Sina Horsthemke

Journalistin für Medizin, Sport und Gesellschaft, München

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Haartransplantation: Schaut auf diese Haare

Schauspieler Marc Barthel hat nach seiner Haartransplantation nun volles Haar

Irgendwann, sagt Schauspieler Marc Barthel, habe sich alles nur noch um den einen Gedanken gedreht: Sitzt noch alles? Dann der möglichst unauffällige Griff an die Schläfen, ob die lichten Stellen kaschiert sind. Bei Dreharbeiten und Auftritten habe er kontrolliert, von wo das Licht kommt, wo überall Kameras stehen und aus welchem Winkel jemand gerade seine Haare filmt - und womöglich auch seine Geheimratsecken. Morgens in der Maske für die ARD-Serie Verbotene Liebe, erbarmungslos ausgeleuchtet, habe er sich Strähnen von hinten nach vorn gekämmt, um Kahles zu verdecken. "Eine der Maskenbildnerinnen sagte zu mir, so sehe es viel auffälliger aus. Das konnte ich damals überhaupt nicht annehmen, aber wenn ich jetzt alte Folgen sehe, denke ich, oh Gott, was hast du da gemacht", sagt der heute 32-Jährige.

Seit seiner Jugend habe er lange Haare getragen. "Alle wollten diese Beckham-Frise", erzählt Barthel: Kinnlang offen oder am Hinterkopf zum Knoten gebunden wie der englische Fußballstar. Mit 15 wurde Barthel Mitglied der Boyband Part Six. Seine Haare trug er blondiert und mit Gel tief ins Gesicht gezogen. "Google mal, es sieht furchtbar aus", sagt Barthel. Aber damals sei das eben cool gewesen. Mit Anfang 20 habe er das erste Mal bemerkt, dass ihm am Haaransatz über den Schläfen die Haare ausgingen. Er begann widerwillig, öfter Basecaps zu tragen. Dann folgten auf mehrere Castings für Rollen, die seinem Alter entsprachen, Absagen. Warum, wusste Barthel zunächst nicht. Ein konkreter Grund werde meistens nicht genannt, sagt er. Erst auf Nachfrage seiner Agentur erfuhr er schließlich, er habe "zu reif" für die Rolle gewirkt. "Das lässt es zwar recht offen, aber für mich war klar, dass es nur an meinen Haaren liegen konnte", sagt Barthel.

Zwei- oder dreimal habe er sich das angehört. Dann habe es ihm gereicht. "Ich dachte: Wenn das für mich beruflich zum Problem wird, weil ich mit meiner Frisur schon jetzt nicht mehr so wandelbar bin, muss ich was unternehmen", sagt Barthel. Mit den Haaren sei auch zunehmend sein Selbstbewusstsein geschwunden. Zunächst habe er sich eine Glatze rasiert. Bei Schauspieler Jürgen Vogel funktioniere es so schließlich auch. "Aber damit habe ich mich einfach nicht wohlgefühlt." Und es könne eben auch nicht jeder Jürgen Vogel sein.

Barthel war 24, als er sich das erste Mal für eine Eigenhaartransplantation entschied. Zuvor hatte er den Post eines Bekannten auf Facebook gesehen, der den Eingriff gerade hinter sich hatte. Barthel schrieb ihm eine Nachricht und bekam eine Privatklinik in Dortmund empfohlen, wo er nach Beratungsgesprächen im August 2015 ebenfalls seine Haar-OP hatte. Seine damalige Partnerin, die ihn bei seiner Entscheidung unterstützt hatte, fuhr ihn hin. Immer wieder mal habe er von Familie und Freund:innen zu hören bekommen, dass es doch so schlimm nicht sei mit seinem Haarverlust. "Klar, das sind Menschen, die mich nicht verändern wollen und akzeptieren, wie ich bin", sagt Barthel. "Aber nur ich kann wissen, wie ich mich fühle, ob es mir schlecht geht, wie oft ich mir an den Kopf fasse, um zu kaschieren. Ich bin damals gedanklich nur noch um dieses eine Thema gekreist."

"Haartransplantationen werden in Deutschland immer beliebter", sagt Annette Hortling, Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie mit eigener Praxis in Siegburg. "Dass sich Promis Haar transplantieren lassen und das offen kommunizieren, trägt dazu bei." Zum Beispiel Fußballtrainer Jürgen Klopp oder Bundesfinanzminister Christian Lindner. Rund 80 Prozent ihrer Patient:innen, sagt Hortling, seien Männer. Die meisten litten unter erblich bedingtem Haarausfall, so wie auch Marc Barthel, und seien 30 bis 39 Jahre alt. Seltener transplantiert die Ärztin Frauenhaar oder verpflanzt Haare, um nach Unfällen oder Verbrennungen Narben am Kopf zu kaschieren. Sehr junge Patienten vertröstet sie manchmal: "Genetisch bedingter Haarausfall beginnt mit etwa 20 und endet mit Mitte 50. Behandeln wir zu früh nur die Geheimratsecken, kann es passieren, dass der Haarausfall voranschreitet und die Patienten nach kurzer Zeit wiederkommen. Wir müssen nachhaltig denken und manchmal einfach noch warten."

Es gibt zwei Techniken, um Eigenhaar zu verpflanzen. Bei beiden entnehmen Ärzt:innen das Haar aus dem Hinterkopf zwischen den Ohrmuscheln - dem Kranz, der bei erblich bedingtem Haarausfall übrig bleibt. Die Haare dort sind gegenüber dem männlichen Geschlechtshormon Testosteron unempfindlich - eine Eigenschaft, die sie nach dem Verpflanzen beibehalten, sie fallen also auch dort nicht aus. Zwei Drittel ihrer Patient:innen entscheiden sich für die FUE-Methode, berichtet Fachärztin Hortling. Die Abkürzung steht für follikel unit extraktion, die Einzelhaarentnahme. Unter lokaler Betäubung bohrt die Ärztin dabei einzelne Haarwurzeleinheiten mit ein bis drei Haaren aus der Kopfhaut, prüft ihre Vitalität und lagert sie in einer Nährlösung. Dann setzt sie winzige Kanäle in den kahlen Bereich, in die sie anschließend die Haare pflanzt.

Die zweite Möglichkeit ist die Streifentechnik, kurz FUT genannt, was für follikel unit transplantation steht. "Dafür entnehmen wir einen ein Zentimeter breiten Hautstreifen am Hinterkopf und präparieren daraus die zu verpflanzenden Haarwurzeleinheiten", erklärt Hortling. Die Wunde am Hinterkopf wird mit einer speziellen Nahttechnik möglichst unauffällig verschlossen. FUT geht schneller als FUE, hinterlässt aber eine feine, linienförmige Narbe. Egal, für welche Methode sich jemand entscheidet: Mehrere Tausend grafts - so heißen die Haarwurzeleinheiten - müssen in mühevoller Handarbeit einzeln versetzt werden, damit das Ergebnis natürlich aussieht. Für eine Fläche von zehn mal zehn Zentimetern, schreibt der Verband Deutscher Haarchirurgen (VDHC) in seinen Leitlinien, seien je nach Dicke, Farbe und Struktur des Haars 1.000 bis 3.000 Transplantate nötig.

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