Wim Wenders hat das Staunen nie verlernt: ob als Regisseur, Fotograf oder als Filmprofessor. Ob in der Auseinandersetzung mit eigenen oder fremden Bildern, mit neuen Gestaltungsideen oder Ausdrucksmitteln. Der bescheidene Mann, der sämtliche Hauptpreise der A-Festivals bei sich zu Hause im Regal stehen hat, ist zeit seines Lebens ein Suchender geblieben. Denn er lässt sich gerne begeistern und beobachtet aufmerksam das Schaffen anderer zeitgenössischer Künstler - im selbstverliebten Filmbetrieb keine Selbstverständlichkeit.
Gerade 70 geworden, sprüht er weiterhin vor Elan. Auf das Altenteil der Filmbranche will sich der gebürtige Düsseldorfer noch lange nicht schieben lassen. Weder von seinen Kritikern noch seinen Zuschauern, auch wenn ihm die in den vergangenen Jahren nicht mehr so treu ergeben waren. Permanent stürzt sich Wenders, der schon lange den Idealtypus eines globalen Weltbürgers verkörpert, auf neueste Film- und Fototechniken. Während andere noch über neueste 3-D-Standards oder den Einsatz von Hochkontrastbildern philosophieren, hat er sie längst eingesetzt. Nicht selten verblüffend - wie zuletzt in "Pina" (2011) oder "The Salt of the Earth" (2014).
Das führt natürlich zwangsläufig dazu, den (Drehbuch-)Autor, Kritiker und Essayisten Wenders zu übergehen. Und das, obwohl der Arztsohn, der ursprünglich "Maler oder Schriftsteller werden" wollte, seine Karriere im Filmgeschäft als Kinorezensent begonnen hatte. "Das Schreiben ist ein wichtiger Teil seines Schaffens geblieben", betont auch Annette Reschke, die Herausgeberin des neuesten Bandes "Die Pixel des Paul Cézanne und andere Blicke auf Künstler", in ihrer Vorbemerkung.
Im Geiste eines René Descartes, erklärt Wim Wenders zu Beginn der 17 Texte aus 25 Jahren den eigenen, vollkommen persönlichen Impetus: "Ich schreibe, also denke ich". Schreiben als Gedankensprungbrett, als Selbstversicherungsprozess. "Erst wenn ich schreibe, kann ich Dinge zu Ende denken."
Diese freigeistige Methode wendet der "begeisterte Unterwegs-Schreiber" im Folgenden auch sehr spezifisch an: Ausschließlich in Wenders'scher Versform geschrieben, teilweise mit Unterpunkten und oft nur in Assoziationsketten formuliert, beschäftigt sich der Filmemacher mit einer Reihe Wahlverwandter wie Ingmar Bergman und Michelangelo Antonioni, den "beiden letzten Großen des Europäischen Films". Ebenso mit Edward Hoppers radikal moderner Malerei, die sich ganz der "Vereinzelung von Menschengestalten" verschrieben hat.
Über Peter Lindberghs unbändige erotische Fotografien schreibt Wenders: "als ob die Regeln der Schwerkraft nicht für sie gelten würden". Eine Variation dieses Zitats hätte auch einen formidablen Titel für das Textkonglomerat aus der Feder des Regisseurs abgegeben.
WIM WENDERS | DIE PIXEL DES PAUL CÉZANNE UND ANDERE BLICKE AUF KÜNSTLER Hrsg. von Annette Reschke | Verlag der Autoren, 2015 | 216 Seiten | 15 Euro Bild: Donata Wenders / Wim Wenders Stiftung