Um fünf Uhr kommen die Wachgebliebenen, um neun Uhr die Schnäppchenjäger, dazwischen Tausende von Touristen. Bis Mitte März lief so praktisch jeder Sonntagmorgen auf dem Hamburger Fischmarkt ab. Sommers wie winters, auch an Weihnachten, an Silvester, selbst während des G20-Gipfels bauten die Händler ihre Stände auf. Abgesagt wurde nur bei Sturmflut, darauf sind die Händler stolz. Die letzte Ausnahme: der Zweite Weltkrieg.
Das alles war vor Corona. Die Pandemie hat der Fischmarkt nicht so unerschütterlich überstanden, wie seine Tradition vermuten lässt. Weil er irgendwo zwischen Wochenmarkt und Großveranstaltung rangiert, hat das Bezirksamt den Markt seit mehr als zwei Monaten ausgesetzt. Andere Wochenmärkte finden statt, der Fischmarkt fällt seinem eigenen Kult zum Opfer: Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Menschen sind bis einschließlich August verboten.
Offiziell gilt die Absage des Fischmarkts vorerst nur bis Ende Mai. Die Händler drängen darauf, dass es bald damit weitergeht, natürlich unter strikter Einhaltung der Abstandsregeln. Allein: Der Hamburger Fischmarkt ohne Geschrei und Gedränge, ohne Touristen und Nachtschwärmer - geht das? Und wenn ja: Braucht das jemand?
Wer auf diese Frage eine Antwort sucht, der muss Christian Bockhold fragen. Bockhold ist Fischmarkt-Fan und Anwohner, er lebt mit seiner Familie in einem der rot verklinkerten Genossenschaftshäuser, die den Marktplatz säumen. Seit zehn Jahren betreibt er die inoffizielle Facebook-Seite " Fischmarkt Hamburg". Droht eine Sturmflut, informiert er seine knapp tausend Follower, ist ein Sonnenaufgang besonders schön, macht er von seinem Balkon aus ein Foto und lädt es hoch. Als er die Zwangspause vermeldete, kommentierte eine Nutzerin: "Jeder Wochenmarkt darf öffnen und da stehen sie dicht gedrängt, warum dann nicht auch der Fischmarkt? Auswärtige Gäste sind doch eh keine da." Und auch keine betrunkenen Partygänger.
Bockhold hält diese Argumentation für verkürzt. Klar, da seien die Feiernden, die auf den Fischmarkt gingen, um ein Fischbrötchen zu essen, das letzte Bier zu trinken und auf's Wasser gucken, sagt er. "Aber es gibt einfach auch sehr viele Leute, die da wirklich zum Einkaufen hingehen" - Einheimische aus Altona und St. Pauli, aber auch solche, die von weiter her anreisen. An den Bergen von Kartons, die nach dem Marktende herumliegen, könne man ja sehen, wie viel Ware hier verkauft werde, sagt Bockhold. Feiernde von der Reeperbahn seien dafür jedenfalls nicht allein verantwortlich.
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