Das „Herzblut St. Pauli" (Reeperbahn 50) ist ein Restaurant mit Bar und Partybetrieb. Durchschnittlich 750 tanzwütige Gäste pro Nacht lassen es hier krachen. Und weil die im Laufe einer langen Partynacht alle mal aufs Töpfchen müssen und das „Herzblut" Wert auf gepflegte Sanitäranlagen legt, gibt es eine nette Dame namens Melitta (74). Doch die hat heute frei. Dafür bin ich da.
Dienstbeginn ist um 21 Uhr. Funda (24), die nette Service-Schichtleiterin, zeigt mir meinen Arbeitsplatz: Die Damentoilette hat vier Kabinen und rosa Kacheln, bei den Herren gibt's sieben Pissoirs, drei Kabinen, blaue Kacheln. Es riecht - nach nichts. Alles picobello hier, ich bin sehr beruhigt. Funda zeigt mir, wo Schrubber, Handschuhe und Putzmittel sind. Und dann geht es los.
Ich sitze mit rosa Blümchenschürze im Vorraum und versuche, souverän auszusehen. Hinter mir eine Vitrine mit FC St. Pauli-Fanartikeln, links davon geht es zu den Damen, rechts zu den Herren. Die Benutzung der Toiletten ist kostenlos. Der erste Kunde kommt. Als er wieder geht, macht es „pling". 20 Cent liegen auf dem Münzteller, den ich neben meine Dankeschön-Bonbons gestellt habe. Ich sage verschämt „Danke".
Dann der erste Rundgang, in der Hand Schrubber und Desinfektionsmittel. Bei den Mädels liegt nur ein wenig Klopapier herum. Und bei den Männern? Ich traue mich nicht, hineinzugehen - es könnte ja ein pinkelnder Mann drin sein! Aber ich muss dort nach dem Rechten gucken. Also schicke ich den Fotografen vor. Als die Luft rein ist, stelle ich fest: Hier gibt's viel Arbeit. Kaputte Bierflaschen liegen auf dem Boden, ein zerbrochenes Glas liegt im Pissoir und sogar ein Unterhemd finde ich. Ts, ts.
Je später der Abend, desto betrunkener die Gäste. Ab 23 Uhr bin ich im Dauereinsatz. Im Minutentakt lassen schwankende Gestalten ihre Flaschen auf die Fliesen fallen. Nett zu bleiben, fällt immer schwerer. „Kannst du Trottel nicht besser aufpassen?", denke ich wütend, als derselbe Typ zum zweiten Mal seine Flasche fallen lässt. Aber ich flöte freundlich: „Ach macht doch nichts, dafür bin ich ja da."
Mittlerweile macht es auf meinem Teller „pling" im Sekundentakt - dabei gibt höchstens jeder dritte Gast ein Trinkgeld. Von einem Cent bis zwei Euro ist alles dabei. Männer geben mehr, dafür lächeln die Frauen und bedanken sich.
Schräge Gestalten lernt man kennen. Da ist der Typ, der ungebeten für mehr Trinkgeld für mich kämpft und jeden anspricht, der mir nichts gegeben hat. Da ist die betrunkene Frau, die mich immer wieder küsst und umarmt und mir ins Ohr flüstert: „So eine süße Klofrau wie dich habe ich noch nie gesehen." Da ist der Typ vom Junggesellenabschied mit geschätzten drei Promille, der mich nonstop vollquatscht und erst Ruhe gibt, als ich richtig böse werde.
Nach mehr als acht Stunden Putzen und Wischen ist um 5.15 Uhr Feierabend. Fazit: Glück gehabt. Die Gäste waren alle freundlich und vor allem Herr über ihre Körperfunktionen - ich musste nichts machen, was wirklich eklig war. Und am Ende habe ich mich sogar überwinden können, auf dem Männerklo in Anwesenheit einiger Herren zu putzen - schließlich gehört das zum Job. 131 Euro Trinkgeld sind zusammengekommen, das „Herzblut" hat die Summe auf 300 Euro aufgestockt, das Geld wurde an ein Jugendprojekt auf St. Pauli gespendet.
Der Artikel ist eine Geschichte aus unserem Archiv und erstmals am 8. Juni 2009 in der Hamburger Morgenpost erschienen. In unregelmäßigen Abständen kramen wir in unserem Archiv und suchen Stücke heraus, die auch heute noch lesenswert sind.