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Spuk im Untergrund

Gegen Rechts. Aufmärsche von Neonazis locken in Potsdam regelmäßig Hunderte oder gar Tausende Gegendemonstranten auf die Straße, wie hier bei einer Aktion des Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ auf dem Luisenplatz im Jahr 2005. Foto: dpa

von Sören Kohlhuber


Potsdams rechtsextreme Szene organisiert sich neu. Die NPD spielt dabei kaum noch eine Rolle


Neonazis verschwinden als Kameradschaften von der Bildfläche und organisieren sich neu, die NPD ist - trotz des beabsichtigten Antritts zur Kommunal- und Landtagswahl - bedeutungslos in Potsdam. So lautet die Einschätzung von Potsdams aktivster Antifa-Gruppierung „Antifaschistisches Pressearchiv Potsdam" (APAP) in seiner Chronik über rechtsextremistische Aktivitäten in Potsdam für das Jahr 2013, die am Samstagabend im „Spartacus" im Freiland-Jugendzentrum vorgestellt wurde.


Zwar seien weniger rechtsextremistische Aktivitäten registriert worden, doch Sorge bereitet den Fachkräften das Abtauchen der Neonazis aus Potsdam, stellte das APAP fest. Zwar besuchten Neonazis aus Potsdam immer wieder bundesweit Neonazi-Aufmärsche, doch verzichteten sie auf ein geschlossenes Auftreten unter einem gemeinsamen Namen. Das „Infoportal" der rechtsextremen Gruppe „Freie Kräfte Potsdam" im Internet sei monatelang nicht aktualisiert und im vergangenen Sommer gelöscht worden.


Gleichzeitig machte eine neue Gruppe mit dem Namen „Licht & Schatten" auf sich aufmerksam. Deren Vorbild stammt vermutlich aus der Lausitz: die vom Innenministerium verbotene „Widerstandsbewegung Südbrandenburg", auch bekannt als Spreelichter. So marschierten „Licht & Schatten"-Mitglieder am 8. Mai vergangenen Jahres in einem Fackelmarsch durch Kloster Lehnin. Zudem hielten sie ein braunes Gedenken für die Opfer der Potsdamer Bombennacht vom 14. April 1945 ab. In der Nacht vor der Bundestagswahl organisierten sie in Potsdam wie berichtet massive Propaganda-Aktionen: Die Eingangstür eines Wahllokals in Drewitz wurde von den Neonazis mit einer Stahlkette und ein weiterer Zugang mit Kabelbindern blockiert. Darüber hinaus gab es Sprühaktionen gegen Demokratie und Wahlen, zudem wurden Transparente für „nationalen Sozialismus" vor Wahllokalen aufgehängt. Ähnliche Aktionen gab es auch im Potsdamer Umland - immer mit Bezug zu „Licht und Schatten". Pikant daran war: Die Polizei räumte die Vorfälle erst auf Anfrage ein.


Ähnlich wie die Spreelichter setzt das neue Neonazi-Netzwerk „Licht und Schatten" vor allem auf die Inszenierung und teilweise faschistische Ästhetik bei der Darstellung der Aktionen im Internet mit Fotos und Filmen, die auch in den sozialen Netzwerken schnell verbreitet werden. Die ehrenamtlichen Kenner der Potsdamer Neonaziszene vom APAP gehen in ihrer Analyse davon aus, dass es sich jeweils um dieselben Neonazis handelt, welche vorher noch offen als Kameradschaft agierten. Dass brandenburgische Innenministerium geht von rund 100 Rechtsextremisten in Potsdam aus.


Obwohl die organisierte Neonaziszene sich neu organisiert und als Netzwerk vor allem auf Propagandaaktionen setzt, warnt das APAP vor einer neuen Dimension der Gewalt. So schreibt das APAP einen mutmaßlichen Brandanschlag auf die linksalternative Kneipe „Olga" in der Innenstadt und einen von der Polizei nie als solchen bestätigten vermeintlichen Brandanschlag auf das linksalternative Kulturprojekt „Archiv" den Neonazis zu. Zudem kam es laut Chronik in Potsdam und Potsdam-Mittelmark zu drei rassistisch motivierten Übergriffen sowie mehreren Bedrohungen durch Neonazis gegen Linke.


Auch im Karl-Liebknecht-Stadion bei Spielen des SV Babelsberg 03 zeigten Neonazis mehr Präsenz - für die linke Potsdamer Szene und die Babelsberg-Fans wegen des antifaschistischen Selbstverständnisses des Vereins ein Affront. Insgesamt registrierte das APAP neun Spiele, bei denen Gästefans durch Hitlergrüße und rechte Gewalttaten auffielen. Besonders das Spiel gegen Lokomotive Leipzig stach hierbei heraus. Neben der Spielunterbrechung wegen Ausschreitungen durch die Gästefans platzierten sich etwa zehn Neonazis in einem der beiden Babelsberger Fanblöcke. Unter ihnen befand sich laut APAP ein Rechtsextremer, der beim sogenannten Tram-Prozess im Jahr 2006 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Das Landgericht hatte im März 2006 sechs Neonazis nach einem brutalen Angriff auf zwei Linke wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren verurteilt.


Die NPD indes schafft es aktuell nach Einschätzung des APAP nicht, in der Landeshauptstadt Fuß zu fassen. Seit dem Streit zwischen dem erst für die DVU angetretenen und dann zur NPD gewechselten Stadtverordneten Marcel Guse und seiner Partei 2009 ist es in Potsdam ruhig geworden um die NPD. Vereinzelt taucht sie bei Kundgebungen auf, aber bei der Bundestagswahl war sie kaum präsent, weder mit Veranstaltungen noch mit Plakaten. Diese Lücke versuchten nach Ansicht des APAP rechtspopulistische Parteien wie Pro Deutschland für sich zu nutzen. Wiederholt sei es in Potsdam zu Auseinandersetzungen zwischen diesen Parteien und linken Gegendemonstranten gekommen. Nach dem Widerstand der linken Szene in Potsdam hatte Pro Deutschland im Frühjahr 2013 weitere Infostände zur Bundestagswahl in der Stadt abgesagt.


Zum ersten Mal sind die Chroniken des Antifaschistischen Pressearchivs Potsdam auf dem Atlas-Projekt rechtesland.de im Internet zu finden. Auf diesem sind bundesweite Aktivitäten von Neonazis eingezeichnet. Für Potsdam zeigt sich bei der Durchsicht der Jahre 2011 bis 2013, dass vor allem die Innenstadt, Babelsberg, Waldstadt, Fahrland und Am Stern zu den Aktionsräumen von Neonazis gehören. Für dieses Jahr erwartet das Pressearchiv eine verstärkte Präsenz der NPD zur Kommunal- und Landtagswahl sowie eine Zuspitzung der rechtsextremistischen Aktivitäten rund um Asylbewerberheime in Potsdam und im Potsdamer Umland. (mit HK)

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