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„Manche fragen: Warum ist der Wahnsinnige immer noch in der Türkei?"

Quelle: APA

Der österreichische Journalist Max Zirngast war in der Türkei drei Monate lang in Haft und darf das Land nicht verlassen. Ihm wird Nähe zu einer Terrororganisation vorgeworfen. Obwohl ein Gericht entschieden hatte, dass es diese gar nicht gibt.


Am 11. September 2018 um sechs Uhr früh wurde Max Zirngast in Ankara verhaftet. Dem 29-jährigen Studenten und freien Journalisten aus Österreich wird die Nähe zu einer Terrororganisation vorgeworfen. Dreieinhalb Monate lang saß er im Gefängnis in Ankara. Zu Weihnachten wurde er freigelassen. Die Türkei darf Zirngast bis zu seinem Prozess am 11. April nicht verlassen.


WELT: Wie geht es Ihnen nach der Haftentlassung?

Max Zirngast: Eigentlich ganz gut. Ich versuche gerade zu verstehen, was passiert ist. Ich muss vieles aufarbeiten.


WELT: Ihnen wird vorgeworfen, der TKP/K anzugehören. Laut Anklageschrift soll es sich dabei um eine kommunistische, illegale und bewaffnete Terrororganisation handeln. Was wissen Sie darüber?


Zirngast: Da wird es interessant. Verschiedene Institutionen des türkischen Staates sind sich diesbezüglich selbst nicht so sicher. Es gibt zwei Gerichtsentscheidungen, die besagen, dass es diese Organisation nicht gibt beziehungsweise dass ihr seit 1995 keine Aktivität mehr nachgewiesen werden kann. Und sie steht auch nicht auf der Liste der Terrororganisation des Innenministeriums.

Ich habe keinen Bezug zu ihr und weiß auch selbst nicht, ob es sie gibt oder nicht. Wie kann ich also Mitglied dieser Organisation sein? Das ist alles sehr absurd.


WELT: Wie kamen aus Ihrer Sicht die Behörden auf die Idee, dass Sie einer terroristischen Organisation angehören?


Zirngast: Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Der Bezug zu mir wird, soweit ich weiß, über den marxistischen Theoretiker Hikmet Kıvılcımlı hergestellt, auf den sich auch die TKP/K ideologisch bezogen hat. Ich besitze Bücher von ihm, und die wurden teilweise beschlagnahmt.


WELT: Sie haben in der Türkei als Autor für verschiedene Medien gearbeitet. Über was haben Sie geschrieben?


Zirngast: Ich habe - sowohl in der Türkei als auch in anderen Ländern - für viele Medien geschrieben, darunter auch die Plattform sendika.org (Anmerkung der Red.: eine linke türkische News-Seite) oder die sozialistische Zeitung „ Toplumsal Özgürlük ". Letztere tritt für eine demokratische Republik in der Türkei ein. Die Verhaftung stand auch mit dieser Zeitung im Zusammenhang. Ich habe in der Türkei vor allem zu Weltpolitik geschrieben. Über die Türkei habe ich eher in ausländischen Medien berichtet. Für den „Jacobin" oder die „Junge Welt". Diese Artikel sind öffentlich zugänglich.


WELT: Manche Medien, wie etwa die „NZZ", sagen Ihnen eine Nähe zur illegalen PKK nach.


Zirngast: Diese Sache mit der PKK kommt immer wieder. Ich habe im Zuge meiner Auseinandersetzung mit der Türkei auch über die kurdische Frage geschrieben, das ist ja auch öffentlich einsehbar. Aber es wurde suggeriert, dass das mein Hauptthemengebiet war, das stimmt nicht. Mir wurde auch teilweise organisatorische PKK-Nähe unterstellt. Ironischerweise aber nicht vom türkischen Staat, sondern von einzelnen europäischen Medien. Das macht es noch absurder.


WELT: Sie bezeichnen sich selbst als Sozialisten und waren in der Türkei politisch aktiv. Wie haben Sie sich engagiert?


Zirngast: Ich habe demokratische, ökologische und feministische Initiativen unterstützt. Ich habe Kindern in Armenvierteln Nachhilfe gegeben. Ich übersetze immer wieder Artikel. Das ist alles auch in der Türkei juristisch einwandfrei. Wenn es damit ein Problem gäbe, dann wäre das ja Teil der Anklage.


WELT: Sie waren also nie Mitglied einer Partei in der Türkei?

Zirngast: Nein, ich kann als Ausländer, glaube ich, rechtlich gar nicht Mitglied in einer Partei sein.


WELT: Gibt es irgendwelche Beweise für Ihre angeblichen Aktivitäten bei einer Terrororganisation?


Zirngast: Es gibt kein einziges Foto, das mich Flyer verteilend - oder eine Fahne tragend - zeigt. Zwei Fotos wurden mir gezeigt, auf einem bin ich nicht einmal, das ist von 2014, da war ich noch nicht in der Türkei. Und das andere ist von mir, wie ich Kindern Nachhilfe gebe. Es gibt keine Beweise.


WELT: Die Anklageschrift ist 123 Seiten lang. Was steht darin?


Zirngast: Diese 123 Seiten betreffen vier Angeklagte (Anmerkung der Red.: neben Max Zirngast wurden in der gleichen Aktion auch zwei Freunde von ihm verhaftet, eine Person wurde unter Auflagen freigelassen, ist aber Teil der Anklageschrift). Nur ein Teil betrifft mich persönlich.

In der Anklageschrift steht, dass es keinen Nachweis für die Anwendung von Gewalt und Bedrohung meinerseits oder ähnlicher Mittel gibt. Das wäre ja nach türkischem Recht unter anderem auch ein Kriterium für den Nachweis der Aktivitäten in einer terroristischen Vereinigung. Darüber hinaus steht darin auch, dass Aktivitäten, wie sich für Kinder- oder Frauenrechte einzusetzen, sogar vom Staat unterstützt werden sollten.

Mir werden illegale Aktivitäten vorgeworfen. Gleichzeitig wird gesagt, dass es für die illegalen Aktivitäten keine Beweise gibt.


WELT: Immer wieder werden in der Türkei Journalisten und politische Aktivisten verhaftet. Hatten Sie Angst, dass es Sie auch mal treffen könnte?


Zirngast: Wenn man die Sachen schreibt, die ich schreibe, ist da natürlich schon ein Risiko, mit dem man lebt. Aber wenn ich zu viel Angst hätte, könnte ich meine Arbeit nicht machen und ich wäre nicht glücklich. Man muss es als Realität betrachten, mit der man lebt. Viele meiner Freunde haben ihre Jobs verloren. Jeder kennt jemanden, der verhaftet wurde. Ich habe immer darauf geachtet, dass man mir nichts juristisch vorwerfen kann.


WELT: Sie haben die letzten drei Jahre in der Türkei gelebt. Was nehmen Sie von dieser Zeit mit?


Zirngast: Die letzten Jahre haben mich sehr geprägt. Ich habe einen Bombenanschlag und einen Putsch miterlebt. Jetzt war ich im Gefängnis. Das alles kommt mir aber nicht besonders vor. In Europa wäre das schon extrem viel auf einmal. In der Türkei ist das die Realität aller. Vielen ist auch Schlimmeres passiert. Meine Erfahrungen sind da nichts Besonderes. Ich habe nur das miterlebt, was durchschnittliche Menschen in meinem Alter und mit meiner Grundhaltung in der Türkei erleben.


WELT: Viele fragen sich wohl, was einen jungen Mann aus Österreich antreibt, in ein Land auszuwandern, in dem der Alltag so aussieht.


Zirngast: Ich habe schon vor einigen Jahren Menschen aus der Türkei in Österreich kennengelernt, die mein Interesse am Land geweckt haben. Ich wollte mir dann selbst ein Bild davon machen. Ich hab in den letzten Tagen so Sachen in Foren gelesen.

Manche sagen, das sei nicht mutig, sondern dumm. Und fragen, warum der Wahnsinnige immer noch dort ist. Aber ich bin weder besonders mutig noch besonders dumm. Natürlich wusste ich, dass mir etwas passieren kann. Ich hab aber auch jetzt nicht gesagt, „holt mich hier raus". Eine solche Forderung habe ich auch an den österreichischen Staat nicht gestellt.

Mehr als meine konsularische Betreuung und die Kontrolle dessen, dass der Prozess einigermaßen vernünftig abläuft, habe ich nie gefordert. Ich freue mich aber natürlich, wenn sich die Regierung für mich einsetzt. Genauso, wie ich mich über jede Form von Solidarität und Einsatz für mich freue.


WELT: Wie unterscheidet sich Ihr Fall von dem des deutschen Journalisten Deniz Yücel?


Zirngast: Ich bin keine „zwischenstaatliche Geisel", wie es etwa bei Deniz Yücel der Fall war. Es geht hier nicht darum, einem anderen Staat eins auszuwischen.


WELT: Also spielte Ihre Nationalität bei Ihrer Verhaftung keine Rolle?


Zirngast: Es ist schon möglich, dass ich auch verhaftet wurde, weil ich Ausländer bin. Die 


Behörden haben sich wahrscheinlich nicht erklären können, wer ich bin. Das Motto war wohl: mal lieber ins Gefängnis für ein paar Monate mit ihm, um sicherzugehen, dass man hier keinen großen Fisch aus dem Netz lässt.


WELT: Wie, denken Sie, wird Ihr Prozess ausgehen?


Zirngast: Angesichts der Anklageschrift müsste ein Freispruch rauskommen. Wobei noch nicht nach dem ersten Termin, weil das normalerweise immer längere Zeit dauert. Es ist aber doch die Türkei, da weiß man dann letztendlich nicht, wie es wirklich ausgehen wird. Ich stelle mich auf alles ein.


WELT: Wie macht man das?


Zirngast: So etwa wie im Gefängnis. Ich versuche, jeden Tag produktiv zu nutzen, zu lesen und zu schreiben. Ich versuche, angesichts der Umstände mir ein Leben aufzubauen, das sich nicht so leicht zerstören lässt.


WELT: Wie würden Sie die Haftbedingungen beschreiben?


Zirngast: Es gibt in der Türkei mit Sicherheit Gefängnisse mit viel schlechteren Bedingungen. Dennoch sind wesentliche Rechte von Inhaftierten seit der Ausrufung des Ausnahmezustands eingeschränkt worden. Sehr viel hängt letztlich davon ab, was man selbst aus den Umständen macht.

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