der Tageslicht- und Kunstlichtsituation stärker herausarbeiten. Objekte wie Bilder, Möbel, Einbauregale oder Kamin kann man natürlich ganz besonders inszenieren, so dass sie im Raum einen gewissen Stellenwert bekommen. Dekoratives Licht ist eher untergeordnet; es setzt einen Raum nochmal speziell in Szene, je nachdem wie ich es einsetze oder anschalte, an Stellen, die ich mit dem primären Beleuchtungskonzept noch nicht erreichen konnte.
Sonja: Wenn man sich durch eure Projekte klickt, wird schnell klar, dass ihr wie zum Beispiel im Flagship Store von Occhio sehr stark mit Lichtkontrasten gearbeitet habt. Dunkle Wände, die das Produkt viel prominenter machen, in etwa. Wie habt ihr diese Wirkung erzielt?
Hendrik: Was wir bei Occhio versucht haben, war deren vorheriges Schwarz-Weiß-Konzept mit wenig natürlichen Materialien zu etwas zu verwandeln, das den Raum bewusst architektonisch macht und nicht so sehr das Ladenbau-Interieur im Fokus hat. Diese architektonische Qualität, die wir bei Occhio auch durch Licht erzielen, entsteht natürlich erst, wenn man Wandoberflächen schafft wie die verputzten Display-Oberflächen mit einer gewissen Körnung und Haptik. Auf einer ganz glatten weißen Wand kann ich zwar sehr schön Lichtmalerei betreiben, in dem Sinne, dass ich bestimmte Formen von Lichtkegeln thematisiere. Aber auf einer etwas gröberen Wand, da habe ich ganz andere Effekte, die für das Licht auch wichtig sind. Licht erweckt Materialien durch ein Schattenspiel erst zum Leben.
Sonja: War es euch ein Anliegen, das sehr glatte und perfekte Produkt so hervorzuheben?
Hendrik: Ja, mit diesen präzisen Leuchten, die teilweise eine Art Kamera-Equipment-Ästhetik haben, wird das gut konterkariert durch Oberflächen, die bewusst mit Imperfektion arbeiten. Dazu passt bei uns die „Wabi Sabi“-Philosophie, die wir am Rande einarbeiten.
Im Occhio-Flagship-Store im Brienner Quartier haben wir einen Raum namens „Lightlab“ geschaffen, der genau zeigt, wie sich die Raumwirkung durch verschiedene Lichtverhältnisse ändert. Der Raum ist im Untergeschoss und hat somit überhaupt kein natürliches Licht. Nur durch die „Up/Down“-Funktion der dort hängenden Leuchten entsteht ein relativ diffuses Licht, dazu gibt es Spots, die außen angeordnet zusätzlich Wirkung zeigen. Durch Abstufung der Lichtintensität und die Veränderung der Lichtfarbe kann ich den Raum komplett unterschiedlich aussehen lassen. Vielen Menschen ist nicht bewusst, wie sehr sich minimale Lichtveränderungen auf den Raum auswirken, welche Gestaltungsmöglichkeiten ich mit Licht habe. Gerade bei Occhio ist beispielsweise ein Thema, was über Jahre hinweg entwickelt wurde, das sogenannte Colorfading.
Sonja: Was muss ich mir unter „Colorfading“ vorstellen?
Hendrik: Das bedeutet, dass ich die Lichtfarbe von 2700 bis 4000 Kelvin stufenlos einstellen kann. Das ist ein riesiges Feature, was natürlich auch im Wohnraum wichtig ist, wenn beispielsweise in der Übergangsjahreszeit das Wetter diesig ist. Dann habe ich in der Wohnung zwar noch einen relativ hohen Tageslichtanteil, ich muss aber trotzdem das Kunstlicht auch einschalten, weil es sonst zu dunkel wäre. Tageslicht hat 5000 bis 6000 Kelvin, ist also relativ kaltes Licht, und wenn ich tagsüber ein Kunstlicht verwende, das zu warm ist, beispielsweise 2700 bis 3000 Kelvin, dann entsteht eine Zwielicht-Situation, die vom Auge als unangenehm empfunden wird. Das heißt, ich kann mit dem Colorfading-Feature tagsüber eine etwas kältere Lichtfarbe wählen, so dass ich eher das Gefühl habe, dass das Kunstlicht eine natürliche Ergänzung zum Tageslicht ist. Abends, wenn es draußen dunkel ist, wähle ich ein warmes Glühlampen-ähnliches Licht, so dass ich zur jeweiligen Tagessituation immer die perfekte Lichtfarbe habe.
Sonja: Hältst du es für vorstellbar, dass durch smarte Lichtprodukte wie Phillips Hue wir Menschen ein besser geschultes Auge bekommen?
Hendrik: Absolut, ja! Licht ist ein Thema, bei dem das Bewusstsein heute zwar wächst, aber dennoch bei vielen Endverbrauchern noch nicht ganz ausgereift ist. Man kauft sich eine Leuchte, um einerseits einen dekorativen Gegenstand zu haben, der die Einrichtung ergänzt, aber andererseits steht das Licht ganz selten im Vordergrund, weil die Endverbraucher sich viel zu wenig mit der Thematik Licht auskennen. Wir haben die Beobachtung gemacht, dass bei Occhio viele Verbraucher total überrascht sind, was so eine Leuchte alles kann und wie sich das Licht als Medium im Wohnraum entfaltet. Wenn man die Leute da abholt, nehmen sie es dankend an, und verstehen dann auch vieles, aber sie wären nicht von selbst drauf gekommen. Das bedeutet, dass man unbedingt eine gute Beratung braucht, wenn man Licht kauft.
Sonja: Macht die Bandbreite an Spielraum mit der Gestaltungsmöglichkeit Licht das Einrichten für euch leichter? Oder wird eure innenarchitektonische Arbeit dadurch schwieriger, weil man viel mehr ins Detail denken muss, hinsichtlich Oberflächen und Strukturen?
Hendrik: Am Ende ist es ein ganz normaler Teil unserer Beschäftigung, dass wir das Licht von vornherein mitdenken. Jede Art von Architektur erfährt ihre Bedeutung erst durch Licht. Von daher ist es ein ganz wichtiger Bestandteil, den wir automatisch – bewusst oder unbewusst – mitdenken, wenn wir etwas entwerfen. Was das Thema Smart Home so interessant macht, ist, dass durch das Vernetzen aller elektronischen Komponenten im Haus eine gewisse Intelligenz entstehen soll, die nicht nur für zu Hause, sondern auch für den Arbeitsplatz relevant ist. Ich denke, dass es in den nächsten Jahren immer interessanter wird, eine Tageslicht-reaktive Steuerung in Räumen einzusetzen. Erstens unter ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten, um ein konstantes Lichtmilieu zu schaffen, und auch um die Lichtverhältnisse mit dem Wetter draußen anzupassen. Das ist etwas, bei dem heutzutage die Geschmäcker sehr unterschiedlich sind. Manche machen sich bei nebligem, grauen Wetter nur die Schreibtischleuchte an, der nächste die komplette Raumbeleuchtung. Aber wenn es darauf hinauslaufen wird, dass sich Licht genauso nach Bedarf steuern lässt, wie heutzutage Sonnenschutz und Heizung, wird es bald gelernt sein, dass es die effizienteste Weise ist, mit Licht umzugehen.
Sonja: Spannend ist ja auch, dass man jetzt erst beginnt, zu erforschen, wie sich Screentime auf das Auge oder die Lichtmaßnahmen auswirkt. Betrifft dich das bei deiner Arbeit am Bildschirm?
Hendrik: Screentime ist ein gutes Beispiel, bei dem jetzt schon viele Hersteller von mobilen Endgeräten wissen, dass es wichtig ist, die Lichtfarbe an die Umgebung anzupassen – speziell, wenn man abends im Bett liegt und noch etwas am Smartphone liest. Wenn der Blauanteil im Licht zu hoch ist, wird automatisch die Melatonin-Ausschüttung blockiert und ich kann danach nicht mehr einschlafen. Das heißt, ich habe zum Beispiel das iPhone 10, das diesen Farbanteil steuert. Ich bekomme automatisch warmes Licht, wenn meine sonstige Umgebung dunkel ist.
Sonja: Dass blaues Licht abends unangenehm ist, merkt man auch in Restaurants, wo die Lichtstimmung eben nicht stimmt, und es zu hell, oder zu grell ist.
Hendrik: Die Südeuropäer, also viele italienische Restaurants, haben da beispielsweise nicht so viel Erfahrung, weil sie herkömmlich viel zu sehr vom Tageslicht leben und die Notwendigkeit nie gesehen haben, in ein hochwertiges Kunstlicht zu investieren. Licht kostet natürlich auch Geld! Gutes Licht ist nicht billig.
Sonja: Gibt es Architekten, die dir im Bezug auf Licht ein Vorbild sind?
Hendrik: Wer mich sehr inspiriert ist James Turrell, ein amerikanischer Lichtkünstler, der mit dem Licht als physikalisches Phänomen arbeitet. Er ist auch Pilot und es geht bei ihm um das Ganzfeldphänomen. Wenn dein gesamtes Gesichtsfeld mit einer Farbe oder Lichtwirkung beansprucht wird, ohne irgendwelche Gegenstände, dann führt das nach ungefähr 15 Minuten dazu, dass du wie bei einem Tiefenrausch gar nicht mehr so genau weißt, wo jetzt oben, unten, rechts und links ist. Man gerät quasi in eine Art Schwebezustand. Das Licht und die Farbe wirken viel stärker als in einem Bild. Das ist in seiner Arbeit ein großes Thema. Er ist einer der Künstler, die in ganz großen Dimensionen und elementaren Dingen denken. Er hat sich in der Wüste von Arizona einen Krater gekauft, in dem er seit zwanzig Jahren an unterschiedlichen Teilprojekten baut, die alle mit Licht und Raum zu tun haben. Bis dahin, dass man, in diesem Krater liegend, das besagte Ganzfeldphänomen wahrnehmen kann.
Was mich in dem Zusammenhang beeindruckt hat, war die Sheats-Goldstein Residence, die zu den Case Study Houses gehört, und unter anderem durch „The Big Lebowski“ bekannt ist. Darin befindet sich ein Sky Space von James Turrell, der langsam seine Farbe ändert, von violett, rötlich auf blau, mit zwei Fenstern, die einen faszinierenden Lichteinfall schaffen. Dieses Haus besticht einerseits durch eine gewisse Tollkühnheit, weil es sehr expressive Formen schafft, durch das triangulierte Dach, und durch den fließenden Übergang von drinnen und draußen, der es einbettet in einen ganz exotischen Garten. Es ist eine gelungene Symbiose aus Haus und Bewohner. – James Goldstein hat uns auf dem Tennisplatz begrüßt, als ich mit meiner Familie das Anwesen besuchte. Auf seiner Visitenkarte steht nur sein Namen, und darunter: „Fashion. Architecture. Basketball.“ (lacht)
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