Sonja Pham

Redakteurin / Journalistin, München

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Rezension

Tanya Traboulsi: Vertraute, fremde Heimat

Dass immenses Glück und großer Schmerz oft nahe beinander liegen, kann Tanya Traboulsi nachempfinden. „Als mein Vater starb, setzte die Trauer eine enorme Energie frei; ich spürte einen großen Drang, etwas Neues zu beginnen“, und so legte sie unlängst an der Wiener Schule des Sprechens nach einer intensiven Ausbildung in Stimmmodulation das Diplom zur Sprecherin ab. Wer nun das Glück hat, ihr dabei zuhören zu können, wie sie von ihrer unbekümmerten Kindheit im Libanon, ihren Eltern, oder der Realität als Künstlerin im heutigen Beirut erzählt, der versteht, warum sie der Verlust zur Ausbildung drängte: sie hat viel zu sagen. 

Bevor sie dem Impuls zur stimmtechnischen Fortbildung Folge leistete, war ihre „Sprache“ stets die Fotografie gewesen, in der es ihr gelingt, mittels eines einzigen Bildes ganze Geschichten zu spinnen.
Aktuell eröffnete sie in der Wiener Bildraum 01-Galerie ihre Einzelausstellung „Lost Strange Things: On not finding home“, die großformatige Detail- und Landschaftsaufnahmen zeigt. Die Assoziationen mit der Heimat spiegeln sich wider in Erinnerungsstücken an eine längst vergangene Zeit, in zwei Städten, die kontrastreicher kaum sein könnten: Klagenfurt und Beirut. In ihrer autobiografischen Arbeit ist es Tanya Traboulsi ein Anliegen, die gleichzeitige Dynamik von Vertrautheit und Isolierung zu reflektieren. Hierbei thematisiert sie nicht nur die Relikte an die Beziehung zu ihrem Vater, und den jetzigen Wohnort, der viel Erinnerung birgt, sondern auch sehr feinfühlig die Zerrissenheit zwischen zwei diversen Kulturen. 

In Beirut lebt Tanya Traboulsi täglich umgeben von Nostalgie. Die libanesische Hauptstadt befindet sich zwar nicht im Kriegszustand, doch ist das Land an seinen Grenzen umgeben von störrischen Konflikten, die die Politik ebenso beeinflussen wie das alltägliche Leben junger Menschen. „Es herrscht eine unglaublich exzessive Ausgehkultur in meinem Bekanntenkreis“, schmunzelt Tanya, „Die Stadt scheint nicht zur Ruhe zu kommen, sondern immer zu pulsieren. Die Libanesen sind sehr gastfreundlich und feiern gerne, auch, um die komplizierte Realität des Landes und dessen Zukunft auszublenden.“ 

Ihre Wohnung in Klagenfurt hingegen könnte nicht mehr Ruhe ausstrahlen; am idyllischen Wörthersee in Kärnten gelegen verbringt sie – je nach Auftragslage in Beirut – ihre Zeit in der Natur. Die Fotografien aus der österreichischen Heimat zeigen oft Nahaufnahmen aus Flora und Fauna, wohingegen die urbanen Ansichten Beiruts häufig Distanziertheit anmuten. Im Prolog ihrer Publikation zu „Lost Strange Things“ bemerkt Rayya Badran: „Je länger diese doppelte Zugehörigkeit währt, desto mehr werden die Eindrücke, die für ein Zuhause in Einklang zu bringen wären. Manchmal entsteht noch ein Gefühl des Zuhauses an beiden Orten, aber schließlich wird es zu einem Nirgendwo.“ 

Allem Anschein nach ist es Tanya Traboulsi gelungen, für diese Vielfalt kultureller Perspektiven sowohl eine visuelle, als auch erzählerische Sprache zu finden, die sich beharrlich in Details äußert: Türklinken, Bustickets, die Falten eines Lakens – oder ein Marienkäfer, der sich auf ihrem Arm niederlässt.