Stand: 13.09.2016 05:00 Uhr
Bei Christian (Name geändert) fängt alles mit Alkohol an. Da ist er gerade 15 Jahre alt und wohnt noch nicht auf Sylt. "In meiner harten Zeit habe ich mir von A bis Z alles reingezogen", erzählt er, heute Küchenchef in einem Sylter Restaurant. Neben Alkohol konsumiert er mit Anfang 20 unter anderem Gras, Speed, LSD und Kokain, Pilze. Davon ist er weg - bis zu einem kurzfristigen Rückfall im letzten Jahr. Beziehungsprobleme, dazu der harte Job. "In der Gastronomie musst du dein Pensum schaffen, egal wie", sagt Christian. "Um den Tag zu bewältigen, habe ich Koks und Amphetamine genommen." Mittlerweile ist er nach eigener Aussage Gelegenheitskonsument. Allerdings nichts Hartes mehr. "Ich hätte sonst den Kontakt zu mir selbst verloren." Aber hin und wieder einen Joint lasse er sich nicht nehmen, sagt er.
Wer Drogen will, bekommt sie - überallErst im vergangenen Jahr macht die Polizei auf Sylt, einen - wie es in der offiziellen Meldung heißt, "spektakulären" Drogenfund: vier Kilogramm Marihuana, mehr als zwei Kilogramm Kokain und 250 Gramm Amphetamine stellte die Sylter Kriminalpolizei sicher. "Du brauchst was, rufst an, fünf Minuten später ist die Lieferung da", sagt Christian. Seine Quellen nennt er nicht, es sind Bekannte. Man kommt auf der Insel leicht an Drogen, sagen die, die sich auskennen - aber nicht leichter als anderswo. "Wer konsumieren will, kennt die Bezugsquellen. Man kann auf Sylt alles bekommen - das ist woanders aber genauso", so der Rauschgiftsachbearbeiter der Kriminalpolizei Sylt. Seinen Namen will er nicht nennen. Das Beratungs- und Behandlungszentrum Sylt (BBZ) und die Landesstelle für Suchtfragen in Schleswig-Holstein (LSSH) bestätigen das. "Die Vertriebskanäle haben sich an die Regionen angepasst. Der Konsument bekommt, was er will, ob in der Großstadt oder auf dem platten Land", so Mathias Speich, Sprecher der LSSH.
Sylter Drogenszene im WandelMitte der 1980er bis Anfang der 1990er-Jahre spielte sich die Drogenszene noch offen in der Innenstadt von Westerland ab: an der kurvigen Brunnen-Figur Wilhelmine. Damals wurden vermehrt harte Drogen konsumiert. "Der Konsum von Suchtstoffen ist auf Sylt überproportional" - das sagte 1994 Peter Iden, ehemaliger Leiter der Westerländer Kriminalpolizei, dem Nachrichtenmagazin "Spiegel". Seit dieser Zeit werden, auch im BBZ, Klienten über ein Therapieprogramm mit Medikamenten (Methadon-Substitution) psychosozial begleitet. "Die öffentliche Szene gibt es in der Form auch nicht mehr. Vieles spielt sich allerdings im Verborgenen ab", sagt Brigitte Umbreit, Sozialtherapeutin im BBZ. Heute ist die Zahl derer, die im BBZ Hilfe suchen, prozentual kaum anders als auf dem nordfriesischen Festland. Zwar werden auf Sylt noch immer harte Drogen konsumiert. "Aber das Konsumverhalten hat sich hin zu einem Bei- und Mischkonsum geändert", sagt Umbreit.
Alkohol ist EinstiegsdrogeIm vergangenen Jahr suchen 155 Suchtkranke im BBZ Hilfe und 42 betroffene Angehörige. Hilfe für Suchtkranke und Suchtprävention sind Themen, aber auch Erziehung, Partnerschaft und Lebensberatung. Die Bereiche greifen häufig ineinander. "In Lebenskrisen oder bei Erziehungsproblemen ist der Griff zu Drogen oft nicht weit", weiß BBZ-Betreuer Lars-Michael Wittmeier. Einstiegsdroge sei in der Regel Alkohol. Das Problem betrifft über 42 Prozent der BBZ-Klienten. Bei den illegalen Substanzen liegt Cannabis mit gut 15 Prozent vor Heroin (9,6 Prozent), Kokain (2,5 Prozent), Medikamenten und Amphetaminen.
Vieles bleibt hinter den KulissenDie Zahlen spiegeln jedoch nur die registrierten Fälle wieder und machen geschätzt rund ein Prozent der Sylter Bevölkerung aus. "Bundesweit wird die Dunkelziffer auf fünf bis sieben Prozent geschätzt", so der Sprecher der Landesstelle für Suchtfragen. Studien belegten, dass die Suchthilfe bestenfalls 30 Prozent der Betroffenen erreiche. 70 Prozent würden schlicht aus dem System fallen. Christian kennt das. "Viele konsumieren hin und wieder was, fallen nicht wirklich auf. Bis irgendwann der große Absturz kommt."
Zu wenig KontrollenDer Konsum beginnt früh auf der Insel. Das Gros der einheimischen Konsumenten sei zwischen 15 und 30 Jahre alt, heißt es von der Kripo. "Die Jugendlichen probieren natürlich auch einfach aus ", so BBZ-Betreuer Wittmeier. Hinzu kommt der Konsum der Touristen. Wird in Sachen Kontrollen genug getan? "Die Anzahl der Kontrollen, insbesondere im Straßenverkehr, hat sich in Bezug auf Drogenkonsum deutlich verbessert, die Kollegen werden auch diesbezüglich geschult", heißt es dazu von der Kripo Sylt. "Bei den Kontrollen werden naturgemäß sowohl Einheimische als auch Touristen einbezogen, da gibt es keine Unterschiede."
Offener Dialog?Sylt - für viele ein Urlaubstraum. Über Unangenehmes wird auf der Insel gerne geschwiegen. Die "Marke Sylt" könnte Schaden nehmen, so die häufige Befürchtung. Nikolas Häckel, Bürgermeister der Gemeinde Sylt, lobt zwar die Arbeit der Drogenberater im BBZ. "Dort findet eine sehr gute Drogenberatung statt, professionell und diskret. Das Thema ist uns sehr wichtig, daher unterstützen wir das BBZ finanziell", sagt Häckel. "Ich bin der festen Überzeugung, dass eine diskrete und zuverlässige Beratung sehr wertvoll und besser geeignet ist als eine öffentliche Thematisierung". Weitere Fragen zum Thema lässt er unbeantwortet.
Lars Schmidt, Gemeindevertreter und Vorsitzender der Organisation "Zukunft.Sylt", wünscht sich mehr Offenheit. "Der Insel schadet höchstens der verlogene Gesamtumgang mit dem Thema. Letztlich müssen wir die Umstände abstellen, die überhaupt zum Drogenkonsum führen", so Schmidt. Damit spielt der zum einen auf die schwierige Wohnsituation auf Sylt an, aber auch auf den Fachkräftemangel und die hohe Arbeitsbelastung. "Wir brauchen ein stabiles, soziales System, damit Perspektivlosigkeit nicht in den Drogenkonsum führt", sagt der Vater von drei Kindern.
Prävention schon bei KindernPrävention ist auch für das BBZ ein großes Thema. "Auf Sylt haben wir vergangenes Jahr 640 Menschen über die Suchtprävention erreicht", sagt Abteilungsleiterin Jutta Ringele: Über Vorträge an Schulen, Schulungen in Betrieben und Beratung. Die Prävention beginnt schon an der Grundschule. "Da sind zwar Drogen noch kein Thema. Aber es geht darum, die Persönlichkeit der Kinder zu stärken. Welche Vorlieben sie haben, an wen sie sich wenden, wenn es ihnen schlecht geht", so Jutta Ringele. Je stärker die Persönlichkeitsstruktur, desto weniger seien die Kinder später in Sachen Drogenkonsum gefährdet. Da kann Christian nur zustimmen. "Das wichtigste ist, Kindern Selbstbewusstsein zu geben." Auch mehr Zusammenhalt auf Sylt wäre schön, findet er. "In meinem Heimatort haben wir uns alle gegenseitig unterstützt, wenn es mal richtig schlecht lief", erzählt er. "Hier dagegen wird man schnell ausgegrenzt. Da ist Sylt eine Narzissmus-Insel." Christian ist froh, sich wieder im Griff zu haben. "Ich bin zurück in den Schoß des Lebens gefallen."
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | 13.09.2016 | 06:05 Uhr