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Artikel

Göttliche Autoritätin

erschienen am 25.12.2016, mit Co-Autorin Julia Mathe



Wien. So wirklich übelnehmen darf man monotheistischen Religionen ihren Sexismus ja nicht. Schließlich sind sie nur Kinder ihrer Zeit. Und damit das Produkt patriarchaler Strukturen, in denen sie geboren wurden. Doch dass Frauen nicht bis auf alle Zeit Gläubige zweiter Klasse bleiben müssen, beweisen immer mehr Feministinnen, die sich nicht nur in den Reihen der Weltreligionen tummeln und auf eine weibliche Interpretation der frommen Lehren pochen, sondern auch männliche Autoritätsstrukturen aufbrechen. Ein Besuch bei Österreichs weiblichen Autoritäten im Judentum, Christentum und Islam.

Die Pastorin

Was sie denn beruflich tue, wurde Mira Ungewitter kürzlich von einem Taxifahrer gefragt. Pastorin, antwortete sie. Der Mann war irritiert. Das Wort "Pastorin" hörte er zum ersten Mal. Und wenn das stimme, dann chauffiere er sie gewiss ans falsche Ziel. "Aber Frau Pastorin, wissen Sie denn, dass das ein Transvestiten-Club ist?", fragte er. "Jaja, schon klar", sagte Ungewitter zum Abschied und stürzte sich ins Nachtleben.

Die Kirche mit dem Nachtleben vereinbaren zu können, das ist Ungewitter wichtig. Nicht umsonst hält sie ihre Gottesdienste an Sonntagnachmittag ab. Die 31-Jährige ist Pastorin der Wiener "Projektgemeinde", einer liberalen baptistischen Kirche. Frauen dürfen hier leitende Positionen einnehmen, Homosexuelle sind als Mitglieder willkommen. Zwei Standorte hat die Kirche in Wien, einen im 2. und eine im 3. Bezirk.

Bis zu 50 Menschen pilgern am Sonntag zu Ungewitter in den Gottesdienst in die Engerthstraße im 2. Bezirk. Gelassen steht die Blondine dann mit ihren schwarzen Leggings, der schwarzen Bluse und den Turnschuhen vor der Gemeinde, predigt und macht Witze.

Unreine menstruierende Frau

Sie begreift sich nicht nur als Theologin und Pastorin, sondern auch als Feministin. Ist das möglich? Kann eine Geistliche von der Gleichberechtigung der Geschlechter überzeugt sein? Und wie kann eine Feministin umgekehrt glauben, was in der Bibel steht? Im Alten Testament etwa entsteht Eva aus der Rippe Adams. Im Neuen Testament wird Maria als Jungfrau mit Jesus schwanger. Ungewitter relativiert: "Die Bibel ist in einem patriarchalen Kontext entstanden. Viele Stellen sind für ihre Zeit revolutionär, wenn man sie nur versteht."

Die Jungfrauengeburt Marias finde sich in der Bibel bloß als Randnotiz. Ob man daran glaubt, sei nebensächlich: "Maria wurde im Laufe von 2000 Jahren übersexualisiert. Das liegt an der sexuellen Tabuisierung: Wenn die Kirche schon Frauen glorifizierte, dann als Jungfrauen." Heute ist weitgehend unbekannt, dass es bereits im frühen Christentum Diakoninnen gab. Erst im Mittelalter setzte eine Sexualitätsfeindlichkeit ein, die das weibliche Geschlecht von seinen Posten verdrängte. Es hieß, die Menstruation mache Frauen unrein und dadurch ungeeignet für kirchliche Ämter. Diese These legte den Grundstein für das patriarchale Christentum: Die römisch-katholische Kirche lehnt Priesterinnen bis heute ab. Auch wenn ihre Argumente inzwischen nicht mehr auf der Menstruation beruhen.

Auf die Schöpfungsgeschichte berufen sich Sexisten ebenso gerne: Gott schuf Adam und hauchte ihm Leben ein. Dann entnahm er ihm eine Rippe und schuf daraus Eva, damit Adam eine Gehilfin habe. "Das heißt aber nicht, dass Eva die Putzfrau Adams ist", sagt Ungewitter. Das Wort "Gehilfin" mag in der Übersetzung untertänig wirken, drücke im Originaltext aber keinerlei Machtgefälle aus. Auch die Geschichte mit der Rippe kann Ungewitter entkräften. Sie sieht Adam als Einheit von Mann und Frau, denn Adam bedeute nichts weiter als "Mensch". Männlich wurde er erst durch die Existenz Evas - davor machte es schließlich gar keinen Sinn, in Geschlechter zu unterscheiden.

Redet sich die feministische Pastorin die Bibel nicht einfach schön? "Man muss Gott mit dem Verstand lieben. Also schauen, in welchem Kontext etwas gesagt worden ist", hält sie entgegen. Die Bibel widerspricht sich oft, doch manche Stellen sind öfter belegt, manche Aussagen stärker vertreten als andere. Es handle sich um keine freie Interpretation, sondern um eine wissenschaftliche Analyse - wie bei einem Gesetzbuch.

"Im Kontext sehen" ist Ungewitter auch dann wichtig, wenn es um die Abtreibung geht. "Wenn jemand bei mir Rat dazu suchen würde, würde ich das Gespräch immer so laufen lassen, dass beide Möglichkeiten offen bleiben. Und auf keinen Fall eine verurteilende Haltung einnehmen", sagt sie. Als Gläubige sehe sie ein Wirken, wenn Leben entsteht. Trotzdem sei Abtreibung immer eine Einzelfallbetrachtung: "Zu diesem Dogma, dass Abtreibung grundsätzlich eine Sünde ist, dazu komme ich nicht."

Keine faulen Kompromisse

Als Teenager saß Ungewitter in der Kirche immer in der letzten Reihe und dachte: "Das ist mit Abstand der allerletzte Job auf der Welt, den ich machen würde." In den Pastor, der vorne von seiner Kanzel herunterpredigte, konnte sich die gebürtige Deutsche nicht hineinversetzen. Sie wollte Eventmanagerin werden, bis sie nach dem Abitur beschloss, Theologie zu studieren, das "Christlich-soziale" habe sie fasziniert. Dass sie sich ausgerechnet als Pastorin am besten verwirklichen kann, wurde ihr erst während dem Studium in Bonn klar. Seit rund einem Jahr lebt sie nun in Wien, schreibt ihre Doktorarbeit und arbeitet als Pastorin. Sie hat eine liberale Baptistengemeinde gefunden, die sie so nimmt, wie sie ist. Wäre sie dort nicht untergekommen, müsste die 31-Jährige wohl größere Kompromisse eingehen. Doch ihre Kompromissbereitschaft hat klare Grenzen: "Pastoralassistentin zu sein und dann erst recht zu predigen, weil man mich nicht Pastorin nennen darf, das kommt nicht in Frage."

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