Münchner Feuilleton: Ihr Debütfilm "Wir waren Könige" beginnt laut, hart und direkt: Ein zwielichtiges SEK-Kommando erstürmt dabei wortwörtlich den Film. Möchten Sie den Zuschauer gleich mit überrennen?
Philipp Leinemann: Es geht mir darum, dass man als Zuschauer möglichst schnell in eine andere Welt hineingezogen wird - und deshalb wollte ich das SEK-Team beim Zugriff zeigen. Diese Methode reizt mich auch bei anderen Filmen: Ich will immer gleich in der Geschichte drinnen sein und so habe ich es jetzt auch in meinem Drehbuch versucht. Trotzdem wollte ich die Hauptdarsteller erst mal maskiert zeigen, was auch schon häufig diskutiert wurde, weil es bei uns einfach untypisch ist.
MF: Ein ungewöhnlich rauer Einstieg, zweifelsohne. Worin unterscheidet sich für Sie das Erzählen in Kino und Fernsehen auf ästhetischer Ebene?
PL: "Wir waren Könige" hätte man sich vom Genre ausgehend auch gut als Mini-Fernsehserie vorstellen können. Also ich hatte ja bis dato noch nicht fürs Fernsehen gearbeitet, mache aber jetzt meinen ersten "Polizeiruf" und habe vorher immer schon versucht, mit mehreren Hauptdarstellern zu arbeiten und gleichzeitig unterschiedliche Geschichten zu erzählen. Dass das für manchen Zuschauer sehr fordernd ist, war mir klar. Um zwei sehr unterschiedliche Cliquen ging es mir deswegen auch bei meinem jetzigen Kinofilm. Es dauert fast bis zur Hälfte des Films, bis die beiden Hauptdarsteller - Ronald Zehrfeld und Misel Maticevic - erstmals wirklich aus ihrer Passivität heraustreten und dann erst anfangen, richtig aktiv zu werden, bis wieder alles langsam zerbröselt.
MF: Das hängt sicherlich mit dem ausgeprägten Ensemblecharakter Ihres Films zusammen: Fast durchgängig wird bei Ihnen getreten, gepöbelt und geschossen, was auch bei der Premiere beim Filmfest München stark polarisiert hat. Muss der Genrefilm eigentlich per se schockieren?
PL: Die Gewaltdarstellung sollte sich immer der Geschichte unterordnen und niemals zum Selbstzweck werden. Es gibt aber eben auch Stoffe, bei denen zentrale Themen wie Wut und Hass verhandelt werden. Hier muss der Zuschauer spüren können, woher diese Gewaltausbrüche rühren, denen man dann permanent ausgesetzt ist. Und dafür ist Gewalt immer gerechtfertigt, egal, ob im Kino oder im Fernsehen. Warum soll sich der Zuschauer immer wohlfühlen? Warum sollte man ihn immer davor behüten und bewahren? Gewaltdarstellung hat für mich, solange sie nicht zum Selbstzweck wird, eine Berechtigung.
MF: Ihre beiden Alphatiere Kevin und Mendes überzeugen als Hauptfiguren vor allem durch physische Präsenz: Stiernacken, Zigarettenstummel im Mund und gerne mal einen klaren Schnaps zwischendurch. Hat sich die Pressestelle der Polizei eigentlich schon bei Ihnen gemeldet wegen Ihrer rüden SEK-Darstellung?
PL: Nein, noch nicht, wenngleich ich glaube, dass sich das SEK wohl generell erst mal zu gar nichts äußern würde (lacht). Ich habe dafür aus meinen persönlichen Erfahrungen geschöpft, die ich schon lange habe, weil viele meiner Freunde selbst in SEK-Einheiten sind. Es gab deswegen auch sehr viele SEK-ler, die von Beginn an diesen Film unterstützt haben. Ich erzähle zugleich die Geschichten der Streifenpolizisten, die bei ihren Einsätzen auf der Straße oft genauso überfordert sind. Und so versteht der Zuschauer bestimmt auch, woher die Gewalt in diesem Film kommt.
MF: Ihr Film bewegt sich da in einer moralischen Grauzone. Ganz bewusst?
PL: Es geht mir schon genau darum, dass es da eigentlich kein Gut und kein Böse gibt. Und der Film schwingt deshalb erst gar keine Moralkeule. Es geht gar nicht so sehr darum, woher die Schuld kommt. Alles hat seine Ursachen.
MF: Der Polizeifilm an sich hat im Gegensatz zu den USA als Genrekategorie keine lange Tradition im deutschen Kino. Woran liegt das?
PL: Das habe ich schon oft mit anderen diskutiert. Das Thema beschäftigt gerade viele. Bei "Wir waren Könige" war es am Anfang so, dass ich erst mal gar nicht vorhatte, einen reinen Polizeithriller zu drehen, sondern ich bloß eine Geschichte mit zwei unterschiedlichen Welten erzählen wollte. Mein Kernthema war zunächst: Was passiert eigentlich, wenn die äußere Welt durch eine Bedrohung von innen total ins Wanken gerät. Und daraus wurde dann im Schnitt erst der jetzige Polizeifilm.
MF: Dominik Graf versucht das ja auch oft sehr erfolgreich in seinen Fernseharbeiten.
PL: Ja, absolut. Trotzdem wollte ich mich jetzt bei meinem Film gar nicht so sehr an ihm orientieren, weil es im Zentrum eine Geschichte über Freundschaft ist - oder anders gesagt: Anfangs gibt es eine feststehende Welt, die dann durch Kleinigkeiten gehörig ins Wanken gerät. Das gilt auf jeden Fall für jeden Genrefilm. Warum aber der Zuschauer nur so selten dem deutschen Genre vertraut, weiß niemand. Deswegen werden leider auch so viele Genrefilme im deutschen Fernsehen kastriert, weil auch die Macher Angst haben und oft nur noch Romantic Comedies gefördert werden. Warum die allerdings immer noch funktionieren, weiß ich auch nicht. Viele Produzenten und Redakteure haben da leider von vornherein die Schere im Kopf.
|| INTERVIEW: SIMON HAUCK
WIR WAREN KÖNIGE Deutschland 2013 | Regie: Philipp Leinemann | Mit: Ronald Zehrfeld, Mišel Maticˇevic ́ u.a. | 107 Minuten Kinostart: 27. Nov.