Teheran. Lang und breit könnte Nasser Ghanemzadeh über sein Leid klagen. Darüber, wie quälend das Leben in einer Islamischen Republik ist, die die Resilienz ihrer 80 Millionen Bürger Tag für Tag auf die Probe stellt. Er könnte jammern, wie nervenaufreibend es ist, in einer Volkswirtschaft zu arbeiten, die fast zehn Jahre lang von den internationalen Märkten abgeschnitten war. Und er könnte sich beschweren, wie ermüdend sich der Alltag anfühlt in einer Millionenmetropole wie Teheran, in der man an manchen Tagen vor lauter Smog die Kinder besser zu Hause lässt, um ihre Gesundheit nicht zu gefährden.
Doch Nasser Ghanemzadeh überlässt das Klagen anderen Iranern. Der feiste Mann will nicht jammern. Und er will sich nicht beschweren. Das erlaubt ihm sein Ethos nicht. Ghanemzahdeh ist ein Start-up-Apostel. So bezeichnet sich der 37-jährige Computeringenieur. Als "Apostel" hat er eine Aufgabe: Er muss die Botschaft des Start-up-Evangeliums unter das iranische Volk bringen. Die besagt: Positiv bleiben, egal wie widrig die Umstände sind. Denn wer eines Tages genau so souverän einen Rollkragenpulli tragen möchte wie der verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs, darf sich nicht von ein bisschen Diktatur, nachhallenden Sanktionen und scheuen Auslandsinvestoren in die Suppe spucken lassen.
"Seit drei Jahren gibt es im Iran eine richtige Start-up-Bewegung", prahlt Ghanemzadeh. Bis zu 400 Start-ups sind in den vergangenen zehn Jahren im Iran aufgepoppt. Ihr Portfolio reicht von Crowdfunding-Plattformen für Dokumentarfilme über Online-Handel-Angebote für Elektronikgeräte bis hin zu religiösen Apps, die einen benachrichtigen, wann in welchem Viertel Teherans die nächste öffentliche Trauerfeier stattfindet, bei der man beim Leichenschmaus kostenlos verköstigt wird. Ein regelrechter Hype ist entstanden rund um die Neo-Unternehmer. Internationale Medien schwärmen gar von einer Start-up-Revolution im Iran. Ihre Gründer werden gefeiert als das neue moderne Gesicht im sonst so düsteren Kleriker-Iran. Hipster-Bart statt Mullah-Zottel, lautet nun die Devise.
Auch die Regierung unter Präsident Hassan Rohani umwirbt die Unternehmer. Im Februar 2016 wurde das erste staatliche "Zentrum für Start-ups" ins Leben gerufen. Das Signal ist eindeutig: Auch wir wollen an den Start-up-Hype glauben. Und tun alles daran, dass es nicht nur ein Hype bleibt. Nicht umsonst referiert der Kommunikationsminister Mahmoud Vaezi vor Start-up-Jüngern und verspricht ihnen, eine geeignete Infrastruktur zu schaffen, sei das in Form von steuerlichen Erleichterungen bei der Unternehmensgründung oder schnellerem Internet und WLAN-Ausbau. Es sind große Worte in einem Land, in dem Seiten wie Facebook oder Twitter offiziell blockiert werden. Und lassen vor allem auf eines hoffen: Aufbruch.
Sie alle wollen Teil einer neuen Bewegung sein Irans Start-up-Hub ist unangefochten Teheran. Hier in den versmogten Häuserschluchten der Megacity mit ihren 14 Millionen Einwohnern haben es sich die Nerds bequem gemacht. Nach westlichem Vorbild sitzen auch sie in Gemeinschaftsbüros, Männer neben Frauen, kritzeln ihre Ideen auf beglaste Pinnwände und schlürfen ihren Caffè-Latte aus Pappbechern, der hier nicht Starbucks heißt, sondern "Raees oder "Lamiz". Es sind Veteranen aus Softwareunternehmen, die sich selbständig machen wollten, junge Burschen aus den verarmten Randbezirken Teherans, die sich kaum noch von ihren Smartphones loseisen können, religiöse Frauen im schwarzen Tschador, die an ihren eigenen Websites arbeiten, und hippe It-Girls, die im Ausland studiert haben und ihr Glück lieber in Teheran versuchen als in den großen Städten Europas oder Amerikas. Sie alle wollen Teil der neuen "Start-up-Bewegung" sein.
"Es ist sexy, ein Start-up zu gründen. Jeder will das heute machen. Doch die Leute haben die falschen Erwartungen. Sie glauben, dass sie gleich den Jackpot gewinnen", sagt Nasser Ghanemzadeh. Er sitzt im dritten Stock in einem Gebäudekomplex in der Balavar Straße. Es ist eine Seitengasse, der pulsierenden Hauptschlagader der Stadt, der Straße der Revolution. Hier hat seine Firma "Finnova" vor ein paar Monaten einen Co-Working-Space eingerichtet. Während draußen die Studenten flanieren, werken hier in der Seitengasse über den Dächern der Stadt junge Männer und Frauen von acht Uhr morgens bis zehn Uhr abends an ihren Projekten. Ghanemzadeh hilft ihnen dabei. Seine Firma ist ein "Accelerator", eine Hebamme, die Irans Neo-Gründern in der Anfangszeit unter die Arme greift, sie "coacht", ihnen eine Infrastruktur zur Verfügung stellt und am Gewinn mitschneidet, sofern es einen gibt.
Derzeit haben sich die Mitarbeiter von acht Start-ups in den Räumlichkeiten einquartiert. Akribisch studieren sie hier die Biografien ihrer Idole aus dem Sillicon Valley und lassen sich bei wöchentlichen Start-up-Events einschulen in die neuesten Rhetorikkniffe, um potenzielle Investoren an Land zu ziehen. Immer dabei am Schirm: die Liste des "Billion Dollar Startup Club" des "Wall Street Journals". Sie gilt es im Auge zu haben, in der Hoffnung, die eine oder andere internationale Idee auch für den abgeschotteten iranischen Markt abkupfern zu können.