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Wie hält sich die Wiener SPÖ seit sieben Jahrzehnten an der Macht?

Wien. Ist es besser geliebt oder gefürchtet zu werden? Die Frage klingt nach Hochglanzmagazin, nach Persönlichkeitstest, den man im Warteraum vor dem Arzttermin ausfüllt. Dabei spielt sie keine Rolle in Warteräumen. Sie spielt eine Rolle auf Regierungsbänken, wenn es nach Niccolo Machiavelli geht. In seinem Einmaleins des politischen Machtspiels "Der Fürst" gibt der Florentiner 1513 die Antwort: Man soll nach beidem trachten. Mit dem Nachsatz: "Da aber beides schwer zu vereinen ist, so ist es weit sicherer, gefürchtet als geliebt zu werden."

Wie sehr sind die Mächtigen in der Stadt nun zum Fürchten? Knapp drei Monate vor der Wien-Wahl am 11. Oktober gilt es einen Blick auf das Machtgebaren jener Partei zu werfen, die in der Zweiten Republik seit sieben Jahrzehnten in Wien das Sagen hat. Welcher Elemente bedient sich die SPÖ, um ihre Macht zu halten? Wie geht sie mit ihren politischen Gegnern um? Wie mit ihren internen Rebellen? Und gibt es einen sozialdemokratischen Machtstil?

Die Legende besagt: Die Wiener halten dicht, komme, was wolle. "Ich kenne keine andere SPÖ-Landesorganisation, die diese Disziplin nach außen so beinhart durchgezogen hat wie die SPÖ in Wien", bestätigt der Politologe und Strategieberater Thomas Hofer. Während die rote Parteifassade in anderen SPÖ-Landesorganisationen unmittelbar nach dem rot-blauen Tabubruch im Burgenland zu bröckeln begann, hielt die Basis in Wien zusammen. "Gestritten wird drinnen und nicht am Balkon", heißt das eiserne Prinzip. Das hat jeder Wiener Genosse verinnerlicht.

49.685 eingeschriebene Mitglieder hat die Partei in Wien. Sie stellen die Masse, wenn es darum geht, rote Folklore hochleben zu lassen. Sie sind es auch, die ausschwärmen in jeden Bezirk, in jeden Wahlsprengel und in jeden Gemeindebau, wenn es gilt, jeden noch so desillusionierten Stammwähler zu mobilisieren und ihn an die Errungenschaften der Arbeiterbewegung zu erinnern.

Vorauseilender Gehorsam Natürlich diskutiert man dabei. Und streitet auch miteinander. Schließlich ist man ja eine demokratische reflektierte Sippe. Sogar Rebellen hält man sich. Doch sind es Rebellen, die keinem wehtun. Gerne werden die Genossen der Sektion 8 aus dem Bezirk Alsergrund genannt. Es sind jene Männer und Frauen, die 2011 gegen den Willen der Parteispitze am Landesparteitag das Ende des kleinen Glücksspiels durchsetzen konnten. Sie werden als Beweis für die interne Toleranz der Partei präsentiert. Bloß: Chancen auf eine Karriere in der Partei haben die Medienlieblinge seither nicht. Das weiß jeder. Am besten sie selbst. "Wir streben keine Posten an", sagt Eva Maltschnig, Vorsitzende der Sektion 8, "deswegen müssen wir uns nicht zensieren."

Denn wer sich nach Macht sehnt, muss sich in der Kunst des vorauseilenden Gehorsams üben. Und er muss vor allem lernen, den Mund zu halten. Wer das nicht tut, muss die Konsequenzen in Kauf nehmen: "Du kriegst kein Mandat, kommst nicht auf die Liste und wirst nicht Bezirksvorsteher oder irgendetwas", erklärt Josef Kalina die Sanktionsmechanismen der Partei.

Nur wenige kennen die Strategien der SPÖ so gut wie der 57-jährige PR-Profi. Als junger Mann war Kalina bei der Sozialistischen Jugend, arbeitete später als Journalist beim Parteiorgan der Arbeiterzeitung, war Pressechef der Wiener SPÖ, dann Sprecher deseinstigen Bundeskanzlers Viktor Klima und wurde 2007 zum Bundesgeschäftsführer der SPÖ ernannt. Ein Jahr später legte er die Funktion nieder. Heute ist "Dr. Spin", wie Kalina von den Medien getauft wurde, geschäftsführender Gesellschafter und "strategisches Mastermind" der PR-Agentur Unique Relations. "Die Disziplin der SPÖ ist etwas, worauf sie stolz sein können. Das ist ja ein freiwilliges Commitment", befindet Kalina. Dieses "Commitment" sei auch historisch begründet, meint er: "Seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert waren die Sozialdemokraten Repressalien ausgesetzt. Sie wurden verfolgt und kriminalisiert. So entwickeln sich bestimmte Verhaltensmuster und man hält zusammen."

Die Familie Je weiter es in der Rangordnung nach oben geht, desto enger werden die Maschen der Loyalität. Die Partei als Familie ist hier längst kein Euphemismus mehr, sondern gelebte Realität. Ein kurzer Blick auf die privaten Biografien der Stadträte zeigt, wie eng man einander ist - oder war. Bürgermeister Michael Häupl war in jungen Jahren mit Vizebürgermeisterin Renate Brauner liiert. Gesundheitsstadträtin Sonja Wehselys Schwester Tanja, einst Obfrau der Wiener Jugendzentren, ist seit 2009 stellvertretende Rathausklubchefin. Christian Oxonitsch - Stadtrat für Jugend, Bildung, Information und Sport - war mit Umweltstadträtin Ulli Sima verheiratet. Lange durfte der damalige Klubchef deswegen nicht in die erste Reihe vorrücken. Zu schief wäre die Optik gewesen, ein Ehepaar auf der Regierungsbank sitzen zu haben - selbst für den roten Rathausclan. Seit 2008 sind die zwei Politiker geschieden. Seit 2009 ist Oxonitsch Stadtrat. Und Sima ist mittlerweile liiert mit Josef Thon, dem Leiter der MA 48, ihrem Angestellten.

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