Von SIMON HAUCK
Das Filmfest München hat Fahrt aufgenommen, wortwörtlich. Trotz Dauerregen und Fußballkonkurrenz erreichte es am Montagabend einen weiteren Höhepunkt. Denn er war da, "unser Mann in Hollywood", wie es bereits vor der Preisverleihung abseits des rotes Teppichs raunte: Udo Kier. Stilecht im Oldtimer wurde er zum Blitzlichtgewitter vorgefahren und genoss es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen. Gut 50 Pressevertreter erwarteten ihn auf dem roten Plastik - und bekamen schnell das, was sie wollten: Diesen unvergesslich ki(e)ren Blick des deutschen Ausnahmeschauspielers, diese grün schimmernden Augen, die im Scheinwerferlicht immer so stahlblau leuchten: Er ist ein schlichtweg ein Vollprofi, was jeder schnell sehen und erleben konnte. Kein Wunder, denn das umgangssprachliche US-Schlagwort "Oldie, but Goldie" passt kaum auf einen anderen so gut wie ihn.
Udo Kier glänzt immer noch immens, auch mit fast 70 Jahren. Den Grund dafür brachte Nicolette Krebitz, selbst eine langjährige Musenfreundin des deutschen Hollywoodexports, in ihrer bezaubernd feinfühligen Laudatio treffend auf den Punkt: "Udo ist ein Workaholic, Udo steht niemals still. Ihn interessiert nur das hier und jetzt und nicht die Vergangenheit - und Sie wissen alle, mit wem er schon alles gearbeitet hat." Es ist nicht keinesfalls übertrieben oder bloß stumpfsinnige Koketterie, was die Berliner Schauspielerin hier in ihrer Lobrede mehrfach herausstellte. Schließlich sprechen die Names des Weltkinos im Oeuvre des gebürtigen Kölners eine klare Sprache. Nur die größten, mutigsten und innovativsten Querschläger der jüngeren Filmgeschichte waren ihm gut genug: Fassbinder, Trier, Warhol, Lynch, van Sant oder Herzog.
Er hat sich längst im Arthouse-Universum unsterblich gemacht.Doch auch im US-amerikanischen Mainstreamfilm glänzte Kier, die frühere Muse Warhols, in unzähligen Streifen. Ob als düsterer Vampir ("Blade"), exzentrischer Stricher ("My Own Private Idaho") oder NASA-Psychologe ("Armageddon"). Längst ist er durch seine überragende Präsenz auch ein heiß begehrter Nebendarsteller, der lange im Gedächtnis bleibt. Seit über 20 Jahren lebt der kunstversessene Deutsche nun schon in Palm Springs - in einer ehemaligen Bücherei. Natürlich zwischen Kunstwerken und Hunden, so viel Exzentrik darf es bei ihm schon seit über 50 Jahren sein. Er ist der "eigentlich Glanzbringende, kein Star", betonte Krebitz treffenderweise, "sondern er ist selbst eine Kunstfigur".
Einen ikonenhaften Status genießt Kier nämlich auch fern der Studiosets. So räkelte er sich zum Beispiel in Madonnas Popvideos der 1990er Jahre skandalträchtig in Lederkluft. Und ein bedeutender Teil der internationalen Kunstszene ist er selbst schon lange geworden. Mit Rosemarie Trockel oder Jonathan Meese ist er beispielsweise eng befreundet. Genussvoll zu erleben in der anschließenden Premiere von Hermann Vaskes "Arteholic" über Udo Kiers Sucht nach Kunst und Künstlern. Auch darin sprengt der Geehrte durch seine bloße Präsenz ein ums andere Mal die Leinwand und brilliert in zahlreichen Performance-Miniaturen. Mangelnde Lebendigkeit wird ihm somit auch im Rentenalter noch lange keiner vorhalten können. "Bleib durstig, Udo, weil wir brauchen dich noch!", schloss Nicolette Krebitz ihre Laudatio. Das dürfte dem arbeitssüchtigen Preisträger auch in Zukunft nicht all zu schwer fallen.