Simeon Laux

Freier Journalist & Moderator

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Vom Kriegsland nach Friedland

Schleswig-Holstein will 300 Frauen und Kinder aus Afghanistan per Familiennachzug aufnehmen. Niedersachsen, Hamburg und Bremen setzen auf den Bund.

HAMBURG taz | Welche Landesregierung bietet wie vielen Af­gha­n:in­nen Schutz? In den vergangenen Tagen überboten sich die Nordländer mit Zahlen, nur Niedersachsen hielt sich zurück. Nun schob auch Innenminister Boris Pistorius (SPD) eine Zahl nach: 450 Ortskräfte aus Afghanistan und deren Familien sollen zunächst im Grenzdurchgangslager Friedland im Kreis Göttingen untergebracht werden.

Die Anzahl der Plätze werde aber je nach Bedarf angepasst, teilt ein Sprecher des Innenministeriums auf taz-Anfrage mit. Denn derzeit plane Deutschland, rund 10.000 Menschen aus Afghanistan aufzunehmen und Niedersachsen nehme davon in der Regel nach dem sogenannten „Königssteiner Schlüssel" rund ein Zehntel auf. Das wären also 1.000 Plätze.

Pistorius hatte sich nach einer Sitzung der In­nen­mi­nis­te­r:in­nen der Länder am Mittwoch für ein Bundesaufnahmeprogramm für bedrohte und verfolgte Menschen aus Afghanistan ausgesprochen. Niedersachsen solle dabei „eine zentrale Rolle" spielen, sagte Pistorius.

Die niedersächsische Caritas und die Grünen sehen allerdings das Land selbst in der Pflicht: Sie fordern ein eigenes Aufnahmeprogramm für schutzsuchende Afghan:innen. Niedersachsen solle sich einer entsprechenden Initiative Schleswig-Holsteins anschließen.

Dessen schwarz-grün-gelbe Landesregierung hatte vergleichsweise früh ein landeseigenes Aufnahmeprogramm angekündigt, das sich vornehmlich an Frauen, Kinder und weibliche Angehörige von Af­gha­n:in­nen richtet, die bereits in Schleswig-Holstein leben. Laut Innenministerium soll es sich um rund 300 Menschen handeln. „Wir müssen vorangehen. Die Bilder aus Afghanistan können niemanden unberührt lassen", sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU).

Unabhängig von dem geplanten Programm sollen weitere Ortskräfte aufgenommen werden. Zudem sprach sich die Ministerin dafür aus, die Bundesregierung möge den Kreis der infrage kommenden Menschen großzügiger auslegen. Das könnten etwa Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen und Hel­fe­r:in­nen von Jour­na­lis­t:in­nen sein.

Mehr Menschen schützen

So sieht das auch Niedersachsens Caritas-Landessekretär Thomas Uhlen: „Es gibt auch viele Ortskräfte von Nicht-Regierungsorganisationen wie Frauenrechtlerinnen, die wir schützen und aus dem Land rausholen müssen." Auch deren Angehörige müssten evakuiert werden.

„Wir wollen den Antrag aus Schleswig-Holstein übernehmen", sagt auch die Landtagsabgeordnete Susanne Menge (Grüne). Das Land müsse ein Bleiberecht für die Betroffenen organisieren und dafür eine gesetzliche Grundlage schaffen.

Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen begrüßt zwar die vom Land in Aussicht gestellten 1.000 Plätze: „Man müsste aber erst einmal den tatsächlichen Bedarf feststellen, bevor man sich auf eine Zahl festlegt." Entsprechend darf das dann nicht gedeckelt werden", sagt er. „Ein Aufnahmeprogramm sollte insbesondere zivilgesellschaftliche und politische Aktivist:innen, Fa­mi­li­en­nach­züg­le­r:in­nen und besonders vulnerable Personen und Gruppen sowie ethnische, religiöse oder sexuelle Minderheiten umfassen."

Auch der Bremer Flüchtlingsrat fordert ein eigenes Landesaufnahmeprogramm für Bremen. Der Senat hatte am Dienstag mitgeteilt, 150 Ortskräfte aus Afghanistan schnell und unbürokratisch aufnehmen zu wollen. Der Flüchtlingsrat hingegen fordert, allen aus Afghanistan stammenden Menschen müsse sofort ein dauerhaftes Bleiberecht gewährt werden: „Die bisher durch Bremer Po­li­ti­ke­r:in­nen erklärte Aufnahmebereitschaft reicht nicht aus", sagt Nazanin Ghafouri vom Bremer Flüchtlingsrat. Mittlerweile hat der Verein eine Petition mit dem Titel „Bremen muss Bleiberecht und humanitäre Aufnahme ermöglichen" gestartet und sammelt Unterschriften.

Für Niedersachsens Innenminister Pistorius ist ein Aufnahmeprogramm auf Bundesebene „die schnellere und effektivere Lösung als einzelne Landesaufnahmeprogramme". Der Bund könne sich bei der Aufnahme von Ortskräften und anderen „vulnerablen Gruppen", etwa Menschen, die in der Entwicklungshilfe oder für NGOs arbeiten, auf die Länder verlassen.

Versprechen bei Twitter

Hamburg wiederum hatte am Dienstag angekündigt, bis zu 250 Plätze für Schutzsuchende zur Verfügung zu stellen. „Unmittelbar und unbürokratisch" wolle man „Gerettete" aufnehmen, teilte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) auf Twitter mit. Bereits am Mittwochabend sind 19 Menschen aus Afghanistan in Hamburg angekommen, die zunächst in der zentralen Erstaufnahmeinrichtung im Stadtteil Rahlstedt untergebracht wurden.

Laut Innenbehörde sollen voraussichtlich am heutigen Freitag weitere afghanische Ortskräfte in Hamburg eintreffen. Ein eigenes Landesaufnahmeprogramm sei nicht vorgesehen, sagt Behördensprecher Daniel Schaefer: „Wir sind darauf angewiesen, dass die Bundeswehr und das Auswärtige Amt die Menschen aus Afghanistan rausholen."

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