Sonja Pham

Redakteurin / Journalistin, München

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Interview

Florian Pfeffer: "Erst in der Umsetzung wirst du zum tatsächlichen Autor einer Idee."

"To Do: Die neue Rolle der Gestaltung in einer veränderten Welt"


Durch die Digitalisierung hat sich die Branche des Grafikdesigns in den letzten 20 Jahren grundlegend verändert. Design gibt den Dingen eine Bedeutung; der Gestalter hat somit eine politische und gesellschaftliche Veranwortung. Florian Pfeffer zeigt in seinem Buch richtungsweisende Beispiele dieses neuen Designverständnisses auf und entwickelt daraus eine Art Kompass, mit dessen Hilfe die Rolle des Designers neu erschlossen werden kann. 


Sonja: Guten Montagmorgen, Florian! Kurze Frage zum Einstieg: Wie lange ist deine To Do-Liste für diese Woche?


Florian: Diese Woche ist sie eigentlich ziemlich gut! Ich habe nur einen einzigen festen Termin und bin ansonsten im Büro. Das ist ein totaler Ausnahmezustand. Aber ein sehr guter! (lacht)


Sonja: Wir sind derzeit noch mitten in der Ausbildung an der Designschule München. Wie war denn im Hinblick auf dein Buch deine Herangehensweise, dich schwerpunktmäßig mit Studienmodellen und Nachwuchskreativen zu beschäftigen?


Florian: Im Grunde genommen ist das Buch ein Rundumschlag, also gehört Ausbildung als solche logischerweise mit dazu. Um mal zurückzufragen – empfindet ihr das wirklich als einen Schwerpunkt? 


Sonja: Mit Sicherheit ist das Buch an Kreative gerichtet, die in irgendeiner Form einen Kompass brauchen, sich durch die verschiedenen Möglichkeiten des Kommunkationsdesigns und den Informationsdschungel dieser „veränderten Welt“ zu navigieren. Natürlich setzt das im weitesten Sinne eine fundierte Ausbildung voraus. Du beschäftigst dich ja auch in anderen Projekten viel mit Studenten – inwieweit ist dieser Input in dein Buch mit eingeflossen?


Florian: Um die Entstehung des Buches zu erklären: ich fing an, daran zu arbeiten, als ich für sechs Jahre als Professor an der HfG Karsruhe tätig war. Der Studiengang hieß Kommunikationsdesign; während der gesamten Zeit und Entwicklung dort kamen mir immer stärkere Zweifel, was die richtige Art des Unterrichtens wäre. Besonders, wenn man seine eigenen Studienzeit ständig im Hinterkopf hat. Ich habe gemerkt, dass sich zu meiner damaligen Ausbildung vor 15 Jahren ein immer größerer Widerspruch zur Realität herauskristallisiert. Zur ganz praktischen Berufsrealtität einerseits, und der Frage andererseits, wofür denn Design überhaupt gebraucht wird. Was können Gestalter versprechen? Natürlich wird es immer ganz klassische Jobs geben. Aber die vielen Ausbildungsmöglichkeiten, die man als Mediengestalter anpeilen kann, erhöhen massiv den Druck von unten. Es gibt mittlerweile einfach so viele, dass sich immer jemand finden lässt, der einen Job für die Hälfte erledigt. Besonders, wenn man als „kleiner Selbstständiger“ arbeitet. Natürlich geht es aber auch um die Frage, wie ich als Gestalter wirkungsvoll dazu beitragen kann, Probleme zu lösen, die gerade alle umtreiben. Ich war mir damals nicht mehr sicher, ob die Ausbildung, wie sie an der Hochschule angeboten wurde, so überhaupt funktionieren kann. Auch im Hinblick auf die Institution Hochschule, die ja langsam und träge ist und es immer viel Zeit braucht, bis neue Dinge auftauchen. Soviel zum Hintergrund des Buches, um den Schwerpunkt der Ausbildung zu thematisieren, der aus meiner Erfahrung an der Hochschule entwickelt worden ist. 


Sonja: Was eben dieses Studentische betrifft, generierst du auch viele Projekte, die Ideen ausgraben und publizieren oder einem größeren Publikum zugänglich machen. Etwa die Mikro Pop-Up Konferenz RE:WORK oder auch der :output-Award. Mit welchem Konzept werden solche Formate entwickelt?


Florian: Das sind eigentlich zwei komplett verschiedene Paar Schuhe. :output war meine Diplomarbeit. Ganz platt gesagt hat es mich damals vor allem persönlich interessiert, was an anderen Hochschulen kreativ entsteht. Daher kam der Gedanke, sich durch ein Buch einen Überblick zu all diese Ideen zu verschaffen. Ihr könnt euch das vielleicht gar nicht richtig vorstellen, weil es schon so lange her ist. Es gibt ja mittlerweile zig Blogs und Foren, und jeder Designstudent stellt ab dem zweiten Semester seine Arbeiten auf tumblr. Zur Zeit meiner Diplomarbeit gab es so etwas überhaupt nicht. Weder Websites von Hochschulen noch von Studenten, was natürlich auch mit der Entwicklung des Internets zusammenhing. Daher war :output damals auch schlagartig virulent und hat sofort eingeschlagen wie eine Bombe. Bereits beim ersten Mal hatten wir über 600 Einsendungen, weil es als Wettbewerb organisiert war. 


Sonja: Existiert denn der Wettbewerb heuer wieder?


Florian: Nein, dieses Jahr haben wir ihn eingestellt. Wir haben das jetzt 18 Jahre lang gemacht, und ich merke, dass sich langsam alles wiederholt. Andererseits gibt es meiner Ansicht nach die Notwendigkeit dafür gar nicht mehr. Die Frage ist ja, was man mit so einem Wettbewerb erzielen will. Geht es nur darum, den Leuten Medaillen ans Revers zu heften? Für den Sieger ist das immer eine schöne Bestätigung, das reicht jedoch als Begründung nicht aus. Damals hat der Wettbewerb Ideen und Projekte der Hochschule erstmals sichtbar gemacht, auch international gesehen. Man konnte plötzlich mitbekommen, was im Libanon oder in den USA entstanden ist. Mittlerweile ist alles so vernetzt, dass diese Begründung eigentlich hinfällig wurde. Eher im Gegenteil: man wird derart überflutet, dass Studenten sich eher unter Druck gesetzt fühlen, und durch das ständige Vergleichen die Ruhe fehlt. 


Sonja: Wie schätzt du dann renommierte Nachwuchswettbewerbe wie etwa vom ADC ein? Macht es bei dieser ebengenannten Reizüberflutung überhaupt Sinn, Arbeiten einzureichen?


Florian: Für mich immer weniger. Letztendlich machen Wettbewerbe für denjenigen Sinn, der sie gewinnt. Das ist eine tolle Motivation. Andererseits darf man sich da möglicherweise auch keine Illusionen machen. Ich war ja 18 Jahre lang als Jurymitglied dabei, und da fallen immer subjektive Entscheidungen. Davon sollte man sich als Gestalter nicht abhängig machen. Viel wichtiger ist es, selber zu wissen, was eine gute Arbeit ist! Vom Büro schicken wir schon seit über zehn Jahren nichts mehr ein, weil wir selber wissen, welche Arbeiten taugen.


Sonja: Für diese Qualität entwickelt man als junger Kreativer ja auch erst ein Gespür. Ich fand es schön, wie demokratisch die Arbeiten auf der RE:WORK in der TU München präsentiert wurden. Wer war für dieses Konzept verantwortlich?


Florian: Der Auftraggeber war Zumtobel und baunetz der Medienpartner, die TU in München lediglich einer der sieben Veranstaltungsorte. 


Sonja: Interessant war, wie unterschiedlich die Beiträge funktioniert haben und sich nicht nur ergänzt, sondern teilweise fast sogar widersprochen haben, ohne dass eine Wertung stattfand. Wie etwa das Augsburger Grandhotel Cosmopolis. Schaffst du mit Absicht solche Pole, die verschiedene Projekte einander gegenüberstellen?


Florian: Ja klar, erst dann wird‘s ja richtig interessant! (lacht) Im Falle der RE:WORK war das eigentlich fast zufällig, weil kurzfristig jemand abgesagt hatte, und ich die Gründer vom Cosmopolis so lange bearbeitet habe, bis sie stattdessen eingesprungen sind. Das Projekt finde ich wahnsinnig genial! 


Sonja: Inwieweit hat dieses Flüchtlingshotel für dich mit künstlerischer Gestaltung zu tun?

 

Florian: Über das Cosmopolis bin ich bei meiner Recherche für „To Do“ gestolpert. Unser Auftrag für die Mikrokonferenz war, neue Kontakte zu Architekten zu knüpfen. Wenn man so eine Plattform zur Verfügung hat, finde ich es wichtig, Inhalte zu integrieren, die wirklich relevant sind. Die eine Wichtigkeit haben. Und das hat immer auch mit Gestaltung zu tun. Das ist ja immer eine Frage der „ownership“ oder Autorenschaft, ein Konzept in allen Facetten zu gestalten, bis ganz nach unten. Im Kontrast dazu steht für mich beispielsweise der Plakatwettbewerb „Mut zur Wut“. Den finde ich ein bisschen schwierig – man ist jetzt wütend, alles klar, und dann macht man ein Plakat, und dann erfahren die anderen das auch, aber wohin soll das führen? Die Organisatoren vom Cosmopolis sind da viel radikaler. Bei einem Plakat übernimmt man eigentlich keine Verantwortung, man hat lediglich eine Fläche gestaltet. Das Hotel hingegen ist ein richtiger Knaller für eine Stadt wie Augsburg. Das entzündet große Debatten, ob die Nachbarn das vielleicht schrecklich finden. Eigentlich genau dieselbe Diskussion, die in der Flüchtlingspolitik gerade deutschlandweit diskutiert wird. Das Cosmopolis ist eine Lösung zu diesem Problem - zumindest für die 50 Flüchtlinge, die dort leben können. 


Sonja: Um nochmal den Bogen zur Ausbildung zu spannen: Du bezeichnest Designer in deinem Buch als „analytische Surfer“. Hältst du es denn, sportlich betrachtet, für wichtiger, parallel mehrere Dinge zu beherrschen, oder sich ein Spezialgebiet auszusuchen

und diesem zielstrebig hinterherzugehen? Ist das eine Typsache?


Florian: Entscheiden muss man sich immer. Spezialisierung ist in diesem Bereich, der sich so facettenreich auffächert, natürlich sinnvoll. Keiner kann alles gut können! Man kann nicht mal ganz vieles supergut können. Vielleicht ein oder zwei Sachen, in denen man sich über viele Jahre hinweg verbessert. Es dauert einfach, bis man sich richtig gut auskennt. Man kommt also nicht drumherum, sich zu spezialisieren, die Frage ist nur, worauf! Vor allen Dingen muss man seine Nische finden. Ich persönlich arbeite vor allem gerne mit Menschen zusammen, die sich bereits auf etwas spezialisiert haben, die etwas besonders gut können. Das wiederum ist auch eine Form der Spezialisierung. Aber alles gut zu können, das ist unmöglich.


Sonja: Kannst du uns zum Abschluss verraten, ob es ein Tool gibt, mit der politischen und gesellschaftlichen Veranwortung als angehender Designer richtig umzugehen, ohne sich permanent von den Problemen der Welt überfordert zu fühlen? Gibt es für die Ausbildung einen ganz praktischen Tipp, sich damit verantwortungsvoll auseinanderzusetzen?


Florian: Wenn man an die ganze Welt denkt, und wie man sie verändern könnte, ist man automatisch überfordert. Alle sind das, auch Merkel und Obama, dazu ist alles zu komplex. Ich glaube auch, dass es darum letztendlich gar nicht geht. Es geht mehr darum, Richtungen zu prüfen und bei einem Projekt die richtigen Fragen zu stellen. Tue ich damit wirklich etwas Sinnvolles für andere Menschen? Wem bringt das etwas? Selbstverständlich kann auch jeder in seinem konkreten Umfeld etwas bewegen. Würden das viele Leute machen, brächte das vermutlich mehr, als der Anspruch an sich selbst, die Welt zu verändern. Würden mehr Menschen die richtigen Fragen stellen, wäre das besser, als hielte eine Person den magischen Schlüssel in der Hand. 


Sonja: Mich erinnert das gerade an das Video-Tutorial „Leadership Lesson from Dancing Guy“, das du bei deinem tgm-Vortrag gezeigt hast. Dass es ja oft viel nützlicher ist, Menschen mit guten Ideen zu folgen, anstatt als Einzelkämpfer selber welche zu generieren. Oder hältst du Individualität wichtiger als Teamwork?


Florian: Ich habe bei der Zusammenarbeit mit Studenten oft gemerkt, dass ihnen genau das schwerfällt. Das ist auch Teil der Kultur, die die originelle Idee und deren Schöpfer sehr feiert, was in der Zukunft immer schwieriger sein wird. Je komplexer alles wird, desto mehr muss ich mich spezialisieren, je mehr ich mich spezialisieren muss, desto mehr muss ich mit anderen zusammenarbeiten. Vielleicht gibt es diesen Renaissance-artigen Ideenschöpfer in der Form gar nicht mehr, der eine Idee aus dem Ärmel schüttelt und sagt, „BÄM! Das ist es!“ Oft können Studenten bei Gruppenarbeiten nach der Entwicklung einer Idee nicht mehr sagen, von wem sie eigentlich stammt, und dann bleibt sie plötzlich liegen und niemand möchte sie mehr aufgreifen. Zwar eine geile Idee, aber stammt halt nicht von mir, und wird dann uninteressant. Darüber hinwegzukommen, muss mal lernen. Das ist kulturell bedingt und eigentlich eine Banalität, denn wenn viele an einer Idee arbeiten, produziert das unterschiedliche Lösungen, und die Chance, dass die perfekte Lösung dabei ist, wird viel größer. Woher die dann genau kommt, ist ja eigentlich piepsegal. Wen interessiert das, wenn die Idee super ist? Und die eigentliche Schwierigkeit liegt sowieso in der Umsetzung. Wie etwa bei den Hotel-Cosmopolis-Leuten liegt die Besonderheit an der Idee darin, dass sie es wirklich machen. Dass sie ihr Privatleben darauf ausrichten. Dass sie vom Künstler zum Hotelier werden und diesen neuen Beruf als Organisatoren eines Flüchtlingsheims konsequent aufgreifen. Da steckt wahnsinnig viel Energie dahinter! Erst in der Umsetzung wirst du zum tatsächlichen Autor einer Idee.


Sonja: Denkst du, dass unserer Generation, die noch in der Ausbildung steckt, da das Durchhaltevermögen fehlt? Dass zwar Ideen am laufenden Band produziert werden, aber wir nicht über genug Konsequenz verfügen, sie auch umzusetzen?


Florian: Nein, das glaube ich nicht. Ich versuche auch, mich vor diesem Den- ken in Generationen zu hüten, denn das sind immer Persönlichkeitsfragen. Es behindert mehr, als dass es nutzt, zwischen den Generationen zu unterscheiden und ihnen Labels wie „Generation Y“ aufzudrücken. Egal wo ich unterrichtet habe, gab es in jeder Gruppe Leute, die mehr gemacht haben, und andere, die mit ihrer Arbeitsweise Probleme hatten, über eine Konzeptphase hinauszukommen. Das ist aber auch völlig normal. Da lernt man nie aus! 




FLORIAN PFEFFER

Florian Pfeffer wurde 1970 in Rheinfelden geboren. Er ist Autor des Buches „To Do: Die neue Rolle der Gestaltung in einer veränderten Welt“, Grafikdesigner und Hochschullehrer. Er arbeitet als Partner des Designbüros „one/one studio“ in Karlsruhe, Amsterdam und Bremen. Florian Pfeffer studierte Kommunikationsdesign in Würzburg, Bremen und Mailand und war nach Lehrtätigkeiten im Libanon und den USA von 2006 bis 2012 Professor für Kommunikationsdesign an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Darüber hinaus gründete er den Wettbewerb „:output“, der alljährlich den größten Designwettbewerb für studentische Arbeiten ausschrieb.

http://www.oneone-studio.com/