Von SIMON HAUCK
Dominik Graf sprach: Es werde Licht im deutschen Historienfilm - und es ward gut. Nach achtjähriger Abstinenz auf der Leinwand wagt der Münchner Autorenfilmer(u.a.10Grimme- Preise) ein Kino-Comeback mit einem historischen Stoff um Nationaldichter Schiller, Millionenbudget und großem Darstellerensemble. Das hätte leicht bräsig und hölzern werden können, wie so oft im deutschen Genrefilm. Standesdünkel, Aufklärung und Weimarer Klassik um Goethe, Herder und Co., was hat uns das noch zu sagen? Kein leichtes Sujet für einen Filmemacher der Gegenwart. Nicht so bei Dominik Graf, der als Regisseur, Drehbuchautor und Erzähler aus dem Off eindrucksvoll den Beweis antritt, dass eine deutsche Produktion im Kino durchaus große Emotionen transportieren kann. Und umso mehr Lust macht auf eine scheinbar angestaubte Epoche des Übergangs vom Ancien Régime zur Französischen Revolution.
Im Mittelpunkt steht der junge Schiller (Florian Stetter), der gerade ersten Ruhm durch die Uraufführung seiner "Räuber" geerntet hat, jedoch auf der Flucht aus Süddeutschland ist. Über Ludwigsburg, Mannheim und Leipzig will er endlich zum großen Dichterfürsten Goethe aufbrechen, mitten hinein in die bessere Gesellschaft des aufgeklärten Weimarer Hoflebens. Im thüringischen Rudolstadt an der Saale begegnet er eher zufällig den beiden Schwestern Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius) und Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung), zwei attraktiven jungen Damen aus verarmtem Landadel. Rasch sprießen die Gefühle in dieser brisanten Dreieckskonstellation, weil die eine bislang schüchtern vor sich hin leben musste, da ihrer strengen Mutter Louise von Lengefeld (Claudia Messner) vor allem in finanzieller Hinsicht noch keiner gut genug war, und die andere unglücklich mit dem älteren Landgrafen Friedrich von Beulwitz (Andreas Pietschmann) vermählt ist.
Die Liebe flackert zum ersten Mal in einer längeren Einstellung am Fluss auf: "Fritz", wie der junge Poet vom Schwesternpaar schlicht genannt wird, springt, ohne schwimmen zu können, wagemutig einem kleinen Mädchen hinterher, das in die Fluten der Saale geraten ist und zu ertrinken droht. Nach gelungener Rettungsaktion reißen ihm die beiden Verführerinnen die nassen Kleider vom Leib, damit er sich schnell aufwärmen kann. Splitterfasernackt und sichtlich benommen wankt er zwischen den beiden Schwestern, die wiederum vor Liebesglück kaum noch die Fassung bewahren und sich innig an ihn schmiegen: ein wahrhaft poetischer Moment reinen Glücks.
So beginnt die verzwickte Ménage-à-trois um die drei Liebenden in diesem thüringischen Sommer - und dauert schließlich 13 Jahre. Es werden Geheimcodes entwickelt und Briefe versiegelt. Nachts lauscht die störrische Mutter zusammen mit ihrem Vertrauten Knebel (wunderbar spitzbübisch Michael Wittenborn) an den Türen und beobachtet, wie lange noch Kerzenlicht im Nebenhaus brennt. Frau von Stein (Maja Maranow) dagegen soll den jungen Schwestern untertags höfische Manieren beibringen und ihnen den provinziellen Dialekt ("Dör Schilla") austreiben, denn französisch ist gerade très chic.
Herrlich leger und mit zahlreichen Spitzen nähert sich Dominik Graf der Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts: Zwischen Parlieren und Intrigieren, Freiheit und Restriktion tänzelt dieser angenehm luftige Kostümfilm wunderbar leichtfüßig vor sich hin. Das historische Bild des Weiberhelden und Jungtitanen, der andauernd kränkelt, streift der Regisseur in seiner Schillerzeichnung ebenso elegant wie die zeitspezifischen Umwälzungsprozesse: Neue Methoden in der Kunst des Buchdrucks werden entwickelt, der blutige Terror der Französischen Revolution weht spürbar in die deutsche Provinz hinüber und Universalgenie Goethe, der ironischerweise nie zu sehen ist, kreiert seinen berühmten Farbkreis. Eine neue Epoche ist zweifellos angebrochen: das Zeitalter bürgerlicher Freiheit.
Ungezügelt modern tritt Grafs formales Filmexperiment in Erscheinung, berührt durch erotische Sprachgewalt und spürt dem aufklärerischen Hauch des puren Seins ganz formidabel nach. Liebesheirat inklusive.
|| DIE GELIEBTEN SCHWESTERN Deutschland, Österreich 2013-2014 Regie: Dominik Graf | Mit: Florian Stetter, Hannah Herzsprung, Henriette Confurius, Ronald Zehrfeld | 138 Min | Kinostart 31. Juli